Hans-Heinrich Dieter

Fortschritt (16.12.2010)
 
Zum ersten Mal nach neun Jahren Einsatz am Hindukusch legt die Bundesregierung am 13.12.2010 einen Fortschrittsbericht Afghanistan zur Unterrichtung des deutschen Bundestages vor. Außenminister Westerwelle betonte im Rahmen seiner Regierungserklärung am 16.12.2010, dass „die Bundesregierung den Einsatz einer schonungslosen Analyse unterzogen“ habe. Das habe auch zum Abschied vom Bild des Entwicklungshelfers in Uniform geführt.
 Der Bericht macht sehr deutlich, dass Afghanistan-Fortschritte insbesondere in der Regierungsführung unzureichend sind, die Sicherheit der Bevölkerung noch deutlich verbessert werden muss, aber im Hinblick auf die allgemeine Entwicklung durchaus beachtliche Fortschritte, insbesondere im Bildungswesen und in der Gesundheitsversorgung, zu verzeichnen sind.
Alle Akteure vor Ort sind sich einig, dass der Konflikt in Afghanistan militärisch allein nicht zu lösen ist und die Sicherheitspräsenz von Maßnahmen politischer Konfliktbewältigung begleitet werden muss. Die Bemühungen um Verständigung und um politischen Ausgleich mit den radikalislamistischen Taliban haben begonnen. Wichtig ist allerdings, dass in dem Bericht betont wird, dass dabei „nicht verhandelbare rote Linien gelten: Gewaltverzicht, Loslösung vom Terrorismus und Anerkennung des Verfassungsrahmens“.
Auf der Grundlage dieses Fortschrittsberichtes erklärte Außenminister Westerwelle, dass die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an afghanische Kräfte schrittweise ab 2011 in den ersten Provinzen erfolge, um ab 2014 dann keine deutschen Kampftruppen mehr in Afghanistan stationiert zu haben. Die absehbar langsamen Fortschritte erfordern aber die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für Afghanistan auch über diesen Zeitraum hinaus.
Es ist nicht alles schlecht in Afghanistan, aber die Fortschritte in den Feldern Regierungsführung, Sicherheit und Entwicklung bleiben doch deutlich hinter den Erwartungen zurück.
Der eigentliche Fortschritt in der deutschen Sicherheitspolitik wird dadurch erzielt, dass sich die christlich-liberale Bundesregierung erstmals der Aufgabe unterzieht, das deutsche Engagement in Afghanistan anhand von Kriterien einer umfassenden und kritischen Bestandsaufnahme zu unterziehen. Und es ist auch ein echter Fortschritt, dass dieser Afghanistan-Bericht unter Federführung des Auswärtigen Amtes unter intensiver Mitwirkung der Bundesministerien des Inneren, der Verteidigung sowie der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung entstanden ist. Eine solche real-vernetzte sicherheitspolitische Anstrengung ist neu in Deutschland.
Nicht neu war die Diskussion nach der Regierungserklärung im Bundestag. Der Fortschrittsbericht wurde nur in kleinen Teilen thematisiert. Vielleicht waren die 100 Seiten auch zu viel für viele Parlamentarier. Wer sich mit dem Bericht befasst hat, wird durchaus erkennen, dass man mit der Bekanntgabe von Zeitpunkten für den Beginn des Abzuges verantwortlich und an der konkreten Lage orientiert umgehen muss. Aber mit Auseinandersetzung in der Sache lässt sich nun einmal keine unsachliche Oppositionspolitik à la Gabriel machen. Und da fordert dann auch der SPD-Politiker und frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt Gernot Erler von der Regierung eine selbstkritische Überprüfung und eine unabhängige Beurteilung des deutschen Einsatzes.
 
Solche Forderungen stellt ein SPD-Außenpolitiker, der genau weiß, dass weder der Außenminister Fischer einer rot-grünen Regierung noch Außenminister Steinmeier der schwarz-roten Koalition in der Lage waren, einen Fortschrittsbericht zu verfassen. Vielmehr hat Fischer das Engagement in Afghanistan nach einer unzureichenden Beurteilung der politischen Lage verantwortungslos blauäugig begonnen und Steinmeier hat das Engagement beschönigend und schönfärbend fortgesetzt sowie die Bevölkerung unwahr informiert. Keiner dieser Minister hat die federführende Verantwortung wahrgenommen und das deutsche Engagement im Sinne vernetzter Sicherheitspolitik gestaltet. Herr Erler hat an diesen politischen Fehlleistungen maßgeblichen Anteil. Und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD hatte offenbar auch keine Zeit, den Bericht auszuwerten, denn dann wäre ihm ja aufgefallen, dass die Bundesregierung bereits bei der Erstellung der Themen und Kriterien des Fortschrittsberichtes externen Sachverstand zu Rate gezogen hat und dass wissenschaftliche Expertise auch bei einer öffentlichen Anhörung des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages am 23.11.2010 zu Rate gezogen wurde.
Herr Erler weiß um die Schwäche seiner Oppositionsargumentation, deswegen bietet er auch im Hinblick auf die anstehende Verlängerung des Afghanistan-Mandats im Januar 2011 die Zusammenarbeit der Sozialdemokraten an.
Wenn man im Bundestag in der Sache wieder zum Konsens der Demokraten finden würde, wäre auch das ein Fortschritt.
(16.12.2010)
 
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