Hans-Heinrich Dieter

Flickschuster-Politik   (13.08.2014)

 

Zwischen Reden auf der Münchner Sicherheitskonferenz und realer Politik in Berlin gibt es naturgemäß Unterschiede. Damals hatte der Bundespräsident eine intensive außen- und sicherheitspolitische Diskussion sowie eine öffentliche Debatte darüber angeregt, nach welchen Kriterien Deutschland sich zukünftig - auch militärisch - in der Welt engagieren will. Verteidigungsministerin von der Leyen und Außenminister Steinmeier stimmten in dieses hohe Lied gesteigerter deutscher sicherheitspolitischer Verantwortung ein und weckten vor der Fach-Community entsprechend hohe Erwartungen, denen man nur mit intensiver politischer Arbeit und letztendlich finanziellen Anstrengungen entsprechen kann.

Seitdem ist solche politische Arbeit nicht zu erkennen, von finanziellen Anstrengungen ganz zu schweigen. Deutschland hat immer noch nicht definiert, welches unsere vitalen Interessen, was unsere Ziele in der deutschen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik im europäischen und internationalen Rahmen sind, sowie welche Konzepte und Strategien dafür entwickelt werden müssen. Und dementsprechend sind die Instrumente deutscher Außen- und Sicherheitspolitik für eine gesteigerte weltweite Verantwortung noch nicht befähigt und die politischen Rahmenbedingungen für ein verlässliches Engagement sind noch nicht geschaffen.

Die Verteidigungsministerin hatte zwar ankündigt, angesichts der instabilen Entwicklung in einigen afrikanischen Ländern gemeinsam mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Entwicklungshilfeminister Gerd Müller eine „Afrikastrategie“ entwickeln zu wollen. Das wäre die erste vernetzt erarbeitete gemeinsame Zielsetzung Deutschlands für Auslandsengagements in einer Region. Daraus wurde aber leider nichts. Und die Debatte um die Ausrüstung der Bundeswehr mit Drohnen zeigt, dass es noch lange dauern wird, bis die Einsatzfähigkeit unserer Streitkräfte für den weltweiten Einsatz gesteigert werden kann. Immerhin ist eine Kommission zur Ãœberprüfung der Zukunfts-Tauglichkeit des Parlamentsbeteiligungsgesetzes eingesetzt. Wir sind also noch sehr weit davon entfernt, die vom Bundespräsidenten angemahnte „Klarheit über Maß und Ziel von Deutschlands internationalem Engagement“ zu haben. Die engagierte Reisetätigkeit des deutschen Außenministers ändert daran wenig, denn wir reagieren nur, wir regen Gespräche an, stellen allgemeine, unverbindliche Forderungen und erreichen nahezu nichts, wie man am Beispiel Ukraine sehen kann.

Die derzeitige hitzige Diskussion über ein deutsches Engagement in der Irak-Krise macht unsere Defizite in der Außen- und Sicherheitspolitik deutlich. Zunächst hält sich die deutsche Politik zurück und verweist auf die Verantwortung der USA. Wir sind geleitet durch die Kultur der militärischen Zurückhaltung – insbesondere in Nahost – und bestimmt durch den Grundsatz, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern, allenfalls denken wir über Beteiligung an humanitärer Hilfe nach. Das Interesse an den monatelangen Aktivitäten der Terrormiliz „Islamischer Staat“ ist plötzlich geweckt, als islamistische Provokateure in Krefeld demonstrierende Jesiden angreifen. Nun wirkt sich plötzlich ein „Nahost-Problem“ in Deutschland aus. Entsprechend hektisch reagieren Politiker aller Couleur und die bekannte Kakophonie schriller, entsetzter, besorgter, pazifistischer bis hysterischer politischer Stimmen setzt ein, mehr als eine Woche nachdem die USA begonnen haben, humanitär und militärisch zu helfen. Einen Kurs oder Plan für die Irak-Krise hat Deutschland erkennbar nicht. Dementsprechend wundert es nicht, dass die Bundesregierung innerhalb kürzester Zeit ihre unklaren Vorstellungen undeutlich revidiert. Vom Ansatz bloßer humanitärer Hilfe ging es plötzlich zur Lieferung militärischen Geräts und möglicherweise sogar Waffen über. Das Kanzleramt, zuständig für die Richtlinien der Politik, hält sich raus. SPD-Chef und Vize-Kanzler Gabriel, der zukünftig eher weniger als mehr Waffen in Drittländer liefern will, war noch emotional beeindruckt durch ein Treffen mit Jesiden in Deutschland und schien plötzlich Waffenlieferungen in die Krisenregion Irak an die schwer definierbare Bürgerkriegspartei der Kurden zu befürworten. Außenminister Steinmeier war plötzlich bereit, bis an die rechtlichen und politischen Grenzen zu gehen, um einen möglichen Völkermord an den Jesiden im Irak zu verhindern. Gysi von der „Pazifismus“-Partei die Linke forderte deutsche Waffenlieferungen. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen befürwortete einen Export "nicht-lethaler Ausrüstungsgegenstände" wie gepanzerte Fahrzeuge, Nachtsichtgeräte oder Sprengfallen-Detektoren oder auch Helme, Schutzwesten und Sanitätsmaterial. Berlin bietet ein Bild verwirrten politischen Durcheinanders, unfähig zu verantwortungsvoller politischer Führung.

Wenn man schon keinen Plan, keinen Kurs und keine „Klarheit über Maß und Ziel von Deutschlands internationalem Engagement“ hat, sollte man sich zumindest an die Grundsätze halten, bevor man hektisch Fehler macht. Und der Grundsatz lautet, dass Deutschland keine Waffen in Krisengebiete liefert. Waffenlieferungen an Kurden im Irak heißt nicht Waffenlieferung an eine einheitlich ausgerichtete und geführte Armee, die im Sinne des irakischen Volkes agiert. Die Kurden im Irak sind eine aus unterschiedlichen politischen Gruppierungen zusammengesetzte Bürgerkriegspartei, die derzeit auch das Interesse hat, der religiösen Minderheit der Jesiden gegen die Terroristen vom „IS“ beizustehen. Waffen an Kurden können aber auch sehr leicht an die PKK gelangen, die auch von der EU als Terrororganisation eingestuft wird. Deutsche Waffen für Kurden im Irak können nicht viel mehr sein als Infanteriewaffen, die die Peschmerga-Krieger bereits haben. Waffen an die Peschmerga heißt gegebenenfalls auch Bewaffnung einer Bürgerkriegspartei gegen die von den USA ausgerüsteten und trainierten sunnitischen Milizen im Nordirak oder gegen die irakischen Regierungstruppen, je nachdem wie sich die Krise entwickelt. Wir sollten aus dem Desaster lernen, das die Unterstützung durch die NATO und die Waffenlieferungen Frankreichs, Italiens und anderer Länder an die libyschen Rebellen verursacht haben. Deswegen ist der Kompromissvorschlag der Verteidigungsministerin, Lieferung "nicht-lethaler Ausrüstungsgegenstände" der einzig vernünftige.

Und wenn wir schon über unsere Möglichkeiten zur Unterstützung eines internationalen Kampfes gegen die Terrormiliz „IS“ nachdenken, dann müssen wir uns eingestehen, dass wir nahezu nichts anzubieten haben, was sich schnell auswirken kann. Wir haben keine Flugzeugträger, die man vorbeugend stationieren kann, um bei Bedarf schnell Luftstreitkräfte zur Wirkung zu bringen. Und wir denken politisch noch nicht verantwortungsbewusst in internationalen Krisenszenarios. Wenn die USA und Großbritannien schon drei Tage Hilfsgüter zu den bedrohten Menschen fliegen, beginnt bei uns frühestens die theoretische Diskussion. Nur die USA und Nachbarstaaten in der Region können derzeit der Terrormiliz zeitgerecht Einhalt gebieten.

Deutschland mag sich eines politischen Bedeutungszuwachses auf internationalem Parkett erfreuen. Die damit verbundene Erwartungshaltung unserer Partner ist allerdings beängstigend groß. Deutschland wird spätestens bei der NATO-Tagung im Herbst an den geweckten Erwartungen gewogen - und wohl als zu leicht befunden werden.

Wir müssen endlich die häufig laienhafte politische Flickschusterei überwinden, wenn wir auf Dauer als Partner ernst genommen werden wollen.

(13.08.2014)

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte