Hans-Heinrich Dieter

Europa der Zukunft?   (24.08.2016)

 

Der „Weckruf“ des Brexit ist verhallt, ohne dass die EuropĂ€er Bereitschaft zum Aufwachen gezeigt hĂ€tten. Keiner will die Chance zu einem Neuanfang wirklich nutzen, vor allem will kaum ein EU-Mitglied die Chancen gemeinsam als Union nutzen, denn dazu sind die politischen Rahmenbedingungen der Mitgliedstaaten und die daraus resultierenden nationalen Interessen zu unterschiedlich. Mit Großbritannien verliert die EU nur einen von vielen sehr egoistisch agierenden Mitgliedstaaten.

Direkt nach der Brexit-Entscheidung hat Kanzlerin Merkel Frankreich und Italien zu einem Dreiergipfel nach Berlin eingeladen. Man wollte wichtige Signale in die EU geben, wie die Gemeinschaft sich weiterentwickeln sollte. Schon diese drei sind nicht einer Meinung. Frankreich und Italien wollen eine verstĂ€rkte Integration der EU, um ihre strukturellen, wirtschaftlichen und finanziellen Probleme mit Finanztransfers und ambitionierten europĂ€ischen InvestitionsplĂ€nen auf mehr Schultern verteilen zu können. Kanzlerin Merkel will keine Änderung der EU-VertrĂ€ge, sondern plĂ€diert fĂŒr „Weiter so!“ - wer hĂ€tte von ihr anderes erwartet?

Auch die Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn trafen sich nach dem Brexit und haben die EuropĂ€ische Union dazu aufgerufen, die Entscheidungen ihrer souverĂ€nen Mitgliedsstaaten zu achten. Das britische Votum fĂŒr einen Austritt aus dem BĂŒndnis sei eine Warnung, dass die EU reformiert werden mĂŒsse. Also kein „weiter so“ und auch keine vertiefte Integration sondern mehr Rechte bei weniger Pflichten der Nationalstaaten. Und als Zeichen der Emanzipation von Deutschland lehnen alle Visegrad-Staaten die Forderung Deutschlands ab, dass Asylbewerber aus dem Nahen Osten per Quote aufgeteilt werden.

Die anderen Mitgliedstaaten sind zunĂ€chst einmal pikiert und enttĂ€uscht, dass sie in diese Einzel-Gipfel-„Diplomatie“ nicht einbezogen werden und nutzen teilweise die Chance, um sich - wie Spanien und Portugal ungestraft - von den ReformbemĂŒhungen zu verabschieden. Unterm Strich kann man feststellen, dass die erste Chance fĂŒr wirklich gemeinsame, substanzielle Überlegungen zur Zukunft der EU vertan wurde.

Nun hatte Italiens Regierungschef Renzi Kanzlerin Merkel und PrĂ€sident Hollande zu einem neuerlichen Dreiergipfel auf die geschichtstrĂ€chtige Insel Ventotene eingeladen, um dem Projekt Europa neues Leben einzuhauchen. Es gab viel Symbolik, viele Bilder, die beeindrucken sollten, und sicherlich gutes italienisches Essen. Es gibt aber weiterhin keine gemeinsame Idee, wie man die EuropĂ€ische Union zu einer leistungsfĂ€higen politischen Gemeinschaft weiterentwickeln sollte. Es gibt kein zukunftsorientiertes französisch-italienisch-deutsches Trio, denn Merkel, Hollande und Renzi behalten ihre stark unterschiedlichen Vorstellungen und dementsprechend gibt es auch keine greifbaren Ergebnisse von Ventotene, sondern lediglich ziemlich leere SolidaritĂ€tsbekundungen und viele vollmundige Worte ĂŒber das Projekt Europa. Man redet allerdings nur oberflĂ€chlich und schön von „mehr Europa“, ohne konkret zu sagen, was man gemeinsam darunter versteht - weil man natĂŒrlich auch kein gemeinsames VerstĂ€ndnis hat. Und so bleibt das Bild von drei europĂ€ischen „KapitĂ€nen“ auf einem französischen FlugzeugtrĂ€ger ohne gemeinsames Ziel und ohne gemeinsame Vorstellungen vom zu steuernden Kurs - da muss der Kahn ja weiter schlingern.

Schwaches Wachstum, TerroranschlĂ€ge, die FlĂŒchtlingskrise, der unzureichende Schutz der Außengrenzen und der stark wachsende Nationalismus stellen die SolidaritĂ€t und den Zusammenhalt in der EU zunehmend auf die Probe. Jeder weiß, dass keiner der Mitgliedstaaten all diese Herausforderungen im Alleingang lösen kann, doch fehlt es an Werteorientierung und SolidaritĂ€t zur gemeinsamen Problemlösung. Ohne den echten Willen zur gemeinsamen Problemlösung wird aber der Niedergang der EU nicht aufzuhalten sein.

Dem Projekt Europa haben Merkel, Renzi und Hollande kein neues Leben eingehaucht. Modergeruch hĂ€ngt weiter in der Luft. Man kann nur hoffen, dass der im slowakischen Bratislava geplante EU-Sondergipfel erfolgreicher ist. Im Hinblick auf die schwachen und ĂŒberforderten EU-FĂŒhrungsfiguren Tusk und Juncker kommen aber schon starke Zweifel auf. Da wird auch die fĂŒr diese Woche geplante hektische Reisediplomatie Merkels mit zahlreichen EinzelgesprĂ€chen zur Zukunft Europas wenig nutzen.

(24.08.2016)

 

 

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