Hans-Heinrich Dieter

EU-Verteidigungsunion   (16.06.2017)

 

In der letzten Woche hielt die EU in Prag eine Verteidigungs- und Sicherheitskonferenz mit den höchsten Vertretern der europäischen Sicherheitspolitik ab. Schwerpunktthema war die Frage, wie sich eine europäische Verteidigungsunion entwickeln lassen könne.

Seit dem G7-Treffen und dem etwas verunglückten NATO-Gipfel - auf dem sich Trump weigerte, den Artikel 5 des NATO-Vertrages als für die USA verbindlich zu bestätigen - wissen die EU-Mitglieder, dass sie sich auf die USA nur eingeschränkt verlassen können und ihr sicherheitspolitisches Schicksal stärker in die eigene Hand nehmen müssen.

Da ist es nicht erstaunlich, dass in der EU weitgehend Konsens darüber herrscht, dass eine Gemeinsame Verteidigungsunion der EU schnell aufgebaut werden sollte. Der tschechische Premierminister betont das mit den Worten: „Die Verteidigungsunion muss in kurzer Zeit aufgebaut werden. Es ist nötig, regionale strategische Autonomie zu erlangen - wir müssen in der Lage sein, selbstständige militärische und zivile Operationen zu leiten, um Krisen zu lösen, die in unserer unmittelbaren Nachbarschaft auftreten.“

Da wird deutlich, dass Tschechien durchaus Teil einer strukturierten Verteidigungskooperation der EU sein will, hauptsächlich um in der Nachbarschaft der EU-Mitgliedstaaten Tragödien und Katastrophen verhindern sowie sicherheitspolitische Konflikte lösen zu können. Man denkt allerdings nicht so anspruchsvoll, dass Angriffe auf ein EU-Mitglied, das auch NATO-Mitglied ist, von einer europäischen Verteidigungsunion gemeinsam abzuwehren sei, denn das wäre nach wie vor eine Angelegenheit für die NATO. Diese Gedanken sind alle nicht neu.

Beim Treffen der Außen- und Verteidigungsminister der Europäischen Union im März in Brüssel wurde vereinbart, dass die Europäische Union in Zukunft eine größere außenpolitische Rolle glaubwürdig spielen können soll. Dafür sind eigene militärische Fähigkeiten natürlich unabdingbar. Denn wesentliche Aspekte der Sicherheitspolitik der Europäischen Union sind eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik, gemeinsamer Schutz der EU-Außengrenzen und gemeinsame Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Und für diese Sicherheitspolitik einer EU, die zunehmend sicherheitspolitische Verantwortung in Europa und darüber hinaus übernehmen will und muss, gibt es derzeit zahlreiche Herausforderungen: der Konflikt mit dem zunehmend aggressiven Russland nach der Annexion der Krim und der hybriden Kriegsführung gegen die Ukraine, die Flüchtlingskrise, der internationale Terrorismus mit mehreren Anschlägen in EU-Mitgliedstaaten, das schwierige Verhältnis der EU zum NATO-Mitglied Türkei, der Krieg in Syrien sowie der nachhaltige Schutz der EU-Außengrenzen. Die wesentlichste Herausforderung ist aber, dass endlich eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik formuliert und verabschiedet werden muss. Und auf dieser Grundlage ist dann eine europäische Verteidigungs-Strategie zu entwickeln.

Das hört sich alles gut an! Was die Umsetzung guter Ideen anbetrifft, steht die EU - wie immer - erst am Anfang. Denn Fakt ist, dass die EU auf absehbare Zeit in ihrem derzeitigen Zustand dauerhafter Handlungsunfähigkeit und offen verweigerter Solidarität einzelner Mitgliedstaaten als politische Gemeinschaft nicht in der Lage ist, ihr sicherheitspolitisches Schicksal mit Erfolgsaussichten in die eigenen Hände zu nehmen und deswegen wird es in den nächsten zehn Jahren (+) nicht einmal zu einer symbolischen „Europäischen Armee“ kommen.Denn bei allen Ãœberlegungen zu „mehr Europa durch gemeinsame Verteidigung“ muss aber der hohe Zeitbedarf berücksichtigt werden bis zur Gewährleistung einer eigenen europäischen Verteidigungsfähigkeit. Deswegen kommt der vertieften Zusammenarbeit mit der NATO die herausragende Bedeutung zu. Die NATO macht jetzt schon die richtige und ausgewogene Politik nicht nur gegenüber unserem neuen "Gegner" Russland. Die NATO ist als Verteidigungsorganisation strukturell handlungsfähig und wird als Partner in der Weltpolitik ernst genommen. Da muss sich die EU nur als wirklicher Partner einbringen und könnte so gemeinsam mit der NATO sicherheitspolitische Verantwortung Europas in der Welt wahrnehmen. Jegliche kostspielige Konkurrenz zur NATO aufgrund von aufwändigen Doppelstrukturen, Kompetenzüberschneidungen und unübersichtlicher Befehlswege, jegliche politische Relativierung der Bedeutung des transatlantischen Bündnisses ist in der aktuellen nicht einfachen sicherheitspolitischen Lage von Ãœbel und der Sicherheit Europas abträglich.

Die Zielsetzung, eine europäische Verteidigungsunion realisieren zu wollen, ist richtig. Dieses Ziel wird aber in der wirklichen Welt nur langfristig in kleinen realistischen Schritten und in einer tiefer integrierten EU durch intensive Kooperation einzelner EU-Mitgliedsländer, die die Zusammenarbeit auch wirklich wollen und leisten können, zu erreichen sein.

Eine Europäische Verteidigungsunion wird es also nur mit einem tiefer integrierten und neustrukturierten Kern-Europa der Willigen geben. Davon ist die EU noch sehr weit entfernt. Deswegen müssen die EU-Mitgliedstaaten über ein stärkeres und verantwortungsbewussteres Engagement in der NATO selbstbewusster und unabhängiger von den USA ihr sicherheitspolitisches Schicksal in die Hand nehmen. Nur das schafft mittelfristig angesichts der realen Gefahr, die von Russland ausgeht, hinreichend Sicherheit für Europa.

Am 01.Juli übernimmt Estland die EU-Ratspräsidentschaft. Der Aufbau eines sicheren Europas wird dabei für den baltischen Staat „von allergrößter Bedeutung“ sein, denn wie andere baltische Staaten und Polen beurteilt Estland die Bedrohung durch Russland realistisch. Ein sicheres Europa gibt es angesichts der sicherheitspolitischen Lage auf absehbare Zeit aber nur mit der NATO und gegebenenfalls durch Rückgriff auf die nuklearen Fähigkeiten der USA.

Die EU ist immer noch überraschend vereint in der Frage, was den Umgang mit Russland betrifft. Die USA verschärfen die Sanktionen gegenüber Russland. Es gibt also durchaus gemeinsame Interessen, die sicherheitspolitisch am besten durch die NATO vertreten werden!

(16.06.2017)

 

 

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