Hans-Heinrich Dieter

Erwartungen an die EU   (17.07.2017)

 

Der „eiserne“ Reichskanzler Otto von Bismarck hat angesichts einer damaligen Krise in der Balkanregion gesagt: „der Balkan ist nicht die Knochen eines einzigen pommerschen Musketiers wert!“ Nicht nur der Erste Weltkrieg lĂ€sst diese Aussage als weitsichtig erscheinen.

Der diesjĂ€hrige Westbalkan-Gipfel in Triest ist beendet. Unter der Dreier-Moderation von Kanzlerin Merkel, PrĂ€sident Macron und MinisterprĂ€sident Gentiloni wurde ein Aktionsplan fĂŒr den Balkan ausgearbeitet, der den freien Waren- und Kapital-Fluss ohne jegliche Restriktionen garantieren, die Wirtschaft in allen BalkanlĂ€ndern ankurbeln und eine langfristige Zusammenarbeit zwischen den Balkanstaaten und der EU ermöglichen soll. Das ist sicher kein Durchbruch und auch nichts wirklich Neues. Denn der „Berlin-Prozess“, der von der deutschen Kanzlerin Merkel schon 2014 eingeleitet wurde, hat eine Ă€hnliche Zielsetzung, bisher aber wenig erreicht.

Warum ist das so? Die EU hat mit den verfrĂŒhten und nicht gerechtfertigten Beitritten RumĂ€niens und Bulgariens schlechte Erfahrungen gemacht und agiert seitdem sehr viel vorsichtiger mit möglichen zukĂŒnftigen Beitritten. Und die Beitrittskandidaten des Westbalkans entwickeln sich - wie auch die TĂŒrkei - nicht in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Einklang mit dem Wertesystem der EU. Im Gegenteil, nationalistisches Denken wird immer deutlicher, die Korruption wĂ€chst und autokratische Strukturen bilden sich heraus. Außerdem fehlt es den Westbalkan-Staaten offenbar an effizienten Verwaltungsstrukturen, um die EU-Förder-Gelder ĂŒberhaupt sinnvoll einsetzen zu können. Aufgrund dieser negativen strukturellen Entwicklungen bleiben dringend benötigte Investitionen in die Volkswirtschaften aus. Auch deswegen stockt der AnnĂ€herungsprozess an die EU und die Beitrittsperspektiven verlĂ€ngern sich in weite Ferne.  Serbien zum Beispiel wollte ursprĂŒnglich bis 2020 Vollmitglied in der EU sein, jetzt wird 2025 angepeilt. Immerhin bleibt es bei einer Beitrittsperspektive.

Weil alle bisherigen Strategien die Region nicht wesentlich nĂ€her an die EU herangefĂŒhrt haben, wird es Zeit, dass die EU ein zukunftsfĂ€higes Konzept entwickelt und sich ehrlich macht. Und dazu mĂŒsste die EU die derzeitige Krise, die Brexit-Verhandlungen und die Separations-Tendenzen der Visegrad-Gruppe sowie die Erfahrungen mit dem inzwischen höchst untauglichen Langzeit-Beitrittskandidaten TĂŒrkei nutzen, um das lohnende Projekt Europa grundsĂ€tzlich anzugehen und die EU zu erneuern. Dazu reicht die gute Chemie der „Paarung“ Merkel/Macron nicht aus. Denn erstens war die deutsch-französische Freundschaft schon immer brĂŒchig, wenn französische staatliche Interessen oder die französische SouverĂ€nitĂ€t berĂŒhrt waren, auch fĂŒr Macron kommt Frankreich immer zuerst. Und zweitens schreckt dieser vermeintliche „europĂ€ische Motor“ auch ab, denn die EU hat darĂŒber hinaus noch 26 weitere Mitgliedstaaten, die sich in den Hintergrund gedrĂ€ngt sehen. Die EU insgesamt muss unter der FĂŒhrung des „politischen“ aber leider sehr schwachen KommissionsprĂ€sidenten Juncker einen echten Reformprozess nun wirklich in die Wege leiten und nicht nur auf der Grundlage von untauglichen Strategiepapieren darĂŒber reden. Und dieser Prozess muss vom EU-Parlament kontrolliert werden.

Wenn es um eine erneuerte EuropĂ€ische Union geht, muss man auch die Frage stellen, ob auf der Grundlage der gĂŒltigen VertrĂ€ge 28 Mitglieder mit ganz unterschiedlichen Erwartungen an die Wertegemeinschaft EU nicht zu viele sind, denn derzeit ist die EU nicht entscheidungs- und handlungsfĂ€hig. Deshalb muss die EU ihre Struktur Ă€ndern und qualifizierte Mehrheitsentscheidungen zur Grundlage ihrer HandlungsfĂ€higkeit machen. Die EU muss sich Ziele in den relevanten Politikfeldern setzen und die dafĂŒr erforderliche gemeinsame Politik definieren. Dort wo erforderlich, muss die EU zu einer tieferen Integration finden. Staaten die eine tiefere Integration wollen, bilden eine Kern-EU, Mitgliedstaaten, die das nicht wollen, sollte der EU-Austritt ermöglicht werden, an die Stelle der Mitgliedschaft kann dann eine privilegierte Partnerschaft treten.

Und in diesem Zusammenhang sollte die EU zu einer realitĂ€tsnahen, ehrlichen Erweiterungspolitik finden und angesichts der Entwicklung der TĂŒrkei hin zu einem autokratischen PrĂ€sidialsystem die Beitrittsverhandlungen mit dem Ziel einer Vollmitgliedschaft endlich beenden  und die EU-Zahlungen an die TĂŒrkei fĂŒr Beitrittshilfen und Strukturentwicklung sofort einstellen. An die Stelle des Beitrittsprozesses sollte die Erarbeitung eines Vertrages treten, der die zukĂŒnftige politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem fĂŒr Europa durchaus wichtigen Pufferstaat zu Asien und der arabischen Welt grundlegend regelt.

Ein solches Verfahren sollte auch bei anderen Beitrittskandidaten - wie den Westbalkan-Staaten - angewandt werden, die aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen absehbar keine realistische Chance haben, mittelfristig Vollmitglieder der EU zu werden. Ein solches Verfahren ist ehrlicher, erspart der jeweiligen Bevölkerung EnttĂ€uschungen und ermöglicht sehr viel frĂŒher eine fĂŒr beide Seiten fruchtbringende Zusammenarbeit.

Die EU muss handlungsfĂ€hig werden und darf nicht im Dauerkrisenmodus verharren. Dazu muss die EU ihre Struktur Ă€ndern und darf sich nicht ĂŒberdehnen. Gleichzeitig darf die EU sich nicht abschotten, sondern muss eine enge politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit einer tiefer integrierten Kern-EU mit europĂ€ischen Partnern auf der Grundlage von VertrĂ€gen gewĂ€hrleisten.

(17.07.2017)

 

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