Hans-Heinrich Dieter

Enttäuschendes Israel   (01.08.2014)

 

Israel ist das einzige Land im Nahen Osten, das demokratisch verfasst ist und auch nach westlichen Werten lebt. Wenn dieses Land gegen Verbrecher und Terroristen aus dem muslimischen Umfeld kämpft, um seine Bevölkerung vor dem verbrecherischen Einsatz unpräziser Raketen gegen zivile Ziele und vor Anschlägen durch Tunnel infiltrierter Hamas-Terroristen zu schützen, dann müssen wir das grundsätzlich unterstützen, denn das Existenzrecht Israels muss gewahrt bleiben. Wenn Israel allerdings zur Verhinderung von Verbrechen der Hamas-Terroristen zu militärischen Maßnahmen jenseits des Völkerrechtes und des internationalen Rechtes greift, dann ist das unzivilisiert und enttäuschend.

Israel hat gut ausgerüstete, organisierte und ausgebildete Streitkräfte sowie sehr leistungsfähige Geheimdienste. Wenn der Gaza-Streifen seit 2006 durch Israel abgeriegelt und blockiert ist, dann ist es schwer verständlich und zeugt nicht von Professionalität, dass Israel so wenige Informationen über das leistungsfähige Tunnelsystem der Hamas hatte und diesbezüglich die Bodenoffensive unzureichend vorbereitet begonnen hat. Israel kennt die unzureichende Zielgenauigkeit der ungelenkten Raketen der Hamas, verfügt über ein leistungsfähiges Abwehrsystem wie die „Eiserne Kuppel“ und sieht die Gefahr für die Bevölkerung hauptsächlich aufgrund der ungeahnten Menge an verfügbaren Raketen – gleichzeitig liefern die Raketen einen guten Grund für die Offensive. Bei über 1000 abgefeuerten Raketen sind allerdings bisher keine zehn israelischen Zivilbürger ums Leben gekommen. Wenn Israel durch Terroristen bedroht ist, dann müssen diese Verbrecher natürlich unschädlich gemacht werden. Israel verfügt über leistungsfähige Drohnen und könnte - wie bisher auch - Terroristenführer sowie Raketen- und Mörserstellungen durch solche Präzisionswaffen ausschalten und so den Beschuss sowie die Zerstörung von zivilen Einrichtungen vermeiden. Wenn immer wieder Zivilisten, dabei auch Kinder, in zu großer Zahl durch israelisches Feuer ums Leben kommen, dann spricht das nicht für einen verantwortungsbewussten und professionellen Gebrauch von Kriegswaffen durch die israelischen Soldaten. Das ist insbesondere aufgrund der großen Ãœberlegenheit der israelischen Streitkräfte enttäuschend und schwer zu akzeptieren.

Die Israelian Defence Force (IDF) sieht sich selbst als die moralischste Armee der Welt. Wenn aber die IDF das einzige Kraftwerk in Brand schießt, das auch Krankenhäuser im Gaza-Streifen versorgt, wenn spielende Jugendliche am Strand israelischem Beschuss zum Opfer fallen, wenn UN-Schulen, die als Flüchtlingslager dienen, unter israelisches Feuer mit zahlreichen zivilen Opfern geraten und wenn in einem nicht zu rechtfertigenden Umfang zivile Infrastruktur zerstört wird, um nur wenige Beispiele zu nennen, dann wird die IDF dem selbst formulierten hohen moralischen Anspruch nicht gerecht und umso zynischer klingt es, wenn Netanjahu jetzt von dem gerechtesten israelischen Krieg spricht. Die israelische NGO „Breaking the Silence“ sieht das israelische Vorgehen im Gaza-Streifen im Zuge der Bodenoffensive hingegen sehr kritisch. Yehuda Shaul im Interview mit dem Deutschlandfunk: „Hamas beschießt Israel, um möglichst viele Zivilisten zu verletzen. Das ist so. Aber wie antwortet man darauf? Unsere Politik besteht darin, auf Häuser von Hamas-Kämpfern zu zielen, auch wenn die unsere Truppen gar nicht direkt bedrohen. Und auch wenn wir wissen, dass sich Zivilisten in diesen Häusern befinden, sprengen wir sie in die Luft. Das ist doch nicht hinnehmbar. Natürlich hat Israel das Recht zur Selbstverteidigung und sogar die Verpflichtung, Israelis zu verteidigen. Ich erwarte von meinem Land, dass es mich verteidigt. Die Frage lautet nur: wie und zu welchem Preis. Häuser in die Luft zu sprengen, in denen sich ganze Familien aufhalten, ist vollkommen inakzeptabel.“

Die israelische Armee handelt im Auftrag der israelischen Regierung mit Billigung der Volksvertreter. Die große Mehrheit der israelischen Bevölkerung befürwortet die Offensive gegen die Bevölkerung im Gaza-Streifen. Die Stimmung ist aufgeheizt, israelische Kritiker werden verprügelt, eine kritische Berichterstattung ist offenbar nur sehr eingeschränkt möglich, die Opposition trägt die Gaza-Offensive in Art und Umfang mit und die aggressive Stimmung wird durch Hardliner-Minister wie Bennet noch angeheizt, die es für richtig und am besten hielten, wenn ganze Teile von Gaza-Stadt „ausradiert“ würden. In dieser Stimmung handelt der eine oder andere Soldat sicher auch emotional aus Rachegelüsten und nimmt den Tod von Zivilpersonen billigend in Kauf.

Wenn die Emotionen auf beiden Seiten so hochgeschaukelt sind, dann gerät das Ziel aus den Augen. Ziel muss es doch sein, dass Israel dauerhaft und sicher in Frieden leben kann. Keiner der zahlreichen Kriege hat Israel bisher diesem Ziel näher gebracht. Denn dieses Ziel ist militärisch nicht zu erreichen, sondern nur dadurch, dass man den Palästinensern ein eigenverantwortliches Leben in einem eigenen Staat auf der Grundlage des Völkerrechtes in Würde zugesteht. Dazu wären nach einem dauerhaften Waffenstillstand in Verhandlungen für beide Seiten schwer zu ertragende Kompromisse zu schließen. Die Voraussetzungen dafür sind durch die israelische Siedlungspolitik, durch das bewusste Scheitern lassen der Friedensverhandlungen und durch den neuerlichen Gaza-Konflikt mit sich noch steigerndem gegenseitigen Hass auf Jahre zerstört.

Netanjahu und seine rechtsradikalen Koalitionspartner stört das nicht. Netanjahu und seine Regierung wollen keinen Frieden auf der Grundlage einer Zwei-Staaten-Lösung. Deswegen kümmert sich diese Regierung auch nicht um internationale Proteste hinsichtlich der israelischen Kriegführung, um Aufrufe der UN oder um diplomatische Bemühungen des ungeliebten US-Außenministers Kerry. Netanjahu lässt die IDF ihre „Arbeit“ im Gaza-Streifen vollständig erfüllen und wird zusammen mit den Rechtsradikalen die nächste Regierung bilden. Das ist im Hinblick auf eine Friedenslösung sehr enttäuschend, aber die Stimmung der israelischen Bevölkerung lässt wohl keine bessere Lösung mit der Aussicht auf Frieden zu.

(01.08.2014)

 

 

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