Hans-Heinrich Dieter

 

Vor dem NATO-Gipfel in Chicago (25.04.2012)

 

Das Treffen der Außen- und Verteidigungsminister der NATO am 18./19. April in Brüssel zur Vorbereitung des NATO-Gipfels im Mai in Chicago hat relativ wenig Resonanz in den Medien gefunden. Dabei ging es um wichtige Zukunftsthemen.

Im Mittelpunkt stand natürlich die gesichtswahrende Übergabe der Sicherheitsverantwortung in Afghanistan bis 2014 und die Unterstützung des Landes nach Abzug der internationalen Kampftruppen. Und in diesem Zusammenhang geht es um viel Geld und die Lösung immenser logistischer Probleme.

Wichtiges Thema war aber auch die Überprüfung des Abschreckungs- und Verteidigungsdispositivs im Hinblick auf die künftigen Fähigkeiten und Mittel der NATO. Denn die NATO will sich im Mai in Chicago auf eine zukunftsorientierte, angemessene "Mischung aus nuklearen und konventionellen Streitkräften unter Einschluss der Raketenabwehr und Instrumenten der kooperativen Sicherheit" festlegen. Dazu gehört natürlich auch die Raketenabwehr in Europa und deswegen war es wichtig, dass die NATO-Außenminister dieses Thema am 19. April im NATO-Russland-Rat mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow erörtert haben. Außenminister Westerwelle sagte dazu sehr zutreffend: "Sicherheit in Europa gibt es nur mit, nicht gegen Russland". Soweit nichts Neues!

Auf der Tagesordnung fehlte aber als wichtiges Zukunftsthema die Aufarbeitung des Libyen-Engagements der NATO. An den Libyen-Kampfeinsätzen nahmen nur neun NATO-Mitglieder teil. Und es gab eine Menge internen Streit unter den 28 Staaten um den Militäreinsatz, so dass der ehemalige US-Verteidigungsminister Gates sogar von einer zweigeteilten NATO sprach. Die NATO hat das Waffenembargo nicht durchgesetzt, denn das hätte auch bedeutet, das Embargo gegen die Mitglieder Frankreich und Italien wirksam werden zu lassen. Nach elf Wochen Einsatz wurde die Präzisionsmunition der NATO-Verbündeten knapp. Die NATO hat hier zu erkennen gegeben, dass ihre Reichweite für intensive Militäreinsätze nur sehr begrenzt ist. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz nach der internationalen Libyen-Konferenz in Paris sagte der britische Premier Cameron, der Nato-Einsatz in Libyen werde so lange andauern, wie dies notwendig sein werde. Und der französische Präsident Sarkozy rief demPräsidenten des Nationalen Ãœbergangsrats, Dschalil, nach seiner Rede vor den Vereinten Nationen zu, die Nato werde so lange in Libyen bleiben, wie der Ãœbergangsrat diese brauche. Der NATO-Generalsekretär sagte dazu nichts und wurde wohl auch nicht gefragt.  Und als Sarkozy und Cameron sich dann, gerade noch vor Erdogan, in Tripolis als Sieger feiern ließen, machten sie sehr deutlich, wie sie die NATO einschätzen, vorwiegend als Erfüllungsgehilfe, im Falle Libyens auch sehr weitgehender französischer nationaler Interessen. Hier werden tiefgreifende Probleme des Sicherheitsbündnisses NATO sehr deutlich: Unzureichende Gemeinsamkeit, mangelhafte Solidarität, eingeschränkte militärische Fähigkeiten und erkennbar nachlassendes US-Engagement.

Die NATO muss unbedingt diese grundlegenden Probleme und den internen Streit über den Libyen-Einsatz aufarbeiten. Die NATO wird sich zusammen mit den europäischen Partnern auf hoher Ebene darum bemühen müssen, die USA für politisches und militärisches Engagement in und mit der NATO interessiert zu halten. Und die NATO muss über ihre zukünftigen militärischen Fähigkeiten und Mittel nicht nur grundsätzlich sondern sehr konkret an den Beispielen Libyen und Afghanistan beraten. Und bei jeder NATO-Konferenz muss die Solidarität im Bündnis, die Rüstungskooperation und der Umgang der Mitglieder mit der NATO intensiv thematisiert werden, wenn die NATO als gemeinsames Sicherheits-Bündnis von 28 Mitgliedstaaten glaubhaft und funktionsfähig bleiben will.

Ohne Aufarbeitung dieser grundlegenden Probleme machen Entscheidungen zu anderen wichtigen Zukunftsthemen weniger Sinn.

(25.04.2012)

 

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