Hans-Heinrich Dieter

Die EU muss handeln   (31.08.2020)

 

Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland besteht fort und wird „zementiert“, die russische hybride Kriegsführung in der Ostukraine sowie die Destabilisierung der Ukraine sind Realität, Russland unterstützt in Syrien Machthaber Assad aus machtpolitischen Eigeninteressen gegen die Interessen der westlichen Welt, Russland führt Cyber-Attacken gegen EU- und NATO-Staaten aus und nutzt jede Gelegenheit, um die EU zu spalten. Das Russland Putins sieht sich nicht mehr als Partner der westlichen Welt, sondern verhält sich als Gegner.

Und Putin macht die hässliche Fratze des russischen Sozialismus in den letzten Jahren durch eine Serie von Mordanschlägen gegen Oppositionelle und Dissidenten deutlich sichtbar. Der jüngste Mordanschlag gegen den russischen Oppositionsführer Nawalny hat das deutsch-russische Verhältnis zusätzlich schwer belastet. Von einer strategischen Partnerschaft der NATO, der EU oder Deutschlands kann mittelfristig keine Rede mehr sein. Da muss die EU endlich Charakter zeigen und handeln!

Und nun wird auch noch eine hässliche Fratze des Islamismus deutlich sichtbar. Erdogan hat die von Mustafa Kemal Atatürk 1923 gegründete, säkulare und an Europa orientierte Republik Türkei in einen islamischen Nationalstaat verwandelt, der sich zunehmend als Gegner der EU zu verstehen scheint und auch auf seine Mitgliedschaft in der NATO zunehmend weniger Rücksicht nimmt. Insgesamt hat die Türkei im Zusammenhang mit den Bürgerkriegen in Syrien und in Libyen ihre Außenpolitik militarisiert und sich sowohl gegen die EU als auch gegen NATO-Partner gestellt. Im aktuellen Streit zwischen der Türkei und Griechenland um Gasvorkommen und Hoheitszonen im östlichen Mittelmeer hat die Türkei sogar mit Krieg gedroht. Es ist erkennbar, dass die Türkei durch ihr hochaggressives Verhalten die Toleranzgrenzen der EU testen will. Die Europäische Union unterstützt ihr Mitglied Griechenland auf der Grundlage des Lausanner Vertrages von 1923. Bisher haben Drohungen der EU mit Sanktionen gegen die Türkei allerdings keine Wirkung gezeigt. Und die Gefahr einer militärischen Eskalation wächst. Bisher hat die EU offensichtlich noch keine konkreten Vorstellungen entwickelt, wie mit dem inzwischen hochaggressiven EU-Beitrittskandidaten Türkei umzugehen ist. Auch hier muss die EU Charakter zeigen und handeln!

Autokraten wie Putin und der Möchtegern-Osmanensultan Erdogan missverstehen politisches Entgegenkommen immer als Schwäche, die auszunutzen ist. Verhandlungserfolge in einem Dialog mit Russland oder auch die Korrektur eines völkerrechtswidrigen und internationales Recht brechenden Verhaltens Russlands wird es daher nur aus einer Position westlicher Geschlossenheit und Stärke geben. Gleiches gilt für das politische Verhalten der EU im Zusammenwirken mit der NATO gegenüber der Türkei. Dazu muss die EU sich mittelfristig so reformieren, dass sie entscheidungs- und handlungsfähig wird. Die EU muss eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik definieren und auf dieser Grundlage enger mit der NATO zusammenarbeiten. Denn nur von einer gemeinsamen europäischen Wehrfähigkeit im Zusammenhang mit der Möglichkeit zur Ausübung wirtschaftspolitischer Macht werden sich Putin und Erdogan beeindrucken lassen.

Kurzfristig sollte die EU die Sanktionen – auch in Abhängigkeit des Eingreifens Russlands in Belarus gegen die demonstrierende Bevölkerung – deutlich erhöhen. Deutschland sollte die Gemeinsamkeit der EU dadurch stärken, dass es die Zusammenarbeit mit Russland bei Nordstream 2 beendet und gleichzeitig die Laufzeit unserer Atomkraftwerke auf unbestimmte Zeit verlängert, um die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen sowie die Defizite bei der Entwicklung unserer Solar- und Windenergie auszugleichen. Die EU sollte darüber hinaus die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei endgültig beenden, alle Zahlungen einstellen und eine generelle – nicht Corona-abhängige – Reisewarnung für die Türkei aussprechen, denn es ist nicht zu verantworten, EU-Bürger willkürlichen Verhaftungen in einem potentiellen Kriegsgebiet auszusetzen.

(31.08.2020)

 

 

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