Hans-Heinrich Dieter

Der nur schwer erträgliche Chauvinist Erdogan (04.11.2011)

 

Die türkische Wirtschaft wächst erfreulich gut, die Türkei ist nicht der kranke Mann am Bosporus, sondern eine Wachstums-Nation zwischen Europa und Asien. Das schafft türkisches Selbstvertrauen. Starkes Selbstvertrauen kann aber leicht zur Selbstüberschätzung werden. Nach dem starken Erdbeben im Osten der Türkei hat Ministerpräsident Erdogan zunächst ausländische Hilfe mit dem Hinweis abgelehnt, die Türkei bewältige solche inneren Angelegenheiten selbst. Erst am 26.10.2011 hat die Regierung in Ankara, etwas kleinlauter, Versäumnisse eingeräumt und Hilfsangebote aus dem Ausland angenommen. Die Bundesregierung unterstützt mit 360.000 Euro Soforthilfe und umfangreichen Sachleistungen. Mit etwas weniger Selbstüberschätzung hätte der betroffenen und frierenden Bevölkerung deutlich schneller geholfen werden können.

Wenn sich starkes Selbstvertrauen aufgrund wirtschaftlicher Erfolge mit ausgeprägtem türkischem Nationalbewusstsein paart, werden manche Vertreter der Türkei sehr schnell unangenehm und schwer erträglich. Ministerpräsident Erdogan ist ein Muster eines solchen Politikers.

Erdogan macht aggressive Außenpolitik und verknüpft das mit Machtansprüchen, "Unsere Interessen reichen vom Suezkanal bis zum Indischen Ozean." Erdogan stilisiert sich zur Symbolfigur eines muslimischen Frühlings und lässt sich in Tripolis von den Rebellen feiern. Gleichzeitig macht er Kanonenboot-Politik gegenüber Israel und gegenüber Zypern und kündigt an, die Beziehungen zur EU einzufrieren, wenn Zypern im kommenden Jahr turnusmäßig den EU-Vorsitz übernimmt. Diese Politik erzeugt insbesondere bei den unmittelbaren Nachbarn Unruhe und Besorgnis.

Die Einladung der Bundesregierung zur Teilnahme am Festakt zum 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens in Berlin nutzt Erdogan erneut zu "Kanonenboot-Politik". Er übt massive Kritik an der Bundesregierung und wirft ihr Fehler bei der Integration seiner Landsleute vor. Erdogan kritisiert, dass die deutsche Politik die Integration der drei Millionen Türken in die deutsche Gesellschaft nicht genug würdige und plädiert für eine doppelte Staatsbürgerschaft für diese Türken und türkischstämmigen Menschen in Deutschland. Erdogan betont, es gebe in der Bundesrepublik bereits 72.000 türkische Arbeitgeber, die 350.000 Arbeitsplätze bereitstellten. Er warnt erneut vor der "Assimilation", die in Deutschland keiner fordert, und wendet sich in scharfer Form gegen die verlangten Deutschkenntnisse für den Zuzug von Familienangehörigen: "Wer Deutschkenntnisse zur wichtigsten Voraussetzung erklärt, verletzt die Menschenrechte." Und Erdogan geht mit seiner das Gastrecht deutlich verletzenden Verhaltensweise so weit, dass er seine schon abgegriffene Forderung wiederholt, Türken in Deutschland sollten ihren Kindern zuerst Türkisch und dann Deutsch beibringen, denn wenn ein Kind eine neue Sprache erlernen solle, müsse es die eigene Sprache gut können. Erdogan verkennt, dass die “eigene Sprache” integrationswilliger Kinder  Deutsch ist.

Der Chauvinist Erdogan, der sich immer wieder zum Ministerpräsidenten auch der türkischstämmigen Deutschen aufwirft, fordert, belehrt, schulmeistert, kritisiert als sehr unangenehmer Gast aus nationalistischer türkischer Sicht, ohne hinreichendes Verständnis für die politischen und gesellschaftlichen Belange seiner Gastgeber. Kanzlerin Merkel hingegen lobhudelt ein wenig, wenn sie feststellt, die Migranten aus der Türkei seien ein Teil des Landes geworden, und Bundespräsident Wulff findet gegenüber Erdogan offenbar auch keine klaren Worte und setzt auf Harmonie. Dabei gibt es genug Grund, und es wäre an der Zeit, Erdogan auch öffentlich in die Schranken zu weisen.

Wir müssen Erdogan immer wieder darauf hinweisen, dass die Migrationsgruppe aus der Türkei die größte, die vielfältigste aber auch die Gruppe mit den größten Integrationsdefiziten ist. Wenn türkische Arbeitgeber Arbeitsplätze schaffen, dann ist das erfreulich. Sehr unerfreulich ist, dass 45% der türkischen Migranten keinen Schulabschluss haben. Das Abitur schafft nur jeder 14te. Nach der Schulzeit zeigen sich viele türkischstämmige Personen wenig bildungsbemüht und deswegen ist die Quote der ungelernten Arbeiter im Vergleich zu anderen Migrationsgruppen sehr hoch und 15 % leben von Hartz IV und belasten die Sozialsysteme auf Kosten der  Steuerzahler. Die Ursachen unzureichender Schul- und Berufsabschlüsse sind in aller Regel mangelhafte Deutschkenntnisse. Das zeigt welch unsinnige Forderungen Erdogan stellt. Und der türkische Ministerpräsident denkt natürlich nicht an die deutschstämmigen Schulkinder, die in Schulklassen deutscher Großstädte mit ca. 50% Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund in ihrer schulischen Entwicklung allein aufgrund der schlechten Deutschkenntnisse vieler ihrer Mitschüler deutlich behindert werden.

Etwa 30% der türkischstämmigen Migranten bekennt sich eindeutig zur neuen deutschen Heimat mit deutschem Pass. In dieser Gruppe finden sich Akademiker mit ausgezeichneten Deutschkenntnissen, Kulturschaffende und Arbeitgeber, die nicht nur Türken Arbeitsmöglichkeiten schaffen. Die Menschen dieser Gruppe braucht Erdogan nicht als Beispiel heranzuziehen, denn sie wollten integriert werden, haben Deutsch gelernt, haben sich weitergebildet und werden auch als wichtiger Teil unserer Gesellschaft anerkannt.

Und dieser Erdogan fühlt sich von Deutschland im Stich gelassen und beklagt die mangelnde Unterstützung deutscher Politiker für einen EU-Beitritt der Türkei. Dem Chauvinisten Erdogan ist in diesen Zusammenhängen natürlich nicht klar, dass er der Integration türkischstämmiger Bürger in die deutsche Gesellschaft nicht nur sehr schadet, sondern dass er mit seinem schwer erträglichen Auftreten deutsche Politiker immer wieder in der Auffassung bestärkt, dass ein Land mit einem solchen Ministerpräsidenten ein Fremdkörper in der EU wäre. Der Europäischen Union gelingt es bisher nicht, eine abgestimmte europäische Außen- und Sicherheitspolitik zu machen. Von einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik ist die EU noch weit entfernt. Die EU hat Mitglieder wie Rumänien und Bulgarien aufgenommen, die die Voraussetzungen noch nicht erfüllen. Die Euro-Staaten sind bei der Aufnahme Griechenlands in die Euro-Gruppe einem Betrug und gefälschten Bilanzen aufgesessen. Und die Europäische Union insgesamt leidet unter der jahrelangen Misswirtschaft mehrerer Mitglieder und der dadurch verursachten hohen Staatsverschuldung. Es gibt also Probleme genug, warum sollte die EU sich unter diesen Rahmenbedingungen mit einem neuen Mitglied belasten, das eher spaltet als eint, das eine aggressive Außenpolitik betreibt und immer wieder durch sehr eigenwillige Auslegungen der Menschenrechte auf sich aufmerksam macht?

In der Europäischen Union gibt es genug Staaten, die durch vorwiegend national orientierte Politik Gemeinschaftsprojekte behindern. Chauvinisten wie Erdogan sind da fehl am Platze. Die erheblichen Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei sollten nicht durch falsche Harmonie überkleistert, sondern durch faire politische Auseinandersetzung überwunden werden.

(04.11.2011)

 

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