Hans-Heinrich Dieter

Arabische Demokratiebewegung? (15.05.2011)

 

Die Aufstände entmündigter, verarmter und unterdrückter arabischer Bevölkerungsteile gegen brutale autokratische Regime und sich bereichernde Oberschichten sind schon mit mehreren Begriffen belegt worden: „Arabischer Frühling“, „Arabellion“ aber auch „Arabische Demokratiebewegung“. „Frühling“ als Aufbruch in etwas Neues, Frisches passt nicht schlecht und die Wortschöpfung der F.A.Z. „Arabellion“ bringt die Ereignisse auf eine interessante Kurzformel. Da bleibt die Frage, ob Hunger-Revolten, Aufstand von Arbeitslosen für Arbeit und bessere Lebensbedingungen und Demonstrationen für mehr bürgerliche Freiheiten schon den Begriff „Demokratiebewegung“ verdienen.

Wir im Westen machen häufig den Fehler, dass wir politische Entwicklungen in anderen Regionen der Welt westeuropäisch-zentriert beurteilen, ohne die geschichtlichen, kulturellen und religiösen Hintergründe hinreichend zu berücksichtigen. Nachdem wir unser Engagement in Afghanistan begonnen haben mit dem Ziel, das geschundene Land in eine „Westminster-Demokratie“ zu verwandeln, haben wir inzwischen gelernt, dass Länder mit starken Clan- und Stammesstrukturen sowie einer im Mittelalter hängen gebliebenen Religion, langsam und behutsam einen eigenen Weg zu mehr Menschen- und Bürgerrechten, zur Gleichberechtigung der Frauen und zu demokratisierten Strukturen und politischen Verfahrensweisen finden müssen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will trotzdem „die Demokratiebewegungen in der arabischen Welt“ unterstützen. Vor einem Treffen mit dem ehemaligen Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, in Berlin sagte sie, der Schlüssel für eine friedliche und demokratische Entwicklung sei wirtschaftlicher Fortschritt, insbesondere angesichts der schwierigen Lage der Jugendlichen in den arabischen Ländern.

Amr Mussa hingegen ist in der Wortwahl vorsichtiger, wenn er sagt: „Überall in der arabischen Welt fordern die Menschen Freiheit. Das ist legitim. Alle müssen akzeptieren, dass die arabische Welt sich wandelt und modernisiert.“

Er spricht nur von Freiheit und Modernisierung, von Gleichheit, von der Gleichberechtigung der Frauen und von den Menschenrechten spricht er nicht. Als ehemaliger Generalsekretär der Arabischen Liga kennt er den kulturellen und religiösen Hintergrund in den arabischen Staaten nur zu genau. Denn solange der Islam totalitäre Ansprüche hat, in zum Teil mittelalterlichen Denkstrukturen verharrt, und solange die Trennung von Religion und Politik nicht konsequent vollzogen wird, hat Demokratie in islamischen Ländern nur geringe Chancen.

Und was bezeichnen euphorische Politiker als „arabische Demokratiebewegung“? Allgemein lässt sich noch nicht genau definieren, wer oder welche Gruppierungen in welcher Stärke und wie strukturiert, sich mit welchem Ziel vermeintlich in Richtung Demokratie bewegen und demokratisch legitimierte Regierungsgewalt übernehmen könnten. Gute und tragfähige institutionelle Vorbedingungen und Know How für Demokratiebewegungen gibt es in keinem der arabischen Staaten.

In Tunesien müssen zunächst die wirtschaftlichen und sozialen Probleme sowie die hohe Arbeitslosigkeit angepackt werden. In Ägypten könnten nach dem Sturz Mubaraks die islamischen Fundamentalisten in den Vordergrund treten und für nachhaltige Probleme sorgen, die ständigen Unruhen zwischen Muslimen und Christen sprechen da ihre eigene Sprache. Assad in Syrien wird sich hüten, dem wenig attraktiven Beispiel Mubaraks zu folgen. Die Repressionen in Bahrain und im Jemen werden nahezu ungehindert fortgesetzt. Der Bürgerkrieg in Libyen wird sich noch länger hinziehen, mit einer Abdankung Gaddafis darf nicht gerechnet werden. In Marokko und Jordanien werden wohl Zug um Zug mehr bürgerliche Freiheiten zugestanden werden. Die Entwicklung des Palästinenser-Problems ist völlig offen.

Und wir dürfen auch nicht die Augen davor verschließen, dass der größte islamische Staat, Indonesien, nur sehr instabile demokratische Strukturen hat und dass der Säkularismus, der Grundzüge von Demokratie in der Türkei ermöglicht hat, vom türkischen Militär über Jahre erzwungen wurde. Wie die derzeitige Islamisierung der Türkei die demokratischen Strukturen beeinflussen wird ist offen. Ein Beispiel für eine erfolgreiche Verbindung von Islam und Demokratie im westlichen Sinne mit garantierten Bürger- und Menschenrechten gibt es bisher nicht.

Den unterdrückten Menschen in der arabischen Welt wünscht man, dass sie sich von ihren brutalen, korrupten und despotischen Führern befreien können. Ob und wann das zu demokratischen Verhältnissen führt, ist von arabischem Land zu muslimischer Nation unterschiedlich chancenreich. Klare Hinweise auf sich entwickelnde demokratische Strukturen gibt es bisher nur vereinzelt. Das Streben der arabischen Jugend nach mehr Freiheit ist bisher ein risikobehaftetes Experiment, dessen Ausgang noch nicht vorhergesagt werden kann. Niemand kann wirklich absehen, ob sich die Machtgestaltung in den instabilen arabischen Staaten eher westlich oder eher radikal-islamisch orientiert. Zur Euphorie gibt es also keinen wirklichen Anlass.

Demokratie lässt sich nicht von außen erzwingen, Demokratie muss unter Berücksichtigung der jeweiligen kulturellen Grundlagen von den Bevölkerungen selbst erstritten werden. Der Westen hat die besten Chancen, wenn er politisch massiv säkulare Bewegungen zu mehr Bürgerrechten in den arabischen Staaten unterstützt und parallel die wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern fördert.

Das Herbeiführen politischer Lösungen in arabischen Krisengebieten und die Beilegung von Bürgerkriegen ist hauptsächlich Aufgabe und Zuständigkeit der Arabischen Liga. Wenn dann die gesellschaftlichen Grundlagen geschaffen sind, kann sich allmählich auch arabische Demokratie entwickeln. Das braucht sicher Zeit.

(15.05.2011)

 

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