Hans-Heinrich Dieter

Afghanistan nach 2014 (02.12.2011)

 

Wie entwickelt sich die Lage nach 2014, wenn die alliierten Kampftruppen Afghanistan verlassen haben? Dazu wird es bei der Bonner Afghanistan-Konferenz gut gemeinte Absichtserklärungen geben. Der Westen will sich sicher verpflichten, das Land nicht alleine zu lassen und weiter großzügig zu unterstützen, mit Geld für Wiederaufbau, Entwicklungsarbeit sowie die Förderung des  politischen Prozesses  und mit militärischer Ausbildungshilfe. Aber auch die Nachbarstaaten sollten möglichst verbindlich erklären, Afghanistans Souveränität zu akzeptieren, Versuche einer Aussöhnung mit den Taliban zu fördern und den wirtschaftlichen Aufbau zu unterstützen. Der wichtigste Nachbar, Pakistan, wird nicht vertreten sein. Pakistans Außenministerin Khan hat allerdings versichert, "Islamabad sei bereit, ohne Hintergedanken `Teil einer Lösung´ zu sein."

Absichtserklärungen sind wichtige politische Signale. Wichtiger wären gemeinschaftlich erarbeitete Analysen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Lage Afghanistans und daraus abgeleitete Prognosen, in welchem gesellschaftlichen Zustand Afghanistan ab 2014 möglichst weitgehend sich selbst überlassen werden soll. Diese Prognosen gäben dann auch Hinweise, wie umfangreich die personellen und materiellen Unterstützungen des Westens über welche Zeiträume nach 2014 zu leisten sein werden. Unter dem Vorsitz von Karsai wird solche anspruchsvolle Arbeit nicht geleistet werden können. Und diese Arbeit soll auch nicht geleistet werden, denn man will ja die "kriegsmüden" Bürger der westlichen Staaten nicht verschrecken, schon überhaupt nicht in Wahlkampfzeiten. Es wird also bei Absichtserklärungen bleiben.

Wenn es keine gemeinschaftlichen Analysen und Prognosen gibt, muss man mit dem breiten Spektrum von Spekulationen und Einschätzungen leben. Dabei wird es den westlichen Politikern darauf ankommen, die Lage in 2014 so einzuschätzen, dass die Übergabe der Verantwortung an afghanische Institutionen vertretbar und verantwortbar erscheint, Präsident Karsai wird undeutlich formulieren, weil es ihm darum gehen muss, einerseits die eigene Handlungsfähigkeit und Souveränität zu dokumentieren, aber andererseits auch eine stabile Grundlage für weitreichende Unterstützungsforderungen an den Westen zu wahren. Die Vereinten Nationen werden die Lage pessimistischer beurteilen als die NATO - offiziell. Afghanische und internationale Fachleute sind insgesamt sehr skeptisch und obwohl immer wieder der zukünftige Vorrang des Zivilen vor dem Militärischen formelartig betont wird, erschöpfen sich Lageeinschätzungen nahezu ausschließlich auf die Sicherheitslage und die Rolle der Taliban.

Kanzlerin Merkel sagt in einem Interview des Generalanzeigers Bonn: "Wir wollen, dass Afghanistan ein stabiles Land wird, auch wenn es vielleicht nicht unseren westlichen Vorstellungen von Demokratie entspricht." Die Aussage hilft nicht viel, wenn nicht gesagt wird, was an Drogen- und Korruptionsbekämpfung sowie an Aufbau leistungsfähiger Verwaltungsstrukturen bis 2014 geleistet werden muss.

Da ist die Analyse des afghanischen Sicherheitsexperten Wahed Wafa wohl eher an der realen Lage orientiert: "Keiner glaubt daran, dass die afghanischen Sicherheitskräfte bis 2014 so weit sind. Genauso wenig glaubt irgendjemand daran, dass Pakistan uns in Ruhe lassen wird, wenn die internationale Truppe abzieht."

Der Sicherheitsberater der afghanischen Regierung, Rangin Dadfar Spanta meint im Hinblick auf die erkennbare Bereitschaft der Taliban zur für eine stabile Entwicklung unabdingbaren Aussöhnung: "Bis jetzt nein. Absolut nein". Ein eingestuftes Dokument der Bundeswehr soll die Auffassung vertreten, dass „Nach dem Ende der Besatzung durch ISAF 2014, ... die Führer der Aufständischen“, die derzeit in Pakistan ihre Basis haben, „nach Afghanistan zurückkehren“ werden. Und ein Bericht des US-Militärs prognostiziert Bürgerkrieg, wenn die ISAF-Truppen Afghanistan verlassen.

Das Mitglied des Verteidigungsausschusses Arnold, SPD, sagt in einem Interview mit dem Deutschlandradio: "Die Welt in Afghanistan ist so, wie sie ist. Man muss mit den Menschen zusammenarbeiten, die man dort hat. Es ist ein Entwicklungsland, eines der ärmsten Länder, es blüht die Korruption, vieles ist nicht in Ordnung und man darf sich es natürlich nicht schön malen. Es bleibt einem aber nichts anderes übrig."(schön gesagt, das mit dem "schön malen") Und weiter: "Die Zusagen, die in Bonn gemacht werden, sind wohlfeil. Glaubwürdig werden sie erst, wenn sie die Staaten materiell unterlegen, und in keinem Land wird das einfach angesichts der Finanzkrise in allen Staaten."

Der Alltag in Afghanistan wird auch während der Konferenz weitergehen. Heute meldet Focus-online: "Ein Selbstmordattentäter hat sich vor einem Nato-Stützpunkt in Afghanistan in die Luft gesprengt. Bis zu 70 Menschen sind verletzt worden, der Attentäter wurde noch am Tor gestoppt." Nach der Konferenz werden die westlichen Staaten wie auch Karsai an ihren Absichtserklärungen gemessen werden. Die verbleibende Zeit bis zum Abzug aller Kampftruppen in 2014 ist sehr knapp und es sind noch einige Augias-Ställe auszumisten. Wenn dann die Freude über die politischen Absichtserklärungen etwas abgeklungen ist, wird sich auch die Politik mit ganz praktischen Fragen auseinandersetzen müssen wie etwa: "Wer schützt denn die Ausbilder und die Aufbauhelfer, wenn die Kampftruppen weg sind?"

(02.12.2011)

 

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