Hans-Heinrich Dieter

Afghanistan-Connection?   (09.10.2014)

 

Der Artikel, den Michael Schmidt und Markus Frenzel am 07.10.2014 in der ZEIT zur sogenannten Afghanistan-Connection veröffentlicht haben, ist ein gutes Beispiel für höchst mittelmäßigen Journalismus. Die Schreiber geben vor, lange und intensiv recherchiert zu haben, machen sich fest an einem vermeintlichen hohen "Offizier in verantwortungsvoller Position im Ministerium, der anonym bleiben möchte", der gesagt haben soll: "Die Bezeichnung Afghanistan-Connection ist die bestmögliche Bezeichnung, die man da finden kann. Es ist eine enge Bruderschaft aus 25 bis 30 Offizieren." Wenn es diesen Offizier gibt, dann ist das wahrscheinlich ein Schreibtischtäter, der nie im Einsatz war, weil ihm die Qualifikation fehlte, oder weil er sich vielleicht einer Zahnbehandlung unterzogen hat, als man ihn in den Einsatz schicken wollte, und der aufgrund seines Leistungsbildes bei einer Förderung im Vergleich mit besser qualifizierten Kameraden nicht berücksichtigt werden konnte. Darüber hinaus werden Behauptungen aufgestellt, Unterstellungen zelebriert, alles mit einer Prise Verschwörungstheorie gewürzt und daraus falsche Schlüsse gezogen. So wird der falsche Eindruck erweckt, dass übermäßig viele Offiziere der Afghanistan-"Bruderschaft" im BMVg einseitig beraten, sich gegenseitig zu Lasten anderer fördern und zu einer "falschen" und "einseitigen Ausrichtung" der Bundeswehr maßgeblich beigetragen hätten.

Natürlich werden für die Führung von Soldaten im Kriegseinsatz und zur Krisenbewältigung die besten Soldaten ausgesucht, die haben natürlich Perspektive und werden dann später auch im Ministerium gebraucht. Es macht sehr viel Sinn, dass ein einsatzerfahrener Offizier Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, insbesondere weil der Generalinspekteur auch für die Einsätze militärisch verantwortlich ist. Es ist natürlich von der Aufgabe her geboten, dass Generalleutnant Kneip als mehrfach im Einsatz erfolgreicher und verantwortlicher militärischer Führer Abteilungsleiter "Strategie und Einsatz" im Ministerium ist. Und wenn die Schreiber frech behaupten, "der Organisationsplan des Ministeriums unter der Führung von Ursula von der Leyen (CDU) liest sich in Teilen wie das Who’s who des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan", dann haben sie mit sehr wenig Sachverstand nur einen ganz kleinen Teil ausgewertet und davon noch wenig verstanden.

Die ziemlich schwache journalistische Leistung wird aber noch weiter geschwächt durch die Auswahl von Interviewpartnern. Der frühere Generalinspekteur Kujat hat minimale Truppenführungs- und keinerlei Einsatzerfahrung. Er meint anmerken zu müssen, was über die Stabilisierungs- und Kriseneinsätze vergessen werde, sei, "dass wir auch Verantwortung übernommen haben für unsere östlichen Verbündeten, also für Polen beispielsweise und die baltischen Staaten". Der Afghanistaneinsatz läuft seit 2001 und Kujat tut so, als hätte man die Abkehr Russlands aus der Partnerschaft mit Europa, die russische Bereitschaft zu Völkerrechtsverletzungen und die Ukraine-Krise vorhersehen und an der Hochrüstung gegen Feind in der Qualität des Warschauer Paktes festhalten müssen. Kujat hat allerdings seinen Beitrag zur heutigen Schieflage der Bundeswehr bei Hauptwaffensystemen dadurch geleistet, dass er als Generalinspekteur an den im Kalten Krieg bestellten Stückzahlen festgehalten und so die Entwicklung zukunftsorientierter ausgewogener Fähigkeiten der Bundeswehr behindert hat.

Der denkbar ungeeignetste Gesprächspartner in solchen Angelegenheiten ist General a.D. Schneiderhan. Schneiderhan hat eingeschränkte Truppenführungs- und keinerlei Einsatzerfahrung. Als Generalinspekteur hat er unter anderem den unfähigen Minister Jung so beraten, dass er unfähig geblieben ist. Auch er hat an den Stückzahlen der Rüstung des Kalten Krieges weitgehend festgehalten und so zur  heutigen Rüstungsmisere beigetragen. Darüber hinaus hat er als Vorsitzender des Rüstungsrates nichts unternommen, um die unausgewogene Rüstung der Streitkräfte zu verbessern. Schneiderhan war für die Einsätze der Bundeswehr zuständig, hat aber keinen Einfluss auf das Einsatzführungskommando genommen und ist seiner Verantwortung so nur unzureichend gerecht geworden. Weil er Minister zu Guttenberg unzureichend und unvollständig über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan unterrichtet hat, ist er zurecht gefeuert worden.

Wenn er jetzt seinem Nachfolger Volker Wieker ins Stammbuch schreiben will: "Es ist eine Führungsaufgabe, militärisch und politisch, darauf zu achten, dass da keine durch Personalentscheidungen verengte Beratung stattfindet.", dann unterstellt er unbegründet, dass General Wieker dieser Führungsaufgabe nicht gerecht wird. Und wenn er anfügt:"Ich meine: Was führt der Generalinspekteur sonst, wenn er nicht darauf achtet, dass sein Personaltableau optimal ist für die Aufgaben, die er sieht – heute, morgen und übermorgen?!", dann offenbart er seine Unkenntnis, dass der Generalinspekteur heute Oberbefehlshaber der Streikräfte ist und eine weitaus größere Führungsverantwortung zu tragen hat. Und Schneiderhan lässt uns an seinem eigenen Führungsverständnis teilhaben, das sich wohl darauf beschränkte, seine engsten Mitarbeiter zu führen und zu fördern, alles andere hat er erkennbar eher verwaltet.

Mit der Bundeswehrreform nach 2010 sollte die Truppe, natürlich auch unter dem Eindruck des Afghanistan-Einsatzes, zu einer global einsetzbaren Kriseninterventionsstreitkraft werden. General Wieker wurde 2010 Generalinspekteur, da waren die Weichen für die Reform bereits gestellt. Generalleutnant Kneip wurde im Juni 2013 Abteilungsleiter "Strategie und Einsatz" und kann nicht beeinflusst haben, dass insbesondere die Waffensysteme der Luftwaffe und der Marine besonders von den Mängeln betroffen sind, während das Heer nahezu intakt zu sein scheint. Dass er die Ministerin auf Afghanistan fixiert beraten haben könnte, ist auch nicht erkennbar, sonst hätte sie nicht so viele andere Einsatzmöglichkeiten für die Bundeswehr "angeboten" und sie hätte wohl andere Schwerpunkte gesetzt.

Und im Zusammenhang mit der heutigen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr wird der "Experte" Alexander Neu, Die Linke, zitiert: "Die Afghanistan-Connection hat offensichtlich sehr viel Wert auf die Ausrüstung des Heeres gelegt – wohl auf Kosten der übrigen Teilstreitkräfte." Das ist eine schlimme, bodenlose und infame Unterstellung. Die Einsatzbereitschaftslage und die Materialmängel der Bundeswehr sind auf jahrelange Unterfinanzierung, auf unzureichendes Rüstungsmanagement, auf eingeschränkte Leistungsfähigkeit und Unzuverlässigkeit der Rüstungsindustrie und auf die teilweise sehr hohe Einsatzbelastung der Truppe zurückzuführen. Wenn der deutsche Bundestag die Truppe in einen Kriegseinsatz schickt, dann muss auch dafür gesorgt werden, dass die Soldaten ihren Auftrag unter hinlänglichen Rahmenbedingungen ausführen können. Die Mängelliste, die ein mutiger Kommandeur des Regionalkommandos Nordafghanistan vorgelegt hatte, enthielt 74 die Einsatzbereitschaft beeinträchtigende Punkte. Da ist es selbstverständlich, dass erst diese einsatzbezogenen Mängel behoben werden. Und wenn nur ein Geldtopf verfügbar ist, dann geht das zu Lasten anderer wichtiger Vorhaben. Ständiger Spardruck führte zu Schwerpunktbildungen bei Wartung und Instandsetzung, teilweise sicher auch zu zeitweiliger Kanibalisierung von Wehrmaterial. Der Wehrbeauftragte des deutschen Bundestages hat stets darauf hingewiesen, die Volksvertreter haben ihn nicht ernst genug genommen.

Schlimm ist, dass man verdienten Offizieren unterstellt, dass sie aus eigennützigen Motiven, aus Klüngelinteressen und falscher Kameradschaft die Einsatzbereitschaft und Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr aufs Spiel setzen. Das ist ehrverletzend und infam! Schade, dass sich ehemalige Generalinspekteure dafür benutzen lassen.

(09.10.2014)

 

 

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