Deutsche Afghanistanpolitik und ihre Folgen
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Deutsche Afghanistan-Politik und ihre Folgen (11.05.2010)

 

 

Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik hat sich seit 2001 unerfreulich entwickelt, für Deutschland, für die internationale Staatengemeinschaft und, nicht zuletzt, für Afghanistan und seine leidgeprüfte Bevölkerung.

 

Dabei hat Deutschland sein Afghanistan-Engagement als Gastgeber der Petersberg-Konferenz mit kraftvollen politischen Zeichen und auch Verpflichtungen begonnen. In der euphorischen politischen Stimmung, dem durch langen Krieg und Terrorherrschaft der Taliban geschundenen Volk helfen zu wollen, haben sich die politisch Verantwortlichen allerdings mit der Geschichte, der Kultur und dem Entwicklungsstand der Bevölkerung Afghanistans nicht ausreichend befasst. Anders sind die eklatanten Fehleinschätzungen nicht zu verstehen, dass man mit einem NATO-Einsatz unter deutscher Beteiligung in etwa einem Jahr oder so Afghanistan Frieden und demokratische – nach damaligen Vorstellungen durchaus Westminster-ähnlich - nicht korrupte Verhältnisse sowie stabile staatliche Strukturen verschaffen könnte.

Auf dem Petersberg wurde zunächst eine nicht durch das afghanische Volk legitimierte Interimsverwaltung eingesetzt, die erst später mittels einer Loya Dschirga durch eine Übergangsregierung ersetzt wurde. Dadurch konnte nicht allen Afghanen das Gefühl glaubhaft vermittelt werden, dass sie selbst über ihre Geschicke bestimmen. Das wurde von einem Teil der Afghanen als Geburtsfehler empfunden. Aber schlecht an der damaligen Außen- und Sicherheitspolitik war ohnehin, dass die internationale Gemeinschaft und Deutschland keine so rechten Vorstellungen davon entwickelt hatten, wie man die Stabilität, die alle wollten, in Afghanistan erreichen sollte.

Die unzureichende Eigenständigkeit deutscher Außenpolitik, das Fehlen von eigenen Sicherheitsinteressen, Zielen und Konzepten sowie die geschilderten Fehleinschätzungen sind Ausgangspunkt und Ursachen für unzureichende deutsche Afghanistan-Politik, die sich bis heute auswirkt.

Aufgrund von Fehleinschätzungen der politischen und gesellschaftlichen Lage und der daraus resultierenden Möglichkeiten, das Land zu stabilisieren, haben es die internationale Staatengemeinschaft und Deutschland versäumt, eine tragfähige Gesamtstrategie und davon abgeleitete Konzepte für eine nachhaltige Entwicklung Afghanistans zu formulieren. Den USA und Spezial-Partner Großbritannien ging es zunächst auf der Grundlage eines Beschlusses des Weltsicherheitsrates vornehmlich darum, Al Qaida zu zerschlagen und den weltweiten Terrorismus zu bekämpfen. Deutschland ging es später auf der Grundlage einer UN-Resolution erkennbar darum, solidarisch zu sein und seiner gewachsenen Bedeutung als europäische Mittelmacht bei diesem internationalen Engagement durch einen angemessenen Beitrag gerecht zu werden. Der politische Wille, solidarisch einen Beitrag zu einem internationalen Hilfseinsatz zu leisten, ist da sicher ein Anfang aber nicht hinreichend für ein zielgerichtetes, und nachhaltiges Engagement.

Auf der Grundlage von Fehleinschätzungen und der Petersbergbeschlüsse ging es dann zunächst darum, die Interimsverwaltung und spätere Übergangs-Regierung Karsai in Kabul zu etablieren und militärisch abzusichern. Durch die Konzentration der Maßnahmen auf Kabul und seine nähere Umgebung hat die internationale Staatengemeinschaft selbst dazu beigetragen, dass Karsai nur eingeschränkt anerkannt und später als „Oberbürgermeister von Kabul“ leicht verspottet wurde.

Die internationale Staatengemeinschaft hat zunächst auf der Grundlage einer sehr sinnvollen Arbeitsteilung versucht, staatliche Strukturen zu entwickeln, ein Gerichtswesen zu etablieren und eine Polizei aufzubauen, begleitet von vielfältiger Entwicklungshilfe aller Beteiligten, der Bekämpfung des Drogenanbaus durch die Engländer und der Taliban hauptsächlich durch die USA. Deutschland hatte die Verantwortung für den Aufbau einer afghanischen Polizei übernommen. Auch in der Rückschau klingt das politisch noch vernünftig und sinnvoll. Von Anfang an waren aber Aufgaben und Mittel in einem eklatanten Missverhältnis. Die Staaten waren offensichtlich zu den erforderlichen Kraftanstrengungen nicht bereit. Außerdem war der Ansatz aus vielerlei Gründen zu wenig langfristig angelegt sowie zu wenig zielorientiert und deswegen auch nicht zielführend, bzw. erfolgreich. Denn wenn man keine konkreten Ziele hat, kann man sich auch nicht an Zielen orientieren und kann nur „zufällig“ erfolgreich sein. Wirklicher Erfolg ist nur an Zielparametern orientiert zu messen und mit den erforderlichen Mitteln und Anstrengungen zu erzielen.

Es ist an sich unvorstellbar, aber selbst mit zunehmendem Engagement und mit drastisch steigender Investition hat es die Internationale Staatengemeinschaft weiterhin versäumt, eine tragfähige Gesamtstrategie und ein daraus abgeleitetes konkretes Konzept für die Stabilisierung Afghanistans zu entwickeln. Deutschland hat es versäumt, eine Gesamtstrategie der Gemeinschaft anzumahnen und einen deutschen Beitrag zu deren Formulierung zu leisten sowie ein eigenes Konzept für sein Afghanistanengagement zu entwickeln. Für den „Friedenskanzler“ Schröder war Afghanistan nicht attraktiv und keine „Richtlinie“ wert, Außenminister Fischer war offensichtlich nicht in der Lage, seiner Pflicht zur politischen Federführung zu genügen, mit der für Entwicklung zuständigen „roten Heidi“ Wieczorek-Zeul konnte keiner so recht zusammenarbeiten – weil sie das auch insbesondere mit der Bundeswehr nicht wollte - , Innenminister Schily hatte andere Schwerpunkte und der Erfinder der Parole „Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt“ zeigte sich an der Truppe im Einsatz interessiert, hat aber die Defizite des Gesamt-Engagements entweder nicht erkannt oder verdrängt. Als Folge dieser Gemengelage der politisch Verantwortlichen wurstelten die deutschen Staatsbürger in Afghanistan engagiert aber unkoordiniert mit teilweise sehr eingeschränkten Erfolgen zusammen. Von vernetzten deutschen Anstrengungen war man anfangs auch verbal noch weit entfernt. Und der deutsche Bundestag beschränkte sich im Wesentlichen darauf, über Mandatsobergrenzen für die Parlamentsarmee Bundeswehr zu befinden und dieses Ritual jährlich zu wiederholen. Die deutsche Öffentlichkeit wurde nur unzureichend informiert und war dementsprechend desinteressiert.

Ein erstes eklatantes Ergebnis war das Scheitern des Polizeiaufbaus unter deutscher Verantwortung und die Übernahme dieser Aufgabe durch EUPOL. Darüber hinaus litt der deutsche Stabilisierungseinsatz der Bundeswehr immer unter einschränkendem Mandat sowie zu wenig Truppen und der deutschen Entwicklungshilfe fehlten sowohl ausreichend Mittel als auch die erforderliche Koordination der Anstrengungen der Organisationen untereinander, mit den Aktivitäten der eingesetzten deutschen Truppen und mit den regional zuständigen afghanischen Institutionen. Das alles sind Folgen schlechter Politik.

Die Entwicklung des deutschen Engagements in Afghanistan über die folgenden Jahre muss auf der Grundlage der Geburtsfehler, der mangelnden strategischen Zielsetzung, der Konzeptionslosigkeit, der fehlenden politischen Lagebeurteilung und entsprechender Konsequenzen, der mangelnden Bereitschaft zu lageangemessenem Kräfte- und Mitteleinsatz, des nur sehr eingeschränkten parlamentarischen Engagements und der unzureichenden Information der deutschen Öffentlichkeit verstanden werden. Die Qualität der Arbeit und Zusammenarbeit der sicherheitspolitischen Akteure hat sich außerdem nicht verbessert und mit Verteidigungsminister Jung war ein eher sehr „glückloser“ Politiker zu lange für die Bundeswehr zuständig.

Der Einsatz der Bundeswehr litt darüber hinaus immer unter deutscher „Kriegsphobie“. Die deutschen Soldaten wurden als „bewaffnetes THW“ im Stabilisierungseinsatz mandatiert, juristisch fixiert und entsprechend alimentiert, ausgerüstet und ausgebildet. Die politische Motivation war immer partei- und innenpolitisch orientiert und galt nie erkennbar wirklich der Verbesserung der Lage der afghanischen Bevölkerung. Der politische Wille, solidarisch einen Beitrag zu einem internationalen Hilfseinsatz zu leisten, der hauptsächlich innenpolitisch vertretbar war, blieb vorrangig.

So kam es, dass alle verbündeten Nationen in Afghanistan Krieg gegen die Taliban führen und nur die deutsche Politik ohne ein vom Parlament entschiedenes strategisches Konzept – also quasi politisch planlos – den Norden Afghanistans „stabilisiert“. Das hatte allem Anschein nach zur Folge, dass auch die Taliban stabilisiert wurden, denn die sind gerade im Norden inzwischen weitaus besser organisiert und schlagkräftiger als zuvor, obwohl die deutschen Staatsbürger – Aufbauhelfer, Polizisten und Soldaten – ihren Auftrag unter schwierigen politischen Rahmenbedingungen engagiert erfüllen.

Für die erforderlichen wirkungsvollen Operationen gegen die Aufständischen und Terroristen fehlen die politische sowie militärstrategische Zielsetzung, der entsprechende militärische Auftrag, die juristischen Grundlagen und in Folge ausreichend Personal sowie Material für Kampfeinsätze gegen die Taliban und es fehlen hinreichend starke Personal- und Materialreserven. So kommt es bei verschlechterter Lage und aufgrund dieser - hauptsächlich politisch verschuldeten - Defizite zu einem sich verstärkenden Rückzug der deutschen Soldaten aus der Fläche der Region Kunduz und es bleibt bei einer „eingeschränkten Wirkung aus gut organisierter Deckung“. Die Beteiligung deutscher Soldaten am Krieg durfte nicht sein, also wurde die Lage vom Team Jung/Schneiderhan schöngeredet und die Öffentlichkeit unzureichend und teilweise unwahr informiert.

Inzwischen hat sich die Lage leicht zum Positiven verändert. Jetzt endlich wird die Federführung für den Afghanistaneinsatz vom Auswärtigen Amt wahrgenommen und die beteiligten Ressorts koordinieren ihre Anstrengungen zu einem vernetzten Engagement. Die Bereitschaft der Politiker, die reale Lage beim Namen zu nennen, ist inzwischen deutlich gewachsen – auch unter dem „Druck“ der steigenden deutschen Verluste. Die Bereitschaft zuzugestehen, dass die Bundeswehr in Afghanistan für eine aktive Bekämpfung der Taliban unzureichend ausgerüstet, deswegen auch unzureichend ausgebildet ist, ist deutlich gewachsen. Mit General McChrystal ist jetzt ein Offizier mit klaren Vorstellungen, Überzeugungskraft und dem Willen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der afghanischen Bevölkerung in Verantwortung. Erfreulicherweise fordern inzwischen auch verantwortliche aktive Militärs eine verbesserte Ausrüstung – und werden gehört. Der Inspekteur des Heeres hat erkannt, dass die Struktur des Heeres unausgewogen ist und fordert zusätzliche sechs Bataillone Infanterie, um die Durchhaltefähigkeit in Auslandseinsätzen wie in Afghanistan zu stärken. Die Sicherheits- und Verteidigungspolitiker im Bundestag fordern nun zum Teil auch, dass die Soldaten der Bundeswehr für ihren Einsatz unter kriegsähnlichen Bedingungen der realen Lage im Einsatzgebiet und nicht der Kassenlage entsprechend ausgerüstet werden müssen. Und das muss zügig erfolgen, wenn das ins Auge gefasste „Partnering“ mit Bataillonen der Afghan National Army ab dem Sommer 2010 tatsächlich unter erfolgversprechenden Rahmenbedingungen beginnen soll.

Und heute beraten die Truppensteller von 16 Ländern unter der Leitung von Verteidigungsminister zu Guttenberg in Berlin über die "weitere Strategie" der internationalen Schutztruppe ISAF im Norden Afghanistans unter deutschem Kommando. Es geht also voran.

Das wird den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai hoffentlich bald dazu bewegen, seine jüngste Einschätzung in der Washington Post, die ausländischen Truppen in Afghanistan seien noch meilenweit von einem Erfolg entfernt, zu korrigieren.

Denn es gibt Grund zur Hoffnung, dass die jetzt nicht nur verbal vernetzten Anstrengungen, einschließlich des Partnering und aktiver Operationen gegen die Taliban, die Lage der Bevölkerung in Afghanistan langsam verbessern und irgendwann die Voraussetzungen für eine „Übergabe in Verantwortung“ gegeben sind. Die Fehleinschätzungen und Geburtsfehler wirken sich auch im neunten Jahr unseres Engagements in Afghanistan gravierend aus. Und es werden weiterhin politische Fehler gemacht werden, auch weil unverändert eine Afghanistan-Strategie, die den Namen verdient, fehlt und Deutschland weiterhin kein konkretes Konzept hat, das mit Messlatten festlegt, was wir wann in welcher Qualität erreicht haben wollen.

Wir wissen in Deutschland heute in der Praxis immer noch nicht konkret, für welche Ziele wir vielfältige und kostspielige Sicherheits-Anstrengungen, bis hin zum Verlust von Menschen, auf uns nehmen. Da ist es natürlich schwer, den Angehörigen von deutschen Gefallenen gegenüberzutreten. Das wird sich bis zur Verwirklichung des Schlagwortes „Übergabe in Verantwortung“ wohl auch nicht ändern.

(11.05.2010)

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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