Hans-Heinrich Dieter

Wo bleibt Kenan Kolat?   (22.03.2014)

 

Der türkische Ministerpräsident Erdogan steckt bis Unterkante Oberlippe in einem handfesten Korruptionsskandal. Er hat daraufhin die Justiz geknebelt, dann die Polizeikräfte durch Personalmaßnahmen in ihrer Effizienz beeinträchtigt, Journalisten verfolgt und nun will er mit einem Twitterverbot die Kommunikation und die Aufdeckung  weiterer Korruptionfälle behindern. Erdogan spricht im Wahlkampf davon, dass man die sozialen Netzwerke "ausradieren" sowie Twitter "mit Stumpf und Stiel ausrotten" müsse und bezeichnet politische Gegner schon mal als "blutsaugende Vampire", als "Atheisten" oder gar "Terroristen". Er sieht sich von "dunklen Mächten" im Ausland bedroht und verfolgt, die der Türkei die wirtschaftlichen Erfolge missgönnen.

Einer der Ersten, der das Twitterverbot unterläuft, ist der türkische Präsident Gül. Er hält dieses Twitter-Verbot für "inakzeptabel" und Erdogans ewiges Gerede von einer "Verschwörung dunkler Mächte" gegen ihn für "Drittwelt-Niveau", das der Türkei schade. Die Kritik des undemokratischen Verhaltens und der Einschränkung der Meinungsfreiheit seitens der westlichen Welt und aus der EU, deren Mitglied er möglichst bald werden will, tut Erdogan als unberechtigt, uninteressant und belanglos ab. Erdogan gebärdet sich paranoid, undemokratisch und unsouverän. Erdogan hat offenbar mehr "Korruptions-Leichen" im Keller als bisher bekannt und tiefsitzende Angst, dass das eine Woche vor der Kommunalwahl bekannt wird, deswegen die Einschränkung der Informationsfreiheit. Dieser Ministerpräsident offenbart, dass er kein Verhältnis zum Rechtsstaat hat und nur darauf hinarbeitet, ein autoritär-islamisches Regime installieren zu können. Aber er erweist sich dabei auch als ziemlich dumm und töricht, denn er weiß offenbar nicht, wie leicht die informierten türkischen Bürger seine Twitter-Sperre umgehen können. Erdogan und seine Partei empfehlen sich vernünftigen, gebildeten, freiheitsliebenden und aufgeklärten Bürgern nicht gerade für eine Wahl.

Von dem sonst etwas vorlauten Kenan Kolat, Vorsitzender der türkischen Gemeinde in Deutschland, hört man dazu bisher nichts. Er möchte offenbar vor der Wahl die große türkische Fangemeinde mit und ohne deutschem Pass, die Erdogan für den türkischen Ministerpräsidenten der Deutschtürken halten, nicht verprellen. Kolat hat 2008 Roland Koch "politische Brandstiftung" vorgeworfen, und neben einer Reihe anderer fragwürdiger Aktivitäten wendet er sich gegen eine Integration von in Deutschland lebenden Türken, die als Assimilation verstanden werden kann, und plädiert stattdessen für Partizipation, als Teilhabe türkischstämmiger Bürger an allen möglichen Lebensbereichen. Kolat verweist auch schon mal darauf, dass heute schon 35% der Bevölkerung in Deutschland unter sechs Jahren einen Migrationshintergrund hätten und dass diese Menschen in zwanzig Jahren Deutschland regieren und führen werden. Allerdings hat Kolat 2013 Erdogan und seine brutalen Maßnahmen im Zusammenhang mit den Protesten der türkischen Bevölkerung gegen ihn als „faschistoid“ bezeichnet und Erdogan der „Willkür-Politik“ bezichtigt. Er war sogar so mutig und hat damals den Aufschub der Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei gefordert. Wo bleibt der wortgewaltige Kolat jetzt?

Kolat müsste die uneingeschränkte und unbeeinträchtigte Aufklärung der vielfältigen Korruptionsvorwürfe fordern und der türkischen Gemeinde in Deutschland seine Wertung und Einschätzung des politischen Verhaltens des türkischen Ministerpräsidenten mitteilen. Er müsste gegenüber den türkischstämmigen deutschen Bürgern oder Gästen auch einmal seiner Freude Ausdruck verleihen, dass sie in einem Land mit demokratischer Grundordnung, Meinungs- und Informationsfreiheit leben sowie ihre Religion - anders als Christen in der Türkei - frei ausüben können. Und Kolat müsste seine türkischen Landsleuten im Sinne staatsbürgerlicher Bildung auffordern, ihren Kindern schon im Elternhaus gutes Deutsch beizubringen, um später in der Schule bessere Chancen für gute Abschlüsse in Vorbereitung auf eine erfolgreiche Berufsausbildung zu haben. An solcher "Partizipation" im Sinne von verantwortungsbewusster und konstruktiver Teilhabe fehlt es teilweise noch. Am Negativbeispiel Erdogan und den damit verbundenen, zum Teil demokratiefernen Lebensumständen in der Türkei könnte man ein positiveres Deutschlandbild in die Köpfe und Herzen türkischstämmiger Bürger einbringen, wenn man will.

(22.03.2014)

 

 

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