Hans-Heinrich Dieter

Wirkung hat Ursachen   (29.08.2015)

 

Innenminister de Maizière hält "das Maß und die Art der Verrohung der Sprache und des Umgangs mit- und untereinander für höchst bedenklich." Und Wirtschaftsminister Gabriel erklärte, Randalierer wie im sächsischen Heidenau seien ein Sicherheitsproblem. Aber die Politik-Verächter in der Mitte der Gesellschaft stellten ein Demokratie-Problem dar, dem man sich dringend widmen müsse.

Wir erinnern uns, dass SPD-Gabriel die Demonstranten in Heidenau pauschal als "Pack" bezeichnet hat. Der Chefredakteur der Dresdner Neuen Nachrichten, Dirk Birgel, findet das gut und ergänzt: "Am besten wäre es, diese tumben Typen, mit denen man peinlicherweise eine Nation bildet, selbst abzuschieben." Der CDU-Generalsekretär Sachsens spricht von den "Arschlöchern" die Brandsätze werfen. Und Bundespräsident Gauck verunglimpft die ostdeutschen Landsleute in Sachsen, wo sich derzeit Fremdenfeindlichkeit besonders deutlich zeigt, pauschal mit dem Begriff "Dunkeldeutschland". Chefschreiber Birgel konkretisiert die Präsidentenaussage: "Dresden ist ein brauner Fleck auf der deutschen Landkarte." Wen wundert es da, dass einige Demonstranten in Heidenau die Kanzlerin trotzig mit dem Slogan begrüßen: "Wir sind das Pack!"

Deutsche Politiker, die dem Wohl des ganzen deutschen Volkes verpflichtet sind, dürfen sich in solchem Sinne nicht äußern, denn es handelt sich in ihrem Falle um undemokratische, pauschale und die Bevölkerung spaltende politische Verunglimpfung! Bei seiner Aussage hat de Maizière natürlich nicht an seine Politiker-Kollegen gedacht, denn die gehören ja nach Politiker-Empfindungen zu den "Guten" und "Anständigen". Aber schlimm sind ja auch die, die Wasser predigen und Wein trinken.

Da ist es gut und erfreulich, dass es - wenn auch wenige - nachdenkliche Stimmen gibt. Die Schriftstellerin Juli Zeh hat im DLF einen sachlichen Ton in der Flüchtlingsdebatte angemahnt, denn Beschimpfungen wie "Pack" oder "Dunkeldeutschland" würden nur weitere Aggressionen schüren. "Man muss aber sich klar machen, dass die Leute, über die Gabriel da spricht, wiederum die Flüchtlinge als Pack bezeichnen würden." Krawallmacher müsse man strafrechtlich verfolgen, sie aber nicht öffentlich diffamieren.

Bei ihrem Bemühen, den Erwartungen der Medien und der Öffentlichkeit zu entsprechen und in der geäußerten Empörung nicht hinter den politischen Konkurrenten zurückzufallen, finden viele Politiker bei Brennpunktbesuchen nicht den richtigen Ton, weil sie sich nicht mit den Ursachen von Frust und Verdrossenheit auseinandersetzen. Denn bei aller berechtigten Empörung über ausländerfeindliche Hetze und kriminelles Verhalten darf man nicht darüber hinwegsehen, dass es in der deutschen Migrations- und Asylpolitik der letzten Jahre erhebliche Versäumnisse gegeben hat. Die Bundesregierung hat den Zustrom vom Balkan lange unterschätzt oder schön geredet. Etwa jeder zweite Flüchtling kommt von dort, und zwar fast ausschließlich aufgrund der finanziellen Anreize, die sich besonders dann auszahlen, wenn die Asylverfahren sehr lange dauern. Erst jetzt beginnt man darüber nachzudenken, wie die Verfahren beschleunigt werden können und wie sich finanzielle Anreize vernünftig reduzieren lassen können.

Die hausgemachten deutschen Probleme werden verstärkt durch unsolidarisches und regelwidriges Verhalten von EU-Mitgliedstaaten, die die wachsenden Flüchtlingströme aus muslimischen Bürgerkriegs- und Religionskriegsländern lediglich kanalisieren. Und die EU ist nicht in der Lage, sich auf Quoten und einheitliche Standards zu einigen sowie die  Einhaltung der selbstgegebenen Regeln durchzusetzen. Schnelle Lösungen darf man von der EU nicht erwarten und deswegen wachsen sich deutsches und europäisches politisches Versagen in den Kommunen zu schwer lösbaren Problemstellungen aus. Die betroffene Bevölkerung vor Ort erwartet mit Recht, dass die Probleme, die mit den Asylsuchenden kommen, endlich konsequent angegangen und gelöst werden müssen, damit sich die vielen positiven Bürgerinitiativen und Hilfsmaßnahmen für Asylsuchende in Deutschland auch auswirken können.

Aber auch Ängste der Bürger sind teilweise berechtigt und lassen sich nicht einfach beiseite wischen, indem man die besorgten Bürger verunglimpft, als tumbe Stammtischargumentierer beleidigt und ziemlich platt grundsätzliche Toleranz anmahnt. Die Politik redet vollmundig von Willkommenskultur und hat es jahrelang versäumt, die Integration ausländischer Mitbürger zu fördern und zu fordern. Mit diesem politischen Versagen vor Augen trauen viele Bürger den Politikern die vernünftige Bewältigung des Flüchtlings- und Asylsuchenden-Ansturms einfach nicht zu. Und das schürt Überfremdungsängste, die so lange diffus bleiben werden, wie die teilweise abgehobenen, von den Bürgern weit entfernten Politiker schon in der Kommunikation der Problemstellungen versagen und keine Lösungen der Bürgerprobleme anbieten können.

Wenn die Politiker das tief gestörte Vertrauen der Mehrheit der Bevölkerung zurückgewinnen wollen, dann müssen sie die Bürger ernst nehmen, sie müssen besser informieren, sie müssen Probleme und Zumutungen für die Bürger erklären sowie Problemlösungen aufzeigen und dabei bereit sein, auch damit verbundene Schwierigkeiten und Nachteile für die Bürger mutig zu benennen. Das "Demokratie-Problem", das Gabriel durch Politiker-Verachtung in der Mitte der Gesellschaft verursacht sieht, lässt sich nur durch gute und glaubwürdige Politik lösen. Da muss der windige SPD-Parteivorsitzende, dem nur wenige Parteimiglieder Kanzlerfähigkeiten zusprechen, bei sich selbst zügig anfangen.

(29.08.2015)

 

 

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