Hans-Heinrich Dieter

Wer einmal lügt...   (08.09.2013)

 

Der G20-Gipfel in St. Petersburg hat die Spaltung der Welt in der Syrienfrage offenbart und möglicherweise sogar vertieft. Gleichzeitig wurde die Ohnmacht der Vereinten Nationen dokumentiert und durch das schon permanente kompromisslose Verhalten der Veto-Mächte des Weltsicherheitsrates zementiert.

Die Vereinten Nationen lassen es über Jahre zu, dass die Veto-Mächte sie über den Weltsicherheitsrat paralysieren. Die UN lassen es geschehen, wenn Veto-Mächte und andere Staaten sich offen für eine völkerrechtswidrige militärische Intervention aussprechen. Die UN lässt es unwidersprochen zu, dass sich der US-Präsident anmaßt, ohne überzeugende und stichhaltige Beweise vorlegen zu können, zum Scharfrichter erklärt, der einen mutmaßlich Chemie-Waffen einsetzenden Machthaber und Teile seiner Bevölkerung in einem Bürgerkrieg mit tödlichen Waffen bestrafen will, ohne klare Vorstellungen über die Auswirkungen solcher Waffeneinwirkungen auf die Region, die syrische Bevölkerung, den Bürgerkrieg und die Zukunft der syrischen Bevölkerung zu haben.

Hier geht es also nicht nur um eitle Gesichtswahrung eines Präsidenten und um die Glaubwürdigkeit der Führungsmacht USA, es geht um eine gute Zukunft Syriens und die Bedeutung sowie die Zukunft der Vereinten Nationen. Und wenn die Vereinten Nationen zukünftig noch Einfluss auf die Weltpolitik haben wollen, dann müssen ihre Institutionen, allen voran der Weltsicherheitsrat mit dem fatalen Einfluss der Veto-Mächte, reformiert werden.

Wenn man den Sicherheitsrat reformieren will, lohnt sich ein Blick in die jüngere Geschichte der Veto-Mächte und ihre daraus abzuleitende Eignung als auch moralische Instanz. Nachkriegsrussland wurde geprägt durch den Massenmörder Stalin und seine kommunistische Nomenklatura. Die kommunistische Diktatur hat sich zahlloser Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht, die bisher juristisch und politisch nicht aufgearbeitet sind. Das Nachkriegschina wurde geprägt durch den Massenmörder Mao Zedong und die kommunistischen Parteikader. Auch China hat sich zahlloser Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht und die Verletzungen dauern an. Frankreich hat die Kollaboration der Vichy-Regierung mit Nazi-Deutschland sowie seine teilweise unheilige Kolonialvergangenheit in Nordafrika verdrängt und begründet seinen Status als Vetomacht lediglich auf die nukleare Bewaffnung der französischen Streitkräfte. Großbritannien ist und bleibt mitverantwortlich für den kriegsverbrecherischen Bombenterror gegen die deutsche Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg sowie für willkürlichen politischen und staatlichen Einfluss als Kolonialmacht mit seinen andauernden negativen Auswirkungen auf Israel/Palästina sowie Indien/Pakistan. Die USA haben den Massenmord von Hiroshima und Nagasaki sowie den Bombenterror gegen die deutsche Zivilbevölkerung zu verantworten, haben im Vietnamkrieg nicht nur Kriegsverbrechen (My Lai) begangen, sondern ganze Landstriche mit Minen (Laos) verseucht, die bis heute nicht geräumt sind, sowie ganze Waldregionen samt ihrer Population durch Agent Orange vergiftet und auf dem Balkan völkerrechtwidrig Krieg geführt mit dem Ergebnis zum Beispiel eines politisch nicht lebensfähigen Kosovo. Die Veto-Mächte haben also alles andere als eine weiße Weste und geschichtlich eine sehr fragwürdige moralische Grundlage, für "Strafaktionen jeglicher Art", insbesondere ohne UN-Mandat. Deutschland übt mit der Last seiner Nazi-Vergangenheit mit gutem Grund eine Kultur militärischer Zurückhaltung.

Und wie ist es heute in unserer politisch, wirtschaftlich und sozial stark veränderten Welt? Der "lupenreine Demokrat" und Machtpolitiker Putin genießt seinen restaurativen Kalter-Krieg-Einfluss auf die Weltpolitik, China ist ausschließlich an sich und seiner wirtschaftlichen Entwicklung interessiert, Frankreich fühlt sich weiterhin als Grande Nation, ist aber mit schlecht strukturierter Wirtschaft, kranker Sozialstruktur und hoher Überschuldung heute eher ein "Gernegroß", Großbritannien träumt immer noch vom British Empire sowie von dem "special relationship" mit den USA und gefällt sich bei Obstruktionspolitik in der EU, die durch Wirtschaftskraft nicht gerechtfertigt ist, und die USA sind eine Führungsmacht, die spätestens durch den herbeigelogenen Irak-Krieg mit seinen verheerenden Folgen für die gesamte Region ihre politische Glaubwürdigkeit und moralische Integrität längst verloren hat. Da wird Verantwortungsbewusstsein für die Welt häufiger eher verbal zum Ausdruck gebracht als wahrgenommen.

Warum sollte sich die Weltgemeinschaft durch solche Veto-Mächte auf Dauer blockieren lassen? Sicher ist es angesichts der Vielzahl von Staaten und Interessen sehr schwierig, die erforderlichen Mehrheiten für eine Reform der Vereinten Nationen zu erreichen. Das Problem muss trotzdem angegangen werden, denn die "Idee" der UN ist zu großartig und zu wichtig für eine gute Zukunft unserer Welt, um sie versanden zu lassen. Ein Anfang wäre, dass der Weltsicherheitsrat durch zusätzliche relevante ständige Mitglieder erweitert und Mehrheitsentscheidungen zugelassen würden. Mehrheiten müssen durch Überzeugungen und Kompromisse errungen werden und verhindern egoistische und anmaßende Alleingänge selbstherrlicher Präsidenten.

In Krisenzeiten sind Klugheit, Vernunft und Besonnenheit gefragt. Daran haben es die Regierungen in Washington, London und Paris vermissen lassen. Ihre Rhetorik und Drohgebärden mit einem Bestrafungs-Militärschlag in Syrien hat in der Region Panik ausgelöst und Tausende Menschen zusätzlich in die Flucht getrieben, Reaktionen der Armeen der Nachbarstaaten hervorgerufen und Russland wie auch China gute Vorlagen für die Demonstration "friedliebender, am Völkerrecht orientierter Politik" geliefert. Gott sei Dank hat das britische Parlament mit seiner Mehrheitsentscheidung Vernunft bewiesen und sowohl in Frankreich als auch in den USA die Parlamentsbeteiligung vorbereitet. Und über Krieg und Frieden sollten Mehrheiten von Volksvertretern entscheiden, keine anmaßenden Sonnenkönignachfolger. Diesbezüglich scheint Vernunft die Oberhand zu gewinnen.

Denn in den USA und in Europa gibt es nach Umfragen massiven Widerstand gegen eine Militäraktion in Syrien, weil die "Beweise" den Bürgern nicht reichen, weil die westlichen Streitkräfte seit 2001 unter hohen Kosten in Konflikte ohne zufriedenstellenden Ausgang verwickelt sind, weil sie den USA seit Irak nicht mehr so recht glauben und das schlimme Kriegsergebnis im Irak vor Augen haben. Wenn Regierungen heute eine Militärintervention für geboten halten, müssen sie sich wirkliche Mühe geben, ihre Parlamente und Bürger vom Sinn einer solchen Militäraktion zu überzeugen.

Wenn eindeutig bewiesen ist, dass das Assad-Regime für die Giftgasangriffe am 21.08.2013 verantwortlich ist, dann sollte es dafür zur Verantwortung gezogen werden, auf der Grundlage eines UN-Mandates, mit Perspektive für die syrische Bevölkerung und möglichst ohne militärische Gewaltanwendung.

(08.09.2013)

 

 

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