Hans-Heinrich Dieter

Weniger als - Weiter so - !   (13.01.2018)

 

Bei der 16. Berliner Security Conference (BSC) wünschten sich die Inspekteure der Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche Kontinuität bei den eingeleiteten Trendwenden der Bundeswehr - Personal, Material und Finanzen - und außerdem, dass das Weißbuch der Bundeswehr „materiell hinterlegt“ werde. Man könnte auch in etwas derberer Sprache formulieren: „Schluss mit dem ständigen sicherheitspolitischen Maulheldentum, lasst den vielen Worten Taten folgen!“ Aber wenn man sich bei der Bundeswehr Kontinuität wünscht, dann heißt das sicher nicht, dass man diese Kontinuität unbedingt von der selbstverschuldet glück- und erfolglosen Ministerin von der Leyen gewährleistet sehen will – insbesondere, weil ja festzustellen ist, dass sich keine der von der Ministerin vollmundig propagierten Trendwenden den Erwartungen entsprechend entwickelt hat. „Kontinuität mit vdL“ heißt eben auch Kontinuität von Misserfolgen!

Ganz real geht es doch darum, dass die Unterfinanzierung unserer Streitkräfte sehr dringend überwunden werden muss, damit die Bundeswehr den Anforderungen der nächsten 10/20 Jahre auf der Grundlage solider Einsatzfähigkeit gerecht werden kann. Dazu ist es auch dringend erforderlich, dass Deutschland in den kommenden Jahren die mit der NATO vereinbarten Verteidigungsinvestitionen in Höhe von 2.0 % des Brutto-Inlands-Produktes möglichst schnell annähert und dann ab 2024 möglichst dauerhaft leistet, damit die zum „Sanierungsfall“ heruntergewirtschaftete Bundeswehr nicht zu einem hoffnungslosen Fall wird. Deutschland sollte sich im Rahmen der NATO und auch der EU möglichst nicht zum Gespött machen!

Und da ist es interessant, was die quälenden Sondierungen von CDU/CSU und SPD erbracht haben. Wenn man sich mit den zusammengefassten Ergebnissen in den Medien befasst, erfährt man – wie immer im provinziellen Deutschland – wenig über Außen- und Sicherheitspolitik. Man muss schon in alle 28 Seiten der „Finalen Fassung“ der Sondierungsergebnisse vom 12.01.2018 einsteigen.

Da heißt es einleitend: „Die großen Fragen unserer Zeit wollen wir entschlossen lösen. Wir wollen:

  • einen neuen europapolitischen Aufbruch,
  • den sozialen Zusammenhalt in unserem Land stärken und die entstandenen Spaltungen überwinden,
  • unsere Demokratie beleben,
  • dass die Menschen bei uns die vielfältigsten Chancen nutzen und in Sicherheit leben können,
  • die Familien stärken und gleiche Bildungschancen für alle,
  • unser Land erneuern, in die Zukunft investieren und Innovationen fördern, damit wir unseren Wohlstand ausbauen und auch zukünftig mit der weltweiten Dynamik mithalten können,
  • den digitalen Wandel von Wirtschaft, Arbeit und Gesellschaft für alle Menschen positiv gestalten,
  • einen größeren Beitrag leisten, um weltweit zu besseren Lebensbedingungen und Chancen beizutragen.“

Diese „großen Fragen“ sind bekannt und Antworten darauf wurden in der letzten Legislaturperiode von der großen Koalition verschlafen oder nur unzureichend gegeben. Also haben wir es mit einem visionslosen „Weiter so!“ zu tun – von Gestaltungswillen ist hier nicht die Rede! Und offensichtlich gehört ein verantwortungsvoller Beitrag der wirtschaftsstarken Mittelmacht Deutschland zur Erhaltung und Festigung des Friedens in Europa und der Welt nicht mehr zu den „großen Fragen“ unserer Zeit! Deutschland reduziert sich offensichtlich wieder auf verschämt mitmachende Politik auf Sicht.

Unter der Ãœberschrift Europapolitik heißt es unter anderem: „Die gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik muss im Sinne einer Friedensmacht Europa gestärkt werden. Sie muss dem Prinzip eines Vorrangs des Politischen vor dem Militärischen folgen und auf Friedenssicherung, Entspannung und zivile Krisenprävention ausgerichtet sein. Wir wollen die Zusammenarbeit bei der Sicherheits- und Verteidigungspolitik (PESCO) stärken und mit Leben füllen.“ Das ist sattsam bekannte Polit-Prosa. Außerdem kann die europäische Außen- und Sicherheitspolitik nicht „gestärkt“ werden, weil es sie noch nicht gibt. Darüber hinaus ist eine „Friedensmacht“ Europa keine Vision, sondern eine Illusion. Und der Vorrang „des Politischen vor dem Militärischen“ ist eine Binsenweisheit, erfordert aber in der Praxis gute Politik, und da hat der Westen zum Beispiel in Syrien versagt!

Mit „Außen, Entwicklung und Bundeswehr“ befasst man sich fast letztendlich ab Seite 25 (besser kann man der Bedeutung dieser Thematik keinen Ausdruck verleihen! Und wenn man sich seriös mit der Thematik befassen will, müsste die Ãœberschrift an sich heißen: Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik.): „Deutsche Außenpolitik ist dem Frieden verpflichtet. Wir setzen uns für eine dauerhaft friedliche, stabile und gerechte Ordnung in der Welt ein. Gemeinsam mit unseren Partnern verfolgen wir einen umfassenden und vernetzten Ansatz. Dabei setzen wir auf Diplomatie, Dialog und Kooperation sowie Entwicklungszusammenarbeit. Im Rahmen dieses vernetzten Ansatzes bleibt die Bundeswehr ein unverzichtbarer Bestandteil deutscher Sicherheitspolitik.“ In dieser Arbeitsgruppe kann Frau von der Leyen nicht mitgearbeitet haben, oder sie hat versagt. Sicherheitspolitik ist offenbar kein bedeutender Teil vernetzter deutscher Politik mehr und wird deswegen nicht thematisiert. Kein Wort zur NATO, keine Erwähnung der erneuten Notwendigkeit der Friedenserhaltung durch Abschreckung und der dazu erforderlichen Befähigung zur Landes- und Bündnisverteidigung. Offensichtlich kennt keiner der Verantwortungsträger das neue Weißbuch der Bundeswehr inhaltlich!

Anstelle des eigentlichen Themenfeldes Sicherheitspolitik wird dann das Thema Bundeswehr abgehandelt: „Wir betonen den Charakter der Bundeswehr als Parlamentsarmee. Damit sie die ihr erteilten Aufträge in allen Dimensionen sachgerecht erfüllen kann, werden wir den Soldatinnen und Soldaten die bestmögliche Ausrüstung, Ausbildung und Betreuung zur Verfügung stellen. Wir werden auch unsere Ausgaben in den Bereichen Entwicklungs-zusammenarbeit, humanitäre Hilfe und zivile Krisenprävention deutlich erhöhen. Die Erreichung der ODA-Quote (Official Development Assistance) von 0,7 Prozent ist unser Ziel.“ Danach folgen einige wenig aussagekräftige Hinweise auf die Zukunft von Auslandseinsätzen der Bundeswehr.

Die Absicht, den Soldatinnen und Soldaten „die bestmögliche Ausrüstung, Ausbildung und Betreuung zur Verfügung stellen“ zu wollen, ist sehr zu begrüßen. Wenn allerdings unter der Ãœberschrift Bundeswehr in diesem Zusammenhang keine Aussagen zur Ãœberwindung der Unterfinanzierung der Bundeswehr gemacht werden, und wenn das - auch unter Mitwirkung des damaligen Außenministers Steinmeier - von allen NATO-Mitgliedern mehrfach vereinbarte Ziel, die Investitionsinvestitionen bis 2024 dem 2 Prozent-Ziel, gemessen am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt, anzunähern überhaupt nicht erwähnt wird, dann ist das unzureichend und geradezu heuchlerisch bis verantwortungslos. Das spricht auch gegen die Qualität der Sondierung!

Mit Zahlen lässt sich dann weniger schön färben als mit Sonntagsaussagen: Unter Finanzen heißt es: „Für die Jahre 2018 bis 2021 sind nach der Finanzplanung des Bundes für die Haushaltsaufstellung (51. Finanzplan) Ausgaben von 1,392 Billionen Euro vorgesehen. Ãœber die dort eingeplanten Maßnahmen hinaus wollen wir den absehbaren finanziellen Spielraum der nächsten vier Jahre für prioritäre Ausgaben in den folgenden Schwerpunkt-Bereichen nutzen: „…1.-3. …

4. Gleichwertige Lebensverhältnisse, Landwirtschaft, Verkehr und Kommune:

Summe 2018-21 12,0 Mrd. Euro

5. Internationale Verantwortung bei Sicherheit und Entwicklung:

Summe 2018-21 2,0 Mrd. Euro

6. Entlastung der Bürger:

Summe 2018-21 10,0 Mrd. Euro“

Und ergänzend wird ausgeführt: „Wir stellen die weitere Finanzierung der laufenden Maßnahmen zur Entlastung von Ländern und Kommunen bei den Flüchtlingskosten (Integrationspauschale, Kosten der Unterkunft, Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge) in den Jahren bis 2021 mit insgesamt weiteren acht Milliarden Euro sicher und gestalten sie gemeinsam, wo erforderlich, effizienter neu aus. Die kommunalen Steuerquellen werden wir sichern.“

Anhand dieser Zahlen wird sehr deutlich, dass die ggf. zukünftigen Koalitionäre nicht die Absicht haben, „den Soldatinnen und Soldaten die bestmögliche Ausrüstung, Ausbildung und Betreuung zur Verfügung“ zu stellen, um die vom Parlament gegebenen Aufträge überhaupt erfüllen zu können. Und im Zahlenvergleich wird auch die sehr nachrangige Bedeutung der deutschen Sicherheitspolitik sehr eindrucksvoll vor Augen geführt. Immerhin wird der Finanzierungsbedarf für die Herstellung einer hinreichenden Einsatzbereitschaft und für die Modernisierung der Bundeswehr vom BMVg mit 130 Milliarden in den nächsten 25 Jahren angegeben, was mindestens vier Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr im Verteidigungshaushalt erfordern würde. Veranschlagt sind durch die Sondierer Mehrausgaben von 2,0 Mrd. Euro in vier Jahren bei Sicherheit und Entwicklung. Noch Fragen?

Der derzeitige Finanzplan sieht eine Steigerung des Verteidigungshaushaltes 2017 um 1,7 Mrd. auf 36,6 Mrd. Euro und die schrittweise Erhöhung bis 2020 auf 39,1 Mrd. Euro vor und bleibt damit weit unter den Forderungen der Ministerin zur Deckung des von ihr selbst festgestellten „riesigen Modernisierungsbedarfs“. Und Deutschland bleibt weiterhin deutlich unterhalb des vereinbarten Ziels der NATO-Mitglieder, jeweils zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung aufzuwenden. Deutschland investiert lediglich 1,29 Prozent und nimmt damit in der NATO einen blamablen 14. Rang ein. Auf der Grundlage des aktuellen Finanzplans dümpeln wir unverändert auch in den nächsten Jahren bei etwa 1.2 unrühmlichen und wenig vertrauenerweckenden Prozent herum. Auf der Grundlage der Zahlen des jetzigen Sondierungsergebnisses werden wir unsere stark unzureichenden Verteidigungsinvestitionen gemessen am BIP noch weiter reduzieren.

Die CSU hatte sich das 2-Prozent-Ziel auf die Fahnen geschrieben und Frau von der Leyen zeigte sich in letzter Zeit von der Notwendigkeit sehr hoher Verteidigungsinvestitionen überzeugt. Beide haben offensichtlich gegen eine SPD verloren, die notwendige Verteidigungsinvestitionen zur Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit unserer Streitkräfte diffamierend mit „Aufrüstung“ verwechselt - Hauptsache Deutschland erreicht das vereinbarte Ziel 0,7 Prozent bei der Entwicklungshilfe!

Unterm Strich kann man feststellen, dass die sondierten Kompromisse keinen Aufbruch zu neuen Ufern zulassen. Und für die Bundeswehr kommt weit weniger als „Weiter so“ heraus!

(13.01.2018)

 

 

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