Hans-Heinrich Dieter

Verstaubter Klub der Gestrigen!   (15.04.2017)

 

„Die Bundeswehr darf nicht wie ein verstaubter Klub Gestriger auftreten“, stellt Verteidigungsministerin von der Leyen im Zusammenhang mit der Forderung fest, dass sich die Bundeswehr als Organisation wandeln und das nachholen müsse, was die Gesellschaft in den vergangenen 100 Jahren geleistet habe. Sie beklagt den Mangel an „Respekt für Vielfalt“ und damit einen Mangel an „Haltung“. Aber „…Haltung können Sie nicht befehlen, die müssen Sie vorleben und immer wieder erklären“ und da gebe es viel Widerstand, denn Veränderung werde oft als Bedrohung gesehen. Darüber hinaus habe die Bundeswehr „ein gigantisches Personalproblem“ und müsse sich weiter zu einer modernen Organisation wandeln, denn so wie die Bundeswehr derzeit aufgestellt sei, habe sie schlechte Karten.

Insgesamt stellt von der Leyen (vdL) der Bundeswehr im Interview mit dem Wirtschaftsmagazin der SZ ein sehr schlechtes Zeugnis aus. Immerhin stellt sie auch fest: "Ich bin persönlich für die Soldaten verantwortlich". Zu dieser Verantwortung gehört die Fürsorge für die Soldaten und fürsorgliches Verhalten schließt Verleumdung und Beleidigung von Soldaten aus. Und vdL sollte sich auch vor Augen führen, dass sie bereits knapp vier Jahre Verteidigungsministerin ist und ganz offensichtlich in dieser Zeit sehr wenig erreicht hat. Und so entsteht der Eindruck, dass vdL mit der überzogenen und nicht gerechtfertigten Kritik von eigenem Versagen ablenken will. Aber Selbstkritik ist von als egozentrisch wirkenden Politikern eher nicht zu erwarten. Deswegen seien einige kritische Anmerkungen erlaubt.

Auf die Frage im DLF-Interview am 30.06.2016, wo die Bundeswehr aktuellen Anforderungen tatsächlich nicht mehr gerecht werden kann, antwortet Oberstleutnant Wüstner, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes: „Na ja. Es ist schon so, dass grundsätzlich wir am tiefsten Punkt sind, was Einsatzbereitschaft anbelangt, seit 1990.  …Aber wir sind auch in vielen Bereichen wirklich im roten Bereich, wenn ich nur mal die Marine oder Teile der Luftwaffe nenne.“ Und im Zusammenhang mit der jahrelangen Unterfinanzierung der Bundeswehr sowie den Mängeln und Unzulänglichkeiten der zu Guttemberg/de Maizière-Reformen fügt er hinzu: „Die Bundeswehr ist der mittlerweile größte Sanierungsfall, den man sich vorstellen kann in der Bundeswehr. Deswegen spreche ich auch immer nicht von Aufrüstung oder solchen Dingen, sondern eigentlich geht es erst mal nur darum, diese Dinge, die momentan im Argen liegen, im Bereich Material, Personal, Infrastruktur, einfach erst mal wieder zu richten, um die Anforderungen, die heute die Politik mehr denn je an uns stellt, tatsächlich gewährleisten zu können, und dafür muss der Haushalt enorm aufwachsen.“

Das ist eine massive Kritik am Deutschen Bundestag, der die jahrelange Unterfinanzierung der Parlamentsarmee Bundeswehr zugelassen hat. Das ist eine sehr herbe Kritik an die für Sicherheitspolitik verantwortlichen Politiker. Und das ist auch starke Kritik an der militärischen Führung, die für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte verantwortlich ist, und die der Politik Missstände und Unzulänglichkeiten in der Bundeswehr ungeschönt darzulegen und Maßnahmen zur Abhilfe aufzuzeigen sowie einzufordern hat. Von der Leyen hat in den knapp 4 Jahren ihrer Verantwortung nur sehr unzureichend Erfolg bei der notwendigen Erhöhung des Verteidigungshaushaltes gehabt, um den aus ihrer Sicht „riesigen Investitionsbedarf der Streitkräfte“ zu decken. Sie ordnet sich damit in die Reihe der erfolglosen oder auch unfähigen Verteidigungsminister Scharping, Jung, zu Guttemberg und de Maiziére ein. Zusätzlich behindert sie mit ihrer erfolglosen Politik die Personalwerbung für die Bundeswehr. Denn welcher leistungsfähige junge Bürger verpflichtet sich bei einem „Sanierungsfall“, dem eine planmäßige - von der Politik zu verantwortende - „Mangelwirtschaft“ vorzuwerfen ist.

Der Deutsche Bundestag hat im Dezember 2015 mit großer Mehrheit entschieden, mit bis zu 1.200 Soldaten der Bundeswehr den internationalen Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) durch Aufklärung zu unterstützen. Deutschland will wieder einmal solidarisch, bündnistreu und dabei sein, ohne dass es ein robustes Mandat der Vereinten Nationen gibt, ohne dass die Koalition gegen den IS klare Ziele und eine Strategie für ihren Krieg gegen den Terror formuliert hat und ohne dass Deutschland genau definiert hat, welche vitalen Interessen mit dem deutschen Beitrag vertreten werden sollen. Deutschland schickt seine Soldaten einmal mehr ohne strategisches Konzept in den Einsatz. Deutschland hat für die Einsätze seiner Parlamentsarmee aber nicht nur keine strategischen Vorstellungen, sondern auch keine hinreichend einsatzfähigen Streitkräfte. Die Einschränkungen bei der Einsatzfähigkeit der Luftwaffe sind erschreckend groß. Wenn nur ein Drittel der Tornados eingesetzt werden können, die Einsatzbereitschaftslage bei den Eurofightern nicht viel besser ist und zu wenige Transall für den Versorgungsverkehr zur Verfügung stehen, dann ist das besorgniserregend. Der Marine fehlt Fachpersonal, deswegen sind einige Schiffe nicht einsatzfähig. Das Heer leidet unter dem erheblichen Mangel an einsatzwichtigem Großgerät. Für die Soldaten des Panzergrenadierbataillons 371 aus dem sächsischen Marienberg mussten zum Beispiel für einen NATO-Speerspitzeneinsatz 1300 einsatzwichtige Waffen und Ausrüstungsgegenstände aus 56 anderen Verbänden ausgeliehen werden. Auch das Gefecht der verbundenen Waffen kann derzeit auf Brigadeebene nur stark eingeschränkt geführt werden. Der Sanitätsdienst ist chronisch überlastet und die Streitkräftebasis ist aufgrund der Unterstützungsverpflichtungen in allen Auslandseinsätzen überbeansprucht. Teure, leitungsfähige Munition ist in allen Teilstreitkräften nur in unverantwortlich geringen Stückzahlen verfügbar. Weitere Gründe für die eingeschränkte Einsatzfähigkeit der Bundeswehr sind aber auch das Missmanagement im Rüstungs- und Beschaffungswesen sowie eine offenbar häufig unzureichende Vertragsgestaltung bei Rüstungsprojekten durch die Rechtsabteilung des Ministeriums. Hier liegen eklatante Versäumnisse und Fehler der politischen Leitung und der Bundeswehrverwaltung vor. Zum erheblichen Nachteil der Gewährleistung der äußeren Sicherheit der deutschen Bürger. Und mit erheblichen Auswirkungen auf die Personalgewinnung der Streitkräfte. Denn welcher leistungsfähige deutsche Bürger - männlich oder weiblich - will schon in Streitkräften dienen, die aufgrund jahrelanger Unterfinanzierung nur sehr eingeschränkt einsatzfähig sind?

Und was hat denn nun die Gesellschaft in den letzten 100 Jahren geleistet, was die Bundeswehr als Organisation „nachholen“ muss? Es hat sich sicher eine Menge getan seit der Zeit kurz vor Ende des ersten Weltkrieges und das soll die Bundeswehr alles verschlafen haben? Schon dieser banale Hinweis zeigt, wie absurd und haltlos die Kritik der Verteidigungsministerin an „ihren“ Soldaten ist. Als Beispiel nennt sie den Mangel an „Respekt für Vielfalt“ und damit einen Mangel an „Haltung“. Diese Haltung will von der Leyen „vorleben“ und dazu die „Innere Führung“ der Bundeswehr weiterentwickeln. Und zur Begründung sagt Ministerin von der Leyen in einem Interview: „...die Welt ändert sich, die Truppe wird vielfältiger, beispielsweise mit Menschen mit Migrationshintergrund, Religionen, sexueller Orientierung, Handicaps, Stärken und Schwächen. Und die Bundeswehr auf diese Vielfalt inklusive der sicherheitspolitischen Veränderungen auszurichten, das ist die Weiterentwicklung der Inneren Führung.“ Hier zeigt die Ministerin ein wenig reflektiertes Verständnis der Inneren Führung. Aber eigentlich geht es der Ministerin offensichtlich um eine buntere, vielfältigere und multikulturelle Bundeswehr der Zukunft. Wenn damit der qualifizierte und für den Soldatenberuf geeignete Nachwuchs gewonnen wird, der gegebenenfalls das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer verteidigen will und kann, dann ist dagegen nichts einzuwenden. Dabei scheinen der Ministerin die Erhöhung der Frauenquote, die Homosexuellen und Bürger mit Migrationshintergrund besonders am Herzen zu liegen. In einem vertraulichen Papier hat von der Leyen ihre Amtsvorgänger wegen der Diskriminierung von Homosexuellen durch die Bundeswehr scharf kritisiert. Schwule Soldaten seien jahrzehntelang „erheblich“ benachteiligt worden. Die Streitkräfte hätten ihnen „Berufswege verstellt“ und Karrieren „verhindert“. Diskriminierung sei „im Personalmanagement der Bundeswehr“ Realität gewesen. Dabei entsprach der Umgang der Bundeswehr mit Homosexuellen und dessen Entwicklung weitgehend dem allgemeinen gesellschaftlichen Umgang. Die Ministerin stellt die Rechte von Randgruppen und Minderheiten zu sehr in den Vordergrund und vernachlässigt die Mitte und die Mehrheit der Bevölkerung sowie der Soldaten. Außerdem ist der mündige Bürger mit besonderen sexuellen Neigungen ja frei in seiner Berufswahl und muss sich nicht unbedingt für einen Beruf entscheiden, wo es aufgrund der besonderen Rahmenbedingungen und Anforderungen schwierig sein kann, nach seinen Neigungen zu leben. Die Bundeswehr sollte daher die Gruppe der Homosexuellen und Transsexuellen auch im Rahmen der Personalstrategie nicht besonders bewerben, denn es wird nicht unbedingt zur Einsatzfähigkeit der Streitkräfte beitragen, wenn sich die Streitkräfte zum homosexuellenfreundlichsten deutschen Arbeitgeber entwickeln. Und Streitkräfte, in denen Multikulti-, Gender-, Sexualitätsdiskussionen und eine eher kopflose Gleichstellungspolitik eine größere Bedeutung zu haben scheinen als der Abbau der materiellen und personellen Defizite zur Herstellung der Einsatzfähigkeit, sind nicht attraktiv für junge leistungsfähige Bürger, die das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes als Soldat gegebenenfalls verteidigen wollen.

Die Ministerin will „Haltung“ vorleben. Da könnte sie mit dem Versuch, die Einstellung der politisch wenig gebildeten und sicherheitspolitisch wenig interessierten deutschen Bevölkerung zur Bundeswehr zu verbessern, beginnen. In der Bundesrepublik Deutschland darf jeder Bürger aufgrund höchstrichterlichen Urteils die Soldaten der Bundeswehr ungestraft „potentielle Mörder“ nennen. Keiner aus der Riege der ungeeigneten oder unfähigen Verteidigungsminister hat jemals den fürsorglichen Versuch unternommen, dieses diskriminierende Urteil revidieren zu lassen.

Die öffentlich geführten Diskussionen über Sicherheitspolitik und den damit zusammenhängenden Dienst der Soldaten für die Bundesrepublik ist meist platt und oberflächlich. Den Jugendoffizieren der Bundeswehr wird vielfach der Zugang zu den Bildungseinrichtungen zum Zweck der Information der jungen Leute aus erster Hand verweigert. Und so bewirbt sich ein Teil des gesellschaftlichen Querschnitts der jungen Bevölkerung relativ unvorbereitet und unzureichend informiert für einen Dienst, der nicht wenige schnell überfordert. Und die bundesdeutsche Gesellschaft macht es den jungen Bürgern auch nicht leicht. Welcher junge Leistungsträger will einen Beruf ergreifen, der in der Gesellschaft kaum Anerkennung erfährt. Welcher gut qualifizierte Abiturient will sein Berufsleben bei einem "Arbeitgeber" verbringen, dessen zukunftsorientierte Einsatzbereitschaft von der Politik finanziell nur unzureichend gesichert wird. Und welcher patriotisch eingestellte, leistungsfähige und leistungsbereite junge Bürger möchte sich als Soldat dem Dienst einer vermeintlich "wehrhaften Demokratie" verschreiben, die patriotische Einstellungen für zwielichtig hält und den Beruf des Soldaten gering schätzt, bis hin zur gestatteten Verleumdung als potentieller Mörder. Erst wenn die deutsche Gesellschaft einmal bereit ist, den Einsatz ihrer Soldaten mehrheitlich zu würdigen, dann hat die Bundeswehr auch als Freiwilligenarmee genügend geeigneten und qualifizierten Nachwuchs, der nicht nur in einem familienfreundlichen "Job" mit geregelter Arbeitszeit hinreichend Geld verdienen möchte, sondern der aus Ãœberzeugung und gut motiviert als Soldat oder Soldatin der Bundesrepublik Deutschland mit der Waffe dienen will. Da könnte Ministerin von der Leyen über ihren starken Hang zur Selbstdarstellung hinauswachsen und eine fürsorgliche Leistung für „ihre“ Soldaten erbringen und gleichzeitig die Nachwuchsgewinnung fördern.

Und im Hinblick auf die Gestrigkeit der Bundeswehr sei nur kurz angemerkt, dass die Bundeswehr schon nach den Grundsätzen der „Inneren Führung“ Dienst getan hat, als die Wirtschaft den Begriff „Compliance“ noch nicht kannte. Außerdem hat die Bundeswehr ihren Dienst von Beginn an auf der Grundlage des Soldatengesetzes gestaltet und ihre Soldaten „mitarbeiterorientiert“ geführt, militärisch gesprochen: kameradschaftlich, fürsorglich und unter Bedingungen der Wehrbeschwerdeordnung. Als die Wirtschaft in den 80er Jahren begonnen hat, ihre Führungskräfte in Seminaren an „mitarbeiterorientiertes Führen“ und „soft skills“ zu gewöhnen, konnte sie auf Erkenntnisse und Unterrichtsmaterial der Bundeswehr zurückgreifen. „Innere Führung“ im Sinne von „gelebter Demokratie in Streitkräften" gibt es in keiner anderen bewaffneten Organisation in Europa.

Wenn es der Ministerin nicht gelingt, den plausiblen Nachweis zu erbringen, warum die Bundeswehr ein „verstaubter Klub Gestriger“ ist, der eine 100-jährige gesellschaftliche Entwicklung nachzuholen hat, entsteht für die Parlamentsarmee ein großes Problem: Ministerin von der Leyen. Eine Ministerin die sich nicht scheut, „ihre“ Soldaten herabzusetzen, verliert das Vertrauen und steigert die begründete Politikerverdrossenheit der jungen Generation. Und welcher leistungsfähige junge Bürger fasst freiwillig den Entschluss, sich einer politischen Leitung auszusetzen, die bereit zu sein scheint, ihn zu diffamieren.

(15.04.2017)

 

 

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