Hans-Heinrich Dieter

Innerafghanischer Versöhnungsprozess   (12.03.2013)

 

Der Verteidigungsminister hat kürzlich in einem Interview mit BILD am Sonntag angekündigt, noch vor der Bundestagswahl ein Konzept für den Abzug der Bundeswehr bis Ende 2014 aus Afghanistan vorzulegen. Er will einen Vorschlag innerhalb der Bundesregierung erarbeiten, das Ergebnis dann mit der Opposition besprechen und danach die Öffentlichkeit informieren. Was man sich unter einem solchen „Konzept“ vorzustellen hat, ist bisher unklar. Wichtiger wäre es, eine sicherheitspolitische Strategie zu entwerfen, um eine politische Lösung des Krieges am Hindukusch zu ermöglichen. Und wenn eine „Übergabe in Verantwortung“ gelingen soll, dann ist eine solche Strategie zwingend.

Die afghanischen Rahmenbedingungen für eine militärische Auftragserfüllung sind schlecht, umso wichtiger sind die Arbeiten an einem innerafghanischen Versöhnungsprozess. Dieser innerafghanische Versöhnungsprozess kommt nicht voran, auch weil die Taliban nicht wirklich gesprächsbereit sind. Eine hohe Gefährdung Afghanistans durch die Taliban aus Pakistan ist weiterhin gegeben. Der für langfristige Stabilität wichtige Iran ist in politische Gespräche bisher nicht eingebunden. Die politischen Nachbarn sind bisher in die Ãœberlegungen zum innerafghanischen Versöhnungsprozess und seine Auswirkungen auf die Gestaltung der Zukunft der Region nicht hinreichend eingebunden. Die Taliban in Afghanistan sind geschwächt aber nicht „besiegt“ und insbesondere in Regionen mit paschtunischer Bevölkerungsmehrheit geben die Taliban mehr oder weniger den Ton an und treiben weiterhin ihr Unwesen. Deswegen ist die Sicherheitslage auch nicht stabil, sondern weiterhin sehr fragil. Und wenn es nach den Taliban geht, ist der vollständige Abzug aller fremden Truppen ohnehin Bedingung für mögliche Erfolge im innerafghanischen Versöhnungsprozess. Solche Bedingungen sind natürlich so nicht zu akzeptieren, weil dadurch die gesicherte Entwicklung Afghanistans nach 2014 gefährdet wäre.

Wie auch die USA, hat Deutschland  - in eine höchst unsichere Entwicklung der afghanischen Zukunft hinein - in einem zunächst auf fünf Jahre angelegten Partnerschaftsabkommen Zusagen für eine langfristige Unterstützung beim Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte und im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Hilfe gemacht. Deutschland will Kabul Unterstützung in den Bereichen Bildung, Infrastruktur, beim Abbau von wertvollen Rohstoffen und beim Aufbau einer funktionierenden Justiz zukommen lassen. Deutschland knüpft die langfristigen Unterstützungszusagen allerdings an Bedingungen: Im Vorwort des Abkommens heißt es, Deutschland und Afghanistan seien sich einig in der "Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit", in den "Prinzipien einer guten Regierungsführung", hinsichtlich der "Reform der öffentlichen Verwaltung" und im Hinblick auf die Notwendigkeit der "Durchsetzung des Rechtsstaates". Eine Zeitachse für das Erreichen solcher  Voraussetzungen wurde allerdings nicht vereinbart und die politischen Rahmenbedingungen für die Realisierung der Partnerschaft sind auch noch überhaupt nicht definiert. Der innerafghanische Versöhnungsprozesses sollte aber zumindest begonnen haben, wenn die beschlossene Partnerschaft gelingen soll.

Und die Bedingungen dafür sind derzeit noch denkbar schlecht. Die Regierung Karsai und die Verwaltung sind weiterhin korrupt, Karsai wird von großen Teilen der Bevölkerung als Präsident nicht anerkannt. Taliban – wie Mullah Omar - lehnen direkte Verhandlungen mit der „Marionette“ Karsai ab. Es hat zwar mehrere Gesprächsversuche zwischen den „gemäßigten“ Taliban und US-Vertretern bzw. der afghanischen Regierung gegeben, doch bisher ohne nennenswerte Erfolge. Widerstände gegen Verhandlungen mit den Taliban gibt es auch in Afghanistan selbst. Die afghanische Mittelschicht sieht offenbar die kleinen Fortschritte bei den Menschen- und Frauenrechten durch mögliche Verhandlungszugeständnisse an die Taliban bedroht. Und die Karsai nahestehenden Tadschiken, Hazara und Usbeken lehnen Entgegenkommen gegenüber den paschtunischen Taliban offenbar bisher ab. Der unsichere und wankelmütige Kantonist Karsai hat dann auch noch kürzlich im Zusammenhang mit dem Besuch des neuen US-Verteidigungsministers Hagel behauptet, die USA und die Taliban würden "heimlich zusammenarbeiten, um Afghanistan instabil zu halten". 

Gleichzeitig glaubt aber Karsai in einer anderen Gesprächsrunde, bis Juli dieses Jahres eine „Friedenslösung“ erreichen zu können. Derweil bewaffnen sich Milizen im Norden Afghanistans, denn keine Minderheit vertraut der anderen und Nicht-Paschtunen misstrauen Paschtunen grundsätzlich sowie fundamental und bereiten sich auf ethnische Auseinandersetzungen und Machtkämpfe nach 2014 vor. Und die Taliban bestimmen weiterhin Zeit, Ort, Art, Umfang und Qualität von Anschlägen gegen ISAF oder die afghanische Bevölkerung. Bei solchen „afghanischen Verhältnissen“ scheinen längerfristige  politische Abkommen eher Illusion zu sein.

Und deswegen muss für den mittel- und langfristigen Umgang mit solchen „afghanischen Verhältnissen“ eine sicherheitspolitische Strategie entwickelt werden. Die USA alleine werden möglicherweise den innerafghanischen Versöhnungsprozess aufgrund der starken Ressentiments der Bevölkerung gegenüber der „Besatzungsmacht Amerika“ nicht voranbringen können. Deutschlands Ansehen in der Bevölkerung ist aufgrund des Petersberg-Engagements und wegen des zurückhaltenderen militärischen Vorgehens der Bundeswehr im Norden Afghanistans stabiler und wohl auch besser. Deswegen sollten wir Ãœberlegungen anstellen, wie wir zusammen mit den USA und der NATO unter Einbeziehung der afghanischen Ethnien, der gesprächsbereiten Taliban und der benachbarten Staaten der Region sowie mit Hilfe der Vereinten Nationen den innerafghanischen Versöhnungsprozess so unterstützen, dass es nach 2014 nicht zu einem erneuten Bürgerkrieg kommt.

Als sicherheitspolitischer Partner mit zunehmendem Gewicht in der Welt muss Deutschland im Zusammenwirken mit seinen Partnern an sicherheitspolitischer Souveränität und Handlungsfähigkeit gewinnen. Die Unterstützung Afghanistans nach 2014 wird ein sehr schwieriger Test werden. Um diesen Test zu bestehen, muss mit einer sicherheitspolitischen Strategie das Terrain positiv gestaltet werden.

(12.03.2013)

 

 

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