Hans-Heinrich Dieter

Türkisch-deutsches Demokratieverständnis   (07.07.2013)

 

Im Düsseldorfer Rheinpark folgten über 20.000 Menschen dem Aufruf der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), und demonstrierten vor dem türkischen Generalkonsulat für die Politik des türkischen Regierungschefs Erdogan. Ein Meer türkischer Fahnen und plakatgroße Konterfeis des Ministerpräsidenten prägten das Bild.

Man fühlt sich irgendwie verhöhnt, wenn man sich vor Augen führt, dass die Veranstaltung unter dem Motto "Respekt vor der Demokratie" abgehalten wurde. Andererseits ist von der UETD, die in den vergangenen Jahren immer wieder Redeauftritte Erdogans in Köln und Düsseldorf organisiert hat, nicht zu erwarten, dass sie viel Verständnis für die Bürgerbewegung in der Türkei aufbringt.

Bei solchen Redeauftritten wirft sich der Chauvinist Erdogan immer wieder zum Ministerpräsidenten auch der türkischstämmigen Deutschen auf und fordert, belehrt, schulmeistert, kritisiert Deutschland als sehr unangenehmer Gast aus nationalistischer türkischer Sicht, ohne hinreichendes Verständnis für die politischen und gesellschaftlichen Belange seiner deutschen Gastgeber. Das gefällt offensichtlich der UETD und nicht wenigen türkischstämmigen Mitbürgern.

Das Verhalten Erdogans gegenüber den Bürgerbegehren in der Türkei entlarvt ihn aber als autokratischen Gewaltherrscher. Denn Erdogan reagiert auf die Demonstrationen gegen seine Politik mit Kriminalisierung der Demonstranten als Terroristen, mit weiteren üblen Beschimpfungen der Demonstranten, mit Polarisierung, mit Aufwiegelung der Polizeikräfte und mit demagogischem Aufputschen seiner AKP-Anhänger. Die Folge war in den letzten Wochen - und auch am heutigen Sonntag - ein höchst brutales Vorgehen der Polizei mit Schlagstockeinsatz, Wasserwerfern und Tränengas, ohne Rücksicht auf Frauen und Kinder. Nach Erdogans Vorstellungen hat die Polizei bei ihren Einsätzen neben dem Gebrauch von Schlagstöcken, Wasserwerfern und Tränengas, auch die Befugnis, bei Bedarf scharfe Munition einzusetzen. Und inzwischen war sogar schon vom Einsatz der Streitkräfte gegen die Bürgerbewegung die Rede.

Ganz offensichtlich fehlt Erdogan und anderen türkischen Spitzenpolitikern jegliches demokratische Grundgefühl. Der Regierung Erdogan ist offenbar nicht klar, dass sie mit dem brutalen Vorgehen gegen die türkischen Demonstranten gegen die Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte, das Recht auf Freiheit und Sicherheit, die Freiheit der Meinungsäußerung und gegen das Recht der Bürger auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit verstoßen und damit eklatant die Menschen- und Freiheitsrechte der türkischen Bürger gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention, die am 4. November 1950 in Rom auch von der Türkei unterzeichnet wurde, beeinträchtigen. Und der UETD fehlt ein solches demokratisches Grundgefühl offenbar auch.

Das Verhalten des Gewaltherrschers Erdogan ist schlimm. Genauso schlimm ist, dass eine große Zahl, wenn nicht gar eine knappe Mehrheit der islamisch-konservativen und der wenig gebildeten Landbevölkerung in der Türkei, Erdogans Politik aufgrund seiner wirtschaftlichen Erfolge unterstützt und sogar sein brutales Vorgehen gegen andersdenkende Teile der türkischen Bevölkerung bejubelt. Und schlimm ist auch, dass offenbar nicht wenige türkische Migranten in Deutschland „ihren türkischen Ministerpräsidenten“ unterstützen und sein hartes Vorgehen gegen die für mehr Freiheit eintretenden türkischen Mitbürger gutheißen - und das unter dem Motto "Respekt vor der Demokratie". Wo bleibt bei solchen Veranstaltungen der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, der Erdogan in anderem Zusammenhang schon einmal "faschistoid" genannt hat?

Die türkischen Gemeinden in Deutschland müssen sich dieser Thematik ganz offensichtlich einmal objektiv annehmen und über eine intensive, vorurteilsfreie und weiterbildende Diskussion das demokratische Verständnis und damit vielleicht die Integration fördern. Denn es ist nur schwer vorstellbar, dass die gebildeteren türkischstämmigen Mitbürger Erdogans Politik gutheißen. Es sind wohl eher die 45% der türkischen Migranten ohne Schulabschluss, die vielen ungelernten türkischstämmigen Arbeiter und die 15 %, die von Hartz IV leben, die - auch politisch ungebildet - den Gewaltherrscher Erdogan unterstützen.

(07.07.2013)

 

 

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