Hans-Heinrich Dieter

Strukturmängel am Beispiel Sanitätsdienst   (16.02.2013)

 

Der Sanitätsdienst der Bundeswehr hat eine lange und erfolgreiche Geschichte. Viele Soldatengenerationen verdanken ihm Gesundheit, manche auch ihr Leben. Soldaten des Sanitätsdienstes waren damals in Kambodscha die ersten deutschen Militärs im Auslandseinsatz und das erste deutsche Kontingent der UN-Peace Force 1995 im ehemaligen Jugoslawien war hauptsächlich ein Sanitätskontingent zum Betrieb eines deutsch-französischen Feldlazarettes für die UN-Truppen. Seitdem ist der Sanitätsdienst auch im Einsatz ständig stark gefordert. Nun will die Bundesregierung auch eine Sanitätseinheit nach Mali schicken, die dort ein Lazarett betreiben soll. Aber die, die sich erfolgreich um die Gesundheit unserer Soldaten sorgen sollen, sind ein echtes Sorgenkind, nicht nur des Wehrbeauftragten.

Im Bericht 2012 klagt der Wehrbeauftragte im Grundsatz über zu wenige Ärzte und Pfleger, mangelhafte Aus- und Weiterbildung und eine unzureichende medizinische und psychologische Betreuung von Soldaten, die aus dem Auslandseinsatz kommen. Hauptsächlich „Im klinischen Bereich ist die Lage vor allem bei den Chirurgen und Psychiatern mit einem Fehl von bis zu 25 Prozent besonders angespannt“. Der Afghanistaneinsatz hat die Anforderungen an die Militärärzte verstärkt. Viele Mediziner waren schon sehr häufig im Einsatz, denn gerade bei den Ärzten besteht ein großer Personalmangel. Aber auch bei den Truppenärzten in den Kasernen sind ein Fünftel der Stellen unbesetzt. Dabei ist der Zentrale Sanitätsdienst der Bundeswehr seit 2000 ein eigenständiger Organisationsbereich mit rund 19.600 Soldaten und damit personalstärker als die Marine und macht mehr als 10 Prozent der Soldaten der Bundeswehr aus. Das Problem ist die Organisation des Sanitätsdienstes im Zusammenhang mit den Guttenbergschen "Reformen" und mit der "Neuausrichtung" de Maizières.

Die Aufgabe des Sanitätsdienstes der Bundeswehr ist es, für die Gesundheit der Soldaten zu sorgen, sie zu erhalten oder wiederherzustellen, sowohl im Inland, auf See als auch im Auslandseinsatz. Da muss man fragen, ob es zur Auftragserfüllung erforderlich ist, dass der Sanitätsdienst ein eigenständiger militärischer Organisationsbereich der deutschen Streitkräfte ist? Die Struktur-Kommission war nicht dieser Auffassung und hat vorgeschlagen, den „Zentralen Sanitätsdienst“ aufzulösen, unter anderem, weil zu viel Bürokratie die Sanitätsoffiziere von kurativen Aufgaben fernhält. Der Sanitätsdienst sollte nach den Vorstellungen der Kommission in die Streitkräftebasis überführt und in einem „Fähigkeitskommando Sanitätsdienst der Bundeswehr“ konzentriert werden.

Die Bundeswehr ist dem Rat der Weise-Kommission damals nicht gefolgt. Der Sanitätsdienst organisiert sich also weiterhin mit hohem Fachpersonalaufwand selbst. Dem neuen Kommando  Sanitätsdienst in Koblenz gehören allein 600 Sanitätssoldaten an, darunter sehr viele Fachärzte mit langjähriger Ausbildung, die der Truppe und im Einsatz fehlen. Aus Sicht der Sanitätsoffiziere mag das verständlich sein, denn wirklich Karriere kann man als Arzt bei der Bundeswehr derzeit nur im Bereich Führung und Organisation machen. Das rechtfertigt aber nicht die Verschwendung hochkarätiger Fachkräfte-Ressourcen in bürokratischen Verwaltungstätigkeiten zu Lasten der konkreten Gesundheitsfürsorge für unsere Soldaten.

Zu häufige Auslandseinsätze aufgrund von Personalengpässen machen den Arbeitgeber Bundeswehr für medizinisches Personal auch nicht gerade attraktiv. Darüber hinaus hat der Sanitätsdienst der Bundeswehr mit 7000 Soldatinnen, also 35 Prozent, die höchste Frauenquote in den Streitkräften. Da wirken sich die noch unzureichend gelösten Probleme der schwierigen Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der zu wenig flexiblen Teilzeit-Arbeitsmöglichkeiten gravierend negativ aus.

Darüber hinaus sind die konzeptionellen Vorgaben für die Gesundheitsfürsorge überzogen, denn der Soldat im Einsatz hat Anspruch auf dieselbe Gesundheitsfürsorge wie im Heimatland. Das führt dazu, dass wir auch bei kleineren Einsätzen ein fachpersonalintensives Feldlazarett in der Qualität eines Kreiskrankenhauses einrichten. Dieses Personal ist in der Regel nur sehr schwach ausgelastet und fehlt an der „Heimatfront“. Kein NATO-Partner leistet sich einen solchen Aufwand, ohne dabei verantwortungslos zu sein. Verletzte oder Verwundete werden durch das dazu erforderliche Personal versorgt und stabilisiert und dann in die Heimat ausgeflogen. Bei der Bundeswehr im Einsatz werden die betroffenen Soldaten unter etwas angenehmeren Bedingungen versorgt, stabilisiert und ggf. auch operativ versorgt, schwerere Fälle werden möglichst unverzüglich in die Heimat geflogen.

Der Sanitätsdienst ist aber keine Ausnahme, wenn es um überzogene Ansprüche geht. Denn einer sehr interessanten Studie der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) zur Folge ist die Bundeswehr im Vergleich der europäischen Armeen äußerst ineffizient. Die Bundeswehr kann derzeit lediglich 7.000 Soldaten einsetzen, während es bei den britischen Streitkräften 22.000 und bei der Grande Armee 30.000 Soldaten sein sollen. Der Studie entsprechend stehen sage und schreibe hinter jedem Bundeswehrsoldaten im Einsatz 35 Soldaten und 15 zivile Mitarbeiter in Deutschland für den Grundbetrieb und zur Unterstützung. Bei den Franzosen stehen hinter jedem Einsatzsoldaten acht Soldaten und zwei zivile Mitarbeiter in der Heimat, bei den Briten sind es neun Soldaten und vier Zivilisten und EU-weit unterstützen 16 Soldaten und vier Zivilbedienstete die Soldaten im Einsatz. Nach der Studie der EDA liegen außerdem die deutschen Ausgaben pro Soldatenkopf im Einsatz mit 5,16 Millionen Euro dreimal so hoch wie im EU-Durchschnitt. Die Bundeswehr wird in Zukunft möglicherweise noch häufiger im Einsatz sein und das Verteidigungsressort auch weiterhin finanziell unzureichend ausgestattet sein. Solche Studienergebnisse und die Lage im Sanitätsdienst – neben vielen anderen Strukturfragen - sollten deswegen die Planer alarmieren und zum Nachsteuern der Neuausrichtung der Bundeswehr bewegen.

Die nächste "tiefgreifendste Reform" sollte nicht bereits in der nächsten Legislaturperiode erforderlich werden.

(16.02.2013)

 

 

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