Hans-Heinrich Dieter

Spiel mit dem Feuer  (16.08.2012)

 

Bei seinem Besuch in Berlin im März 2012 hat Verteidigungsminister Ehud Barak wiederholt die Absicht Israels erklärt, das iranische Atomprogramm notfalls mit einem gezielten Militärschlag stoppen zu wollen, bevor Teheran seine Atomanlagen bombensicher in unterirdischen Bunkern unterbringt und Barak hat damit Sorgen in aller Welt verursacht. Diese Sorgen sind durchaus sehr berechtigt, denn nach jüngsten Einschätzungen von US-Verteidigungsminister Leon Panetta hat Israel zwar noch nicht über einen Angriff auf Atomanlagen im Iran entschieden, doch die Planungen dafür seien weit fortgeschritten.

Wie ist die Lage? Der Iran steht im Verdacht, mit Hilfe seines zivilen Atomprogramms den Bau von Nuklearwaffen anzustreben. Teheran weist diese Vorwürfe regelmäßig zurück, hat aber Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft, die diese Vorwürfe hätten entkräften können, ebenso regelmäßig nicht zugelassen. Die Atommacht Israel fühlt sich in ihrer Existenz bedroht und unterstellt, dass der Iran innerhalb von sechs Monaten über waffenfähiges Uran verfügen könnte. Israel glaubt andererseits auch nicht an den Erfolg diplomatischer Bemühungen und an die Wirksamkeit von Sanktionen. Damit stellt sich Israel gegen die Erkenntnisse und Auffassungen der USA. Auch in diesem Zusammenhang sieht Israel - ziemlich isoliert - mit höchster Priorität seine angebliche existenzielle Gefährdung und ist aus politischen Gründen offenbar nicht bereit, die negativen Folgen und die unkalkulierbaren Risiken eines solchen Schlages für die gesamte Region und die Weltgemeinschaft zu berücksichtigen. Präsident Obama hat auch deswegen dem Drängen Netanjahus bei dessen Besuch in Washington am 5. März 2012 und danach nicht nachgegeben, die Bereitschaft der USA zu erklären, den Iran notfalls mit Waffengewalt bei seinem möglichen Atomwaffen-Programm zu stoppen.

Israel fühlt sich immer bedroht und lebt gefühlt in einem ständigen Kriegszustand. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass sich Israel israelischen Medienberichten zur Folge nun auf einen 30-tägigen Krieg gegen den Iran und die Hisbollah vorbereitet, Luftschutzbunker aktiviert und Gasmasken an die Zivilbevölkerung verteilt. "Die Analysen deuten auf einen Krieg an mehreren Fronten hin, der 30 Tage dauern würde", sagte der ehemalige Zivilschutz-Minister Matan Vilnai der Zeitung "Maariv". Und er bestätigte die Einschätzungen von Verteidigungsminister Ehud Barak, dass etwa 500 Israelis sterben dürften, wenn jeden Tag Hunderte Raketen auf die Städte des Landes niedergingen. Wenn es stimmt, dass Iran und die Hisbollah gemeinsam mindestens 200.000 Raketen auf Israel gerichtet haben, dann sind solche Rechnungen eher euphemistisch. Zwar entsprechen laut einem Bericht der Knesset etwa 80 Prozent der rund eine Million Schutzräume und Bunker im Land nicht den Anforderungen und nur 55 Prozent der Israelis verfügen über Schutzmasken, dennoch betont der ehemalige Zivilschutz-Minister und künftige Botschafter Israels in Peking, Vilnai: „Die Heimatfront ist so gut vorbereitet wie nie zuvor“. Aber die „Heimatfront“ macht sich durchaus zunehmend Sorgen über die möglichen Folgen eines Präventivschlags gegen den Iran. Und das zu Recht.

In Syrien tobt ein blutiger Bürgerkrieg, der teilweise schon auf den Libanon überschwappt. In den Grenzgebieten Syrien/Jordanien und Syrien/Türkei ist die Lage sehr angespannt. Die ganze Region ist höchst instabil. Ein möglicherweise völkerrechtswidriger Angriff Israels auf den Iran würde die Region wohl weiter destabilisieren.US-Geheimdienstler und auch hochrangige Militärs, aber auch israelische Militärfachleute warnen denn auch angesichts der Lage in der Region und angesichts der eingeschränkten israelischen militärischen Fähigkeiten eindringlich vor einem israelischen Alleingang und Militärschlag, weil sie genau wissen, dass ein solcher israelischer Angriff iranische Gegenmaßnahmen und Vergeltung vielfältiger Art nach sich zöge und die USA und Teile der westlichen Welt automatisch in einen solchen, den gesamten Nahen und Mittleren Osten gefährdenden, Krieg hineingezogen würden.

Und was könnte mit einem israelischen Erstschlag gegen das iranische Atomprogramm erreicht werden? Fachleute sind sich weitgehend einig, dass ein solcher israelischer Erstschlag die atomaren Einrichtungen und Kapazitäten nicht nachhaltig zerstören, sondern ein vermutetes iranisches Nuklearwaffen-Programm allenfalls um etwa zwei Jahre verzögern könnte. Ohne internationale politische und militärische Unterstützung ist ein solcher israelischer Erstschlag wohl zum Scheitern verurteilt. Der israelische Generalstab und der Geheimdienst wissen das, denn das sind Profis, die Risiko- und Kosten-Nutzen-Analysen anstellen können. Das hält aber Netanjahu/Lieberman nicht von Kriegsvorbereitungen und von schwer zu verantwortender Kriegsrhetorik ab. Und diese Kriegsrhetorik soll wohl den Iran einschüchtern, die USA unter Druck setzen und von der Friedensunwilligkeit dieser israelischen Regierung und den sozialen Problemen im Land ablenken. Dabei darf Israel den Bogen nicht überspannen, wenn es nicht zu einer Gefahr für sich selbst und den gesamten Nahen Osten werden will. Die USA machen Israel hoffentlich deutlich, dass sie sich von Israel nicht unter Druck setzen lassen werden.

Deutschland muss als Freund und Partner Israels weiterhin unermüdlich deutlich machen, dass Art und Weise unserer Unterstützung und Solidarität auch abhängig sind von der Friedensbereitschaft Israels und dass wir uns nicht zur Geisel einseitiger und nicht abgestimmter, bedrohlicher israelischer Militäraktionen mit unkalkulierbaren Risiken und absehbar verheerenden Auswirkungen auf die gesamte Region, auf die Weltwirtschaft, wenn nicht gar auf den Weltfrieden, machen lassen werden.

(16.08.2012)

 

 

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