Hans-Heinrich Dieter

Sicherheitspolitischer Unsinn  (29.09.2012)

 

NATO-Generalsekretär Rasmussen hat im Rahmen der jüngsten UN-Vollversammlung in New York dem neuen  libyschen Staatschef Magarief Hilfe bei der Eingliederung bewaffneter Milizen in die staatlichen Sicherheitsstrukturen angeboten, wenn die libysche Regierung das wünsche. Bisher wurde dieses Angebot in den relevanten Medien noch nicht thematisiert – vielleicht weil man Rasmussen nicht so ernst nimmt.

Die NATO ist ein militärisches Verteidigungsbündnis aber auch ein Instrument aktiver Friedensgestaltung und stellt sich in einem fortlaufenden Prozess auf die neuen sicherheitspolitischen Anforderungen zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten ein. Bisher gibt es kein UN-Mandat für eine derartige Unterstützung Libyens, dieses Angebot ist offenbar bisher mit den Mitgliedstaaten der NATO nicht abgestimmt, das Ziel der Unterstützung ist bisher nicht definiert und dementsprechend gibt es auch noch keine Vorstellungen über den möglichen Einsatz von militärischen Kräften und Mitteln der NATO zur Realisierung eines solchen Angebots. Vor allen Dingen muss aber auch die Frage beantwortet werden, wie dieses Angebot mit der Zielsetzung der NATO vereinbar ist. Möglicherweise will Rasmussen auch nur das schlechte Gewissen der NATO beruhigen, denn der NATO-Einsatz 2011 zur Unterstützung der libyschen Rebellen ist mit Recht umstritten.

Vom März 2011 an hatte die NATO zunächst im Auftrag der UN die Flugverbotszone über Libyen und ein Waffenembargo zu gewährleisten und sich dann bereit erklärt, von Frankreich/Großbritannien/USA die Verantwortung für die Bekämpfung von Truppen und Einrichtungen Gaddafis zu übernehmen. Während der sechs Monate mit über 20.000 Kampfeinsätzen hat es viel berechtigte Kritik gegeben. Kritisiert wurde, dass die NATO das Waffenembargo nicht durchgesetzt hat. Das hätte nämlich auch bedeutet, das Embargo gegen die Mitglieder Frankreich und Italien wirksam werden zu lassen. Und obwohl die NATO immer behauptet hat, sie sei unparteiisch, war sie über weite Strecken doch Artillerieersatz und Luftwaffe für die Freiheitskämpfer/Rebellen/Aufständischen sowie leider wohl auch Terroristen und damit Kriegspartei in einem Bürgerkrieg. Und nicht nur für Russland gingen die Bombardierungen weit über den von der UN-Resolution erlaubten Schutz der Zivilbevölkerung hinaus.

Libyen ist, dort wo gekämpft wurde, immer noch ziemlich zerstört, es sind nach Angaben des Übergangsrates ca. 30.000 Tote zu beklagen, darunter viele Zivilisten. Während der Kämpfe ist nicht erkennbar gewesen, dass die Freiheitskämpfer bewusst Rücksicht auf Zivilbevölkerung in umkämpften Stadtteilen genommen hätten. Auf dem Vormarsch haben die Aufständischen teilweise wahllos Jagd auf Schwarzafrikaner gemacht und Lynchjustiz geübt auf den bloßen Verdacht hin, es handele sich um von Gaddafi angeheuerte Söldner. Der Umgang mit dem gefangenen Gaddafi und die Ermordung des Despoten waren menschenverachtend sowie Menschenrecht verletzend und haben im Zusammenhang mit den bisher von Human Rights Watch und vom Roten Kreuz aufgedeckten Massakern der Rebellen gezeigt, dass es sich bei einem Teil der Rebellen nicht um hehre Freiheitskämpfer, sondern um undisziplinierten bewaffneten Mob handelte. Der Nationale Übergangsrat hat dann wenig unternommen, um diese Verbrechen aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die NATO , die bis 31.10.2011 Bürgerkriegspartei war und somit "mitverantwortlich" ist für die Lage Libyens, hat keine unmissverständlichen Forderungen an den libyschen Übergangsrat gestellt, dieser Verantwortung gerecht zu werden und Menschenrechtsverletzungen jeweils zu unterbinden.

Nach Kriegsende hat sich die Lage eher verschlechtert als stabilisiert. Milizen der Rebellen haben im Land weiterhin großen Einfluss und sich geweigert, ihre Waffen abzugeben. Am 16.02.2012 hat Amnesty International in einem Bericht davor gewarnt, dass Milizen zunehmend außer Kontrolle geraten und die während des Aufstandes gewonnene Macht nicht abgeben, sondern vielmehr versuchen, mit Waffengewalt die Macht zu sichern, die ihnen als Freiheitskämpfer ihrer Meinung nach zusteht. Dabei scheuten die Milizionäre unter dem Eindruck von fehlender Strafverfolgung vor massiven Menschenrechtsverletzungen nicht zurück. Am 22.02.2012 hat Mustafa Dschalil, der damalige Vorsitzende des Nationalen Übergangsrates, offiziell bestätigt, dass die legitimierte politische Führung des Landes keine Kontrolle über die Milizen hat. Darüber hinaus kam es auch zur Aufstellung von regionalen Parlamenten, die den Sicherheitsrat nicht anerkennen.

Der Erfolg der Milizen gegen Gaddafi war nur möglich durch die massive Luft-Unterstützung der Rebellen seitens der NATO, durch Ausbildungsunterstützung für die Rebellen z.B. von Frankreich, Italien und Großbritannien und durch umfangreiche Waffenlieferungen von Qatar und auch mehreren NATO-Mitgliedern an undefinierte Rebellengruppen ohne einheitliche legitimierte Führung - entgegen dem vom UN-Sicherheitsrat verhängten Waffenembargo. Wenn heute auch teilweise die „Falschen“ immer noch bewaffnet sind, dann ist das von den waffenliefernden Staaten mit zu verantworten. Daher ist das schlechte Gewissen des NATO-Generalsekretärs teilweise durchaus verständlich.

Und nun soll möglicherweise die NATO Libyen bei der Eingliederung bewaffneter Milizen in die staatlichen Sicherheitsstrukturen unterstützen? Das ist sicherheitspolitisch nicht sinnvoll und darüber hinaus könnte sich die NATO sehr schnell als überfordert erweisen. Die bewaffneten Milizen sind sehr heterogen, unterschiedlich gewaltbereit, haben unterschiedliche Stammeszugehörigkeiten und sind offenbar teilweise von Al-Kaida unterwandert oder gesteuert. Solche Problemlagen in einem arabischen und muslimischen Land sollten von arabischen/muslimischen Institutionen bewältigt werden, nicht von wenig „geliebten“ westlichen „Besatzern“ oder „Besserwissern“. Denn diese Milizen müssten zunächst einmal entwaffnet werden. Warum sollte aber die NATO Milizen die Waffen abnehmen, die Qatar und einige NATO-Staaten teilweise undifferenziert und gegen das Waffenembargo an die unterschiedlichsten Milizen geliefert haben? Deswegen sollte die Arabische Liga mit Unterstützung der Staaten, die ja hoffentlich noch wissen, welche Waffen sie an welche Milizen und Freiheitskämpfer-Gruppen geliefert haben, sich dieser Aufgabe annehmen. Und die Eingliederung von ehemaligen Freiheitskämpfern in nationale Sicherheitsstrukturen ist ja wohl eine ausschließlich nationale libysche Aufgabe.

Die NATO hat beileibe genug große Probleme z.B. in Afghanistan und im Kosovo zu bewältigen und sollte bei ihren Leisten bleiben.

(29.09.2012)

 

 

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