Hans-Heinrich Dieter

Schluss mit Illusionen (05.10.2011)

 

In der Sicherheitspolitik gibt es keine Idyllen. Illusionen sind gefährlich, gefragt ist an der manchmal brutalen Realität orientiertes Handeln.

Blauäugig, schlecht informiert und voller Illusionen hat Deutschland unter Schröder/Fischer vor knapp 10 Jahren sein Engagement in Afghanistan begonnen. Die Vorstellung, dass die westliche Staatengemeinschaft relativ rasch eine "Westminster-Demokratie" errichten könnte, hat sich relativ lange gehalten. Später haben wir unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt. Unter Merkel/Steinmeier hat Deutschland mit dem ahnungsarmen Verteidigungsminister Jung durch geschönte Information der Bürger die Illusionen aufrechterhalten. Und erst Zug um Zug wurde der Bevölkerung vermittelt, dass sich deutsche Soldaten im Krieg befinden.

Seit Merkel/Westerwelle engagiert sich Deutschland in Afghanistan mit dem plakativen Ziel "Ãœbergabe in Verantwortung". Um dem sehr ehrgeizigen Zeitplan der USA und der übrigen westlichen Staatengemeinschaft genügen zu können, wurde eine neue Illusion politisch propagiert und Grundlage politischen Handelns, die Aussöhnung mit den Taliban. Afghanistans Präsident Hamid Karzai war lange Zeit der größte Befürworter der Gespräche, obwohl er es an sich besser wissen konnte.  Für die Gespräche mit den Taliban wurde ein Hoher Friedensrat unter Leitung von Burhanuddin Rabbani eingerichtet - und hat nicht viel erreicht. Außenminister Westerwelle hat erhebliche finanzielle Mittel für ein Aussteigerprogramm für Taliban verfügbar gemacht - mit äußerst mäßigem Erfolg. Nun hat ein Selbstmordattentäter Rabbani am 20. September getötet und Karzai sieht offenbar jetzt keinen Sinn mehr in Verhandlungen mit den Taliban.

Warum sollten die Taliban auch verhandeln, wenn sie in vielen Regionen Afghanistans die Initiative und starken Einfluss haben? Die Taliban haben  in 2011 durch mehrere spektakuläre Anschläge ihr Potenzial eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Warum sollten Taliban aussteigen, wenn sie doch wissen, dass die internationale Staatengemeinschaft nach Zeitplan ihr militärisches Engagement beenden wird und dann der Einfluss der Islamisten auf ganz Afghanistan ausgedehnt werden kann? Folgerichtig verweigern sich der Taliban-Führer Mullah Mohammad Omar und der Taliban-Rat den Gesprächen. Die Taliban, mit denen man Frieden machen könnte, sitzen jenseits der Grenze in Pakistan, werden vom Pakistanischen Geheimdienst unterstützt und haben kein Interesse am Frieden unter Karzai.

Es ist also auch für Deutschland an der Zeit, sich von Illusionen zu verabschieden und den 17 Milliarden Euro, die unser Engagement bisher in zehn Jahren gekostet hat, nicht noch wenig erfolgversprechende Aussteigerprämien hinterherzuwerfen. Wichtiger wäre es, die Bekämpfung der Taliban zu intensivieren. Vielleicht sollten wir auch die afghanischen Frauen einfach ernster nehmen. Die Lage der afghanischen Frauen hat sich in den letzten zehn Jahren verbessert, die Frage ist aber, wie nachhaltig dieser Erfolg ist. In einer Oxfam-Umfrage gaben 87 Prozent der Frauen an, sexuell, psychologisch oder körperlich missbraucht worden zu sein. Die größte Sorge aber bereitet den Frauen offenbar eine mögliche Versöhnung mit den Taliban. Fast neun von zehn Frauen sehen der Oxfam-Umfrage zur Folge  dieser Perspektive mit Schrecken entgegen. Diese Frauen schöpfen weitaus mehr Mut bei der Nachricht, dass Hadschi Mali Chan  vom aus Pakistan heraus operierenden Haqqani-Netzwerk bei einem Einsatz an der Grenze zu Pakistan festgenommen wurde.

Eine weitere Quelle für politische Illusionen ist die Arabellion. Mit dem arabischen Frühling verbinden sich schöne Hoffnungen auf mehr Freiheit für die arabische Bevölkerung, auf gesellschaftliche Entwicklungen auf der Grundlage demokratischer Vorstellungen und vor allen Dingen auch auf möglichst schnelle Beendigung von Bürgerkriegen und Krisen. Nüchtern betrachtet ist das Ursprungsland der Arabellion Tunesien mit seinen Bemühungen, demokratische Strukturen zu entwickeln, noch nicht sehr erfolgreich und die Einnahmequelle Tourismus bleibt auch deswegen ziemlich trocken. In Ägypten wird es noch lange dauern bis einigermaßen stabile politische Verhältnisse jenseits eines Militärrates herrschen und ohne stabile politische Verhältnisse springt der Tourismus trotz der Verlockungen des Nil nicht an. Der zukünftige Einfluss der Muslimbruderschaft ist noch nicht einzuschätzen. Syrien steht ziemlich dicht vor einem Bürgerkrieg, ohne dass die westliche Welt einen positiven Einfluss auf den Erfolg der Bürgerbewegung nehmen konnte und nehmen können wird. Der Jemen bleibt ein Pulverfass. Die Hoffnung, dass es den Menschen dort bald besser geht, darf man nicht aufgeben, jegliche Illusion ist aber fehl am Platze.

Der Bürgerkrieg in Libyen ist für die Rebellen trotz massiver Unterstützung durch die NATO auch nach sechs Monaten noch nicht siegreich beendet. Ob es für die libysche Bevölkerung zu einem "Sieg" wird, bleibt abzuwarten. Die Aussage des Nationalen Ãœbergangsrates, dass die Scharia Grundlage für die Gesetzgebung im zukünftigen Libyen sein soll, hat die demokratischen Illusionen platzen lassen. Scharia und demokratische Grundprinzipien sind nun einmal nicht vereinbar. Es ist nun zu befürchten, dass zumindest die Frauen in einem islamisierten Libyen erhebliche Einbußen an Freiheit erleben werden. Und ob es gelingen wird, zumindest einen islamisch-demokratischen Kompromiss wie in der Türkei zu verwirklichen, ist völlig offen. Zunächst hat der Ãœbergangsrat mit handfesten Problemen zu kämpfen. Fast jeder Libyer besitzt eine oder mehrere Waffen aus Beständen von Gaddafis Militär. Die Revolutionäre kamen schwer bewaffnet nach Tripolis, um die Hauptstadt zu befreien. Der bunt zusammengewürfelte Haufen revolutionärer Gruppen aus allen Gesellschaftsschichten ist mit Maschinengewehren und Granatwerfern schwer bewaffnet  und hat sich nicht aufgelöst, sondern sich vielmehr als Milizen in Tripolis und anderen Städten festgesetzt und die Rolle der Ordnungshüter an sich gezogen. Von Ordnung kann aber bei weitem noch nicht die Rede sein. Es fehlen rund 5000 SAM-7 Flugabwehrraketen und es wird nicht unbegründet befürchtet, dass die Raketen in die Hände von Al Kaida Terroristen gelangt sein könnten. Das wäre eine erhebliche Bedrohung für die zivile Luftfahrt. Das ist aber wohl nur die Spitze des Eisberges, denn nach Aussagen der NATO hat die Militärallianz trotz Luftüberwachung und Geheimdiensttätigkeit jede Spur von mindestens 10.000 Raketen aus den Lagern der libyschen Armee verloren. Der "Schutz der Zivilbevölkerung" gegen Gaddafis Truppen erscheint nicht mehr vordringlich. Wichtiger scheint nun die Einflussnahme der NATO zusammen mit den Vereinten Nationen auf die Bewältigung des Nach-Bürgerkriegs-Chaos´, um Nachteile für die Mitgliedstaaten zu vermeiden.

Bei den derzeitigen Gesprächen der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel wird die Lage in Afghanistan und Libyen, an der jeweiligen realen Lage orientiert, nüchtern und  eingehend beraten werden. Das führt dann hoffentlich zu abgestimmtem konkreten sicherheitspolitischem Handeln.

(05.10.2011)

 

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