Hans-Heinrich Dieter

Schamlos und anmaßend   (23.06.2013)

 

Kanzlerin Merkel hat lediglich gesagt, sie sei „erschrocken“ über das gewaltsame, „viel zu harte“ Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die türkischen Demonstranten. Und sie fügte hinzu: „Das, was im Augenblick in der Türkei passiert, entspricht nicht unseren Vorstellungen von Freiheit der Demonstration, der Meinungsäußerung“.

 Das ist Anlass genug für Erdogan, den „beleidigten Sultan“ zu spielen und seine „Wadenbeißer“ loszulassen. Der türkische EU-Minister Egemen Bagis sagte am Donnerstag: „Wenn Frau Merkel nach innenpolitischen Themen für ihren Wahlkampf sucht, dann sollte das nicht die Türkei sein“. Und am Freitag forderte Bagis Frau Merkel auf, ihre Vorbehalte gegen einen EU-Beitritt der Türkei aufzugeben, er hoffe, dass Merkel "ihren Fehler bis Montag verbessern" und meinte drohen zu müssen, andernfalls werde das Folgen haben.

Ganz offensichtlich fehlt solchen türkischen Spitzenpolitikern jegliches demokratische Grundgefühl. Erdogan reagiert auf die Demonstrationen gegen seine Politik mit Kriminalisierung der Demonstranten als Terroristen, mit weiteren üblen Beschimpfungen der Demonstranten, mit Polarisierung, mit Aufwiegelung der Polizeikräfte und mit demagogischem Aufputschen seiner AKP-Anhänger. Die Folge war in den letzten Tagen ein höchst brutales Vorgehen der Polizei mit Schlagstockeinsatz, Wasserwerfern und Tränengas, ohne Rücksicht auf Frauen und Kinder. Relativ genaue Vorstellungen von dem Ablauf solcher Einsätze entwickelt Herr Erdogan bei seinen vielen Ansprachen vor Anhängern. Beim Aufzählen der Befugnisse der Polizei bei ihren höchst brutalen Einsätzen soll er, neben dem Gebrauch von Schlagstöcken, Wasserwerfern und Tränengas, auch scharfe Munition genannt haben. Und inzwischen war sogar schon vom Einsatz der Streitkräfte die Rede. Mit seinem autoritären Politikstil und Gehabe tut Erdogan so, als sei die Türkei nicht längst Mitglied im Europarat und hätte nicht längst die Menschenrechtskonvention ratifiziert. Nicht nur im Zusammenhang von EU-Beitrittsverhandlungen muss sich die Türkei also durchaus an Einhaltung der Menschenrechte, an Demonstrationsfreiheit und Freiheit der Meinungsäußerung erinnern lassen, sowohl von der Europäischen Union als auch von den politischen Partnern.

Die an sich lächerliche Verbindung, die EU-Minister Bagis - in ähnlich anmaßender Art wie sonst sein Außenamts-Kollege Davutoglu – mit dem Wahlkampf der CDU/CSU herzustellen sucht und das „Ultimatum“ an die Kanzlerin sind aber Ausdruck dafür, dass der autoritäre türkische Politikstil auch auf die Europapolitik ausgedehnt werden soll. Solche Politiker sind kein Umgang für demokratische europäische Politiker und schon überhaupt keine Partner, von denen irgendwann solidarisches Verhalten zu erwarten wäre.

Die mehr als 40.000 Menschen, die am Wochenende friedlich in Köln gegen Erdogan und seine Politik demonstriert haben, kommen der Wahrheit wahrscheinlich ziemlich nahe, wenn sie auf Transparente schreiben "Erdogan, der Wolf im Schafspelz" oder "Europa weiß, was Sache ist - in Ankara regiert ein Faschist". Die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Aydan Özoguz distanziert sich hingegen von solchen Slogans, die Erdogan als Diktator einstufen und weist darauf hin, dass rund 50% der Türken die AKP und Erdogan gewählt hätten. Und auch Frau Özoguz (SPD) rückt bezeichnenderweise die Aussagen Frau Merkels in die Nähe des Bundestags-Wahlkampfes.

Mit solchen Aussagen wird die türkischstämmige SPD-Frau dem Problem aber nicht gerecht. Die Unterstützung, die Erdogan für sein brutales und undemokratisches Verhalten von der AKP erhalten hat und noch erhält sowie der laute Beifall Tausender seiner Anhänger für die brutale Drangsalierung von Demonstranten, macht nur überdeutlich, dass nicht nur solche türkischen Politiker kein Umgang für demokratische europäische Politiker sind, sondern dass die Türkei als muslimischer Staat außerhalb der Grenzen Europas einem anderen Kulturkreis angehört und ein Verständnis von Politik hat, das sich mit unserer demokratischen Wertewelt noch lange nicht vertragen wird.

Schamloses Verhalten ohne Problembewusstsein und Verständnis für unsere europäischen Wertvorstellungen wie das des türkische EU-Ministers Egemen Bagis schadet der Türkei, weil es nicht ohne Auswirkungen auf zukünftiges partnerschaftliches politisches Miteinander bleiben kann.

(23.06.2013)

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte