Hans-Heinrich Dieter

RĂŒckzug in Raten (22.06.2011)

 

Die amerikanische "Begeisterung" fĂŒr militĂ€rische Interventionen hat bisher viel Geld gekostet und die US-Schuldenkrise maßgeblich heraufbeschworen, deswegen ist es verstĂ€ndlich, dass die amerikanische Bevölkerung kriegsmĂŒde ist und PrĂ€sident Obama sparen will.

Die USA haben aber zusammen mit der internationalen Staatengemeinschaft Verantwortung fĂŒr den Aufbau Afghanistans und die Sicherheit der geschundenen afghanischen Bevölkerung ĂŒbernommen. Diese Verantwortung ist durch den Tod Bin Ladens in keiner Weise geschmĂ€lert, denn Al Qaida hat einen neuen Chef und ist global weiterhin schlagkrĂ€ftig. Die Taliban wollen unverĂ€ndert das Volk islamistisch unterdrĂŒcken. Und Afghanistan ist angesichts der korrupten Administration, des ungeschmĂ€lerten DrogengeschĂ€ftes und unzureichender sowie unterwanderter Sicherheitsstrukturen von StabilitĂ€t weit entfernt. Trotz dieser fragilen Lage ist die Übergabe der Verantwortung fĂŒr die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung bis 2014 terminiert, ob diese Übergabe der Verantwortung verantwortbar ist, muss die reale Lageentwicklung ergeben. Denn den "Sieg erklĂ€ren" und abziehen, ist bekanntlich keine gute Lösung.

Ende 2009 hat PrĂ€sident Obama auf verstĂ€rkte Operationen der Taliban reagiert und die US-Truppen um 30.000 Mann verstĂ€rkt, um die islamistischen Extremisten nachhaltig zu schwĂ€chen. Die damalige VerstĂ€rkung sollte auch den damals schon acht Jahren dauernden MilitĂ€reinsatz am Hindukusch möglichst zu einem erfolgreichen Ende fĂŒhren. Die Taliban sind in einigen Regionen zurĂŒckgedrĂ€ngt, sie sind aber alles andere als kampfunfĂ€hig. Sie haben ihre Aktionen in weniger gefĂ€hrliche Regionen mit weniger schlagkrĂ€ftigen Kampftruppen, wie den deutschen Verantwortungsbereich im Norden Afghanistans, mit Erfolg verlagert. Die jĂŒngsten AnschlĂ€ge im Raum Kunduz und in der Provinz Baghlan belegen die Schlagkraft der Taliban. Die Zunahme von AnschlĂ€gen auf die deutschen Soldaten gilt als wahrscheinlich und wenn auch die Hauptbedrohung von IED-Sprengfallen (Improvised Explosiv Device) ausgehen mag, so zeigt doch ein Anschlag, bei dem 200 Kg Sprengstoff zur Wirkung gebracht werden, die einen SchĂŒtzenpanzer Marder zerstören und einen Krater von sieben mal elf Metern und vier Meter Tiefe reißen eine operative QualitĂ€t weit ĂŒber dem Anbringen "improvisierter" Sprengfallen. Bei nĂŒchterner Beurteilung der Lage kann man feststellen, dass die damalige VerstĂ€rkung nur Teilerfolge gebracht hat. Die Aussicht auf ein "erfolgreiches Ende" des MilitĂ€reinsatzes am Hindukusch wurde durch diese VerstĂ€rkung nicht wesentlich verbessert.

Nun wollen die USA bis Ende 2012 just jene 30.000 Kampftruppen abziehen, ohne dass die Taliban nachhaltig geschwĂ€cht sind. Noch in 2011 will PrĂ€sident Obama 10.000 Soldaten in die USA holen. Welch ein kraftvolles Signal an die kriegsmĂŒden Amerikaner, die internationale Staatengemeinschaft - und an die Taliban. Mit Blick sowohl auf ihre Verantwortung gegenĂŒber den USA als auch gegenĂŒber Afghanistan haben Verteidigungsminister Robert Gates und der ISAF-Kommandeur Petraeus einen Abzug von zunĂ€chst 3000 bis 5000 Mann empfohlen, da sollte PrĂ€sident Obama nicht aus innenpolitischen GrĂŒnden die Zahl 10.000 aus dem Hut ziehen. Nicht ohne Grund hat vor allem Verteidigungsminister Robert Gates vor einem ĂŒberhasteten RĂŒckzug gewarnt, der den Taliban in die HĂ€nde spielt und die Fortschritte in Afghanistan gefĂ€hrdet. Aber auch die Supermacht USA macht leider von Innen-und Parteiinteressen getriebene Sicherheitspolitik.

Die NATO hat Ende 2010 auf ihrem Gipfel in Lissabon beschlossen, bis Ende 2014 alle Kampftruppen der internationalen Staatengemeinschaft vom Hindukusch abzuziehen. Bis dahin muss eine gesellschaftliche, politische und militĂ€rische Lage geschaffen werden, die es verantwortbar erscheinen lĂ€sst, die Sicherheitsverantwortung stufenweise an einheimische KrĂ€fte zu ĂŒbergeben. Dazu werden an sich eher mehr als weniger Kampftruppen gebraucht, insbesondere, wenn die Taliban die in afghanische Verantwortung ĂŒbergebenen Regionen wieder unter ihre Kontrolle bringen.

Parallel bemĂŒhen sich die USA zusammen mit der afghanischen Regierung, unterstĂŒtzt durch die Staatengemeinschaft um eine Verhandlungslösung  mit den Taliban. Weder die USA noch die afghanische Regierung verhandeln dabei aus einer Position der StĂ€rke heraus, im Gegenteil. Mit jedem Truppenabzug wĂ€hrend der Verhandlungen wird die Position der Taliban - sicher auch in den Augen der afghanischen Bevölkerung - gestĂ€rkt. Aus einer Position der StĂ€rke heraus sind von den islamistischen Extremisten kaum weitgehende ZugestĂ€ndnisse zu erwarten.

Es ist anzunehmen, dass Minister Gates mit seiner Beurteilung Recht hat, wenn er befĂŒrchtet, dass ein ĂŒberhasteter oder vorzeitiger RĂŒckzug von Kampftruppen, und sei es auch in Raten, den Taliban in die HĂ€nde spielt und die durchaus erkennbaren Fortschritte in Afghanistan gefĂ€hrdet.

(22.06.2011)

 

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