Hans-Heinrich Dieter

Rückzug (17.12.2011)

 

Die militärische Fachwelt ist sich einig, dass keiner ein wirklich großer Feldherr ist, wenn er nicht die schwierigen Operationen eines Rückzuges erfolgreich bewältigt hat. Aber mit einem geordneten Rückzug erwirbt ein Feldherr - zu Unrecht - nur selten Ruhm vor der Geschichte. Verteidigungsminister de Maizière weiß das und stellt im Rahmen der Aussprache zu einem neuen Bundeswehrmandat für Afghanistan fest: "Von einem Baum runterzuklettern ist manchmal komplizierter, als auf einen Baum raufzuklettern", und weist vorsorglich schon einmal darauf hin, dass der geplante Truppenabzug möglicherweise eher mehr als weniger Kräfte erfordern wird. Das ruft natürlich sofort die Opposition auf den Plan und ohne sich mit der Sache auseinanderzusetzen stellt der SPD-"Verteidigungsexperte" Arnold schwäbisch-schneidig fest: "De Maizières Äußerung, wir werden eher mehr Leute brauchen, um das Mandat umzuwandeln und abzuziehen, ist natürlich Kappes. Die Amerikaner ziehen auch ab, ohne zunächst mehr zu haben." Ein Hinweis mehr auf die eingeschränkte Qualität der sicherheitspolitischen Diskussion in Deutschland.

Was macht einen Rückzug so schwer? Clausewitz sagt im "Vom Kriege", 4. Buch, Neuntes Kapitel: "Wird der Rückzug mit jedem neuen Schritt, den die Schlacht in ihrem Verlauf tut, immer mehr bedroht, und sind die Reserven so zusammengeschmolzen, dass sie nicht mehr hinreichen, sich von neuem Luft zu schaffen, so bleibt nichts anderes übrig, als sich dem Schicksal zu unterwerfen und durch einen ordnungsvollen Abzug zu retten, was bei längerem Verweilen sich in Flucht und Niederlage auflösen, verloren gehen würde." Das heißt, dass bei einem Rückzug auch unter "kriegsähnlichen Bedingungen", die eigene Truppe immer bedroht bleibt, der Gegner auch mit hinreichend starken Reserven kontrolliert werden muss und dass ein geordneter Abzug dann die einzige Alternative ist, Niederlage und Flucht zu verhindern, wenn die Reserven nicht mehr stark genug sind, um zeitlich begrenzt die Initiative zu ergreifen und sich "Luft zu schaffen".

"Ãœbergabe in Verantwortung" lässt eben weder Niederlage noch Flucht aus dem deutschen Verantwortungsbereich im Norden Afghanistans zu, allenfalls einen geordneten Abzug, wenn die Lage es erlaubt. Ein solcher Abzug "muss klug organisiert werden" wie Minister de Maizière sagt, denn  "die Gefährdung der Soldaten soll auch dadurch vermieden werden, dass wir nicht einfach nur ausdünnen".

Die Vermeidung einer unverhältnismäßigen Gefährdung deutscher Soldaten ist aber nicht das einzige Kriterium bei der Planung eines Rückzuges/Abzuges. Es gilt auch unverändert, den Schutz der afghanischen Bevölkerung zu gewährleisten, den Abzug befreundeter Truppen aus Nordafghanistan zu ermöglichen, den bevorstehenden massiven Kräfte- und Fähigkeitsverlust durch Reduzierung der US-Truppen zu kompensieren, mögliche Rückschläge der afghanischen Sicherheitskräfte in Distrikten und Regionen auszugleichen und ein Wiedererstarken sowie Erfolge der Taliban zu verhindern. Das alles verträgt sich nicht mit innenpolitisch begründeten, zeitlich fixierten und zementierten Reduzierungen von Truppenkontingenten. Wenn schon von "Kappes" die Rede ist, dann ist er just bei stereotypen Diskussionen um Zahlen und Kontingent-Obergrenzen zu finden.

Wenn der deutsche Rückzug aus Afghanistan nicht Gefahr laufen soll, zur Niederlage und zur Flucht auszuarten, dann brauchen die politisch und militärisch Verantwortlichen vor Ort Handlungsfreiheit und die der jeweiligen Lage entsprechenden Kräfte und Mittel. Darüber hinaus muss man sicher politisch Zeitvorstellungen entwickeln und verfolgen, die Kräfte vor Ort dürfen aber nicht durch politisch fixierte Zahlen-, Zeit- und Ortsangaben für den Gegner ausrechenbar sein und damit in hohem Maße verwundbar gemacht werden. Eine organisierte "Umzugsunternehmung" (de Maizière gegenüber der «Leipziger Volkszeitung») wird diese schwierige Operation auf keinen Fall sein.

Clausewitz schreibt im 4. Buch, 13.Kapitel: Rückzug nach verlorener Schlacht, "Die Rückzüge großer Feldherren und kriegsgeübter Heere gleichen stets dem Abgehen eines verwundeten Löwen...". Das Bundestagsmandat, über das im Januar abgestimmt wird, sollte deswegen der jeweiligen Lageentwicklung angemessene militärische Kräfte und Mittel flexibel zulassen, denn der "verwundete Löwe" sollte sich zumindest aus eigenem Entschluss bewegen und auch bei Bedarf zubeißen können.

(17.12.2011)

 

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