Hans-Heinrich Dieter

Rückschlag  (03.09.2012)

 

Die Angriffe durch afghanische Sicherheitskräfte auf Soldaten der ISAF haben in jüngster Zeit stark zugenommen. 45 ISAF-Soldaten sind 2012 bereits Opfer solcher Angriffe geworden. Allein im August sollen bei solchen Attacken 15 Soldaten der internationalen Staatengemeinschaft ums Leben gekommen sein.

Dadurch sahen sich die USA veranlasst, die Ausbildung afghanischer Soldaten und Polizisten vorübergehend auszusetzen. Zunächst sollen ca. 27.000 Angehörige afghanischer Sicherheitskräfte einer erneuten Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden, um eingeschleuste Taliban oder Rekruten mit starken Bindungen zu den Terroristen zu identifizieren und von der weiteren Ausbildung auszuschließen. Der "Washington Post" zufolge sollen bei den bisherigen Sicherheitsüberprüfungen viele Vorschriften außer Acht gelassen worden sein, um die politischen Ziele beim Aufbau der Sicherheitskräfte in dem Land nicht zu gefährden.

Solche Maßnahmen sind nicht neu. Vor wenigen Wochen hatte der Kommandeur der ISAF-Truppe, US-General John Allen, allen ausländischen Soldaten befohlen, immer eine geladene Waffe zu tragen. Außerdem sollten US-Soldaten bei Treffen mit bewaffneten afghanischen Sicherheitskräften von schussbereiten Begleitern, sogenannten „Schutzengeln“ begleitet werden, die mit geladenen Waffen bereitstehen, um sofort zu schießen, wenn erforderlich. Und Mitte August hatte das deutsch geführte Regional-Kommando Nord für wenige Tage aufgrund von Sicherheitsvorfällen jegliche Zusammenarbeit mit der Afghan National Army eingestellt. So weitgehend sind die jüngsten Maßnahmen allerdings nicht, denn die NATO wies inzwischen darauf hin, dass das NATO-Ausbildungsprogramm für die afghanische Armee (ANA) und die nationale Polizei (ANP) weitergehen und von der Aussetzung des Trainingsprogramms derzeit nur rund 1000 Rekruten für die lokale Polizei (ALP) betroffen seien.

Wie drastisch die Maßnahmen auch immer sein mögen, das Vertrauen der ISAF in die afghanischen Sicherheitskräfte ist offensichtlich nachhaltig gestört. Und wenn Taliban-Kommandeur Mullah Omar öffentlich nicht nur die "Erfolge" seiner Radikalislamisten im Kampf gegen die Nato-Truppen in Afghanistan lobt, sondern auch erklärt, die Taliban hätten die afghanische Armee und Polizei unterwandert, dann ist das sicher nicht nur Propaganda sondern hat auch gewissen Wahrheitsgehalt.

Afghanische Sicherheitskräfte, denen man nicht vertraut, und tatkräftige Taliban passen natürlich nicht in das geplante Ausdünnen der ISAF-Kampftruppen bis 2014 und das Rückzugskonzept. Und wenn die NATO sich nun gezwungen sieht, die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte nicht nach Plan fortzuführen, dann ist das ein herber Rückschlag. Denn auch wenn von der Aussetzung des Trainingsprogramms derzeit nur rund 1000 Rekruten für die lokale Polizei (ALP) betroffen sind, dann ist es doch höchstwahrscheinlich, dass bei den erneuten Sicherheitsüberprüfungen für 27.000 afghanische Sicherheitskräfte Erkenntnisse zur Beeinträchtigung der Partnering-Programme sowie der Umsetzung des neuen „Security Force Assistance“-Konzeptes führen werden und somit der sehr anspruchsvolle Zeitplan für das Ausdünnen der Kampftruppen und die „Übergabe in Verantwortung“ bis 2014 ins Rutschen kommt.

Wenn die ISAF sich außerdem nicht auf die ANA und ANP verlassen kann, dann bedeutet das auch einen deutlich erhöhten Personalbedarf für die Gewährleistung der eigenen Sicherheit in der schwierigen Phase des Rückzuges. Darüber hinaus wird die Bekämpfung der Taliban durch Spezialkräfte deutlich erschwert.

Und wenn bei den bisherigen Sicherheitsüberprüfungen viele Vorschriften außer Acht gelassen worden sind, um die politischen Ziele beim schnellen Aufbau der Sicherheitskräfte in Afghanistan nicht zu gefährden, dann ist das ein gutes Beispiel dafür, dass politischer Druck und durch die Politik vorgegebene unzureichende Rahmenbedingungen eine sinnvolle Erfüllung des militärischen Auftrages gefährden können.

Da bis 2014 die „Übergabe in Verantwortung“ verantwortbar vollzogen werden soll, dann darf es in Afghanistan nicht mehr viele Rückschläge geben.

(03.09.2012)

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