Hans-Heinrich Dieter

Religionskriege   (14.06.2014)

 

In der irakischen Hauptstadt Bagdad bereiten sich die Sicherheitskräfte und schiitische Freiwillige auf mögliche Angriffe der islamistischen Terrorgruppe ISIS und sunnitischer Milizen vor. Medien sprechen von der Gefahr eines Bürgerkrieges und des Auseinanderbrechens des Irak. Eine solche Beurteilung ist stark verengt und wird der Problematik nur unzureichend gerecht. Wer die Probleme des Irak verstehen will, muss den US-Krieg gegen den Terrorismus und die Feindschaft islamischer Glaubensrichtungen untereinander und gegen andere Religionen, aber vor allem auch die ganze Region des Nahen und Mittleren Ostens mit betrachten.

Nach Afghanistan 2001 war das andere große Schlachtfeld im Krieg der USA gegen den Terrorismus ab 2003 der Irak. Wir erinnern uns an die Worte des damaligen Präsidenten George W. Bush im Jahr 2008: "Mission accomplished!" Eine große und auch dreiste Lüge! Präsident Obama meinte später, die USA hätten den Irak-Krieg zu einem "vernünftigen Ende" gebracht. Aber der Schönredner Obama wird inzwischen seine Worte ein wenig bereuen. Denn mit dem Abzug der US-Truppen 2011 aufgrund eines gescheiterten Sicherheitsabkommens haben die USA den noch instabilen Irak vielmehr dem Chaos überlassen. Das Terror-Netzwerk Al Qaida machte sich die eskalierende Gewalt zunutze und steigerte ständig seinen Einfluss. Die USA haben im Irak den dortigen Krieg gegen den Terrorismus verloren und in ihrer Verengung auf die Bekämpfung des Terrors dem Antagonismus zwischen Schiiten und Sunniten zu wenig Beachtung geschenkt, und konnten so in acht Jahren Besatzung den zerstörten Staat Irak nicht erneuern, sondern nur ein möglicherweise noch schlimmeres Chaos verhindern. Die USA haben darüber hinaus die Schiiten bevorzugt und es während ihrer Phase der Verantwortung versäumt, einen fairen politischen Ausgleich zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden herbeizuführen.

2013 haben mehr als 8000 Iraker, darunter 952 Soldaten und Polizisten, ihr Leben verloren. Das Jahr 2013 war damit das blutigste seit 2008. Al Qaida hat keinen geringen Anteil an dieser Bilanz. Daraufhin haben die USA entschieden, Waffen an den Irak zu liefern, um dem wachsenden Einfluss der Terroristen Einhalt zu gebieten und ihre Niederlage zu kompensieren. In der Zwischenzeit operiert die mit Al Qaida verbündete Gruppe "Islamischer Staat im Irak und in Syrien" von Stützpunkten in Syrien aus im Norden und Westen des Irak mit Erfolg. Die Problematik des erstarkten islamistischen Al Qaida-Terrornetzwerks und seiner besonders radikalen Gruppierung ISIS ist also nicht neu und darf die irakische Staatsführung eigentlich nicht überraschen.

Die Lageentwicklung im Irak hatte natürlich Einfluss auf die Lage in Syrien. Die Terror-Organisation nutzte das Machtvakuum nach Abzug der US-Truppen, um ihre Lager wieder einzurichten. Von dort stießen sie im syrischen Bürgerkrieg in den Nachbarstaat vor; und von syrischen Stützpunkten aus fallen sie nun mit Selbstmordattentätern und in bewaffneten Konvois wiederum in den Irak ein. Die Kämpfer der radikalislamistischen und mit Al Qaida verbündeten Gruppe "Islamischer Staat in Irak und in Syrien" (ISIS) sind inzwischen die wichtigste Milizgruppe an der Nordgrenze Syriens und haben sich dort eine Vormachtstellung erkämpft. Ein Ableger von ISIS ist die erfolgreiche Nusra-Front.

Die ISIS-Dschihadisten sind keine Syrer und bezeichnen die Rebellen, die sich der "Freien Syrischen Armee" zuordnen, als Kriminelle. Sie nennen jeden, der nicht ihre Ansichten teilt, einen "Ungläubigen", den es zu bekämpfen gilt. Sie wollen einen Gottesstaat auf der Grundlage der Scharia errichten. Mit öffentlichen Hinrichtungen – wie zuletzt bei ihrem Vormarsch in Mossul - versuchen sie die Bevölkerung einzuschüchtern. Und diese Terroristen, Islamisten, Dschihadisten sind nur eine einflussreiche und erfolgreiche von vielen solcher Gruppierungen im syrischen Bürgerkrieg. In Syrien und im Irak haben sich die Bürgerkriege inzwischen zu islamischen Religionskriegen entwickelt. Das verschlimmert die Lage, weil in Religionskriegen von keiner Seite Kompromissbereitschaft zu erwarten ist – schon überhaupt nicht, wenn finsterste mittelalterliche Vorstellungen von einem islamischen Staat bzw. Kalifat oder auch Emirat auf der Grundlage der Scharia im Spiel sind.

Wer also wie Präsident Obama verhindern will, „dass die Dschihadisten im Irak und in Syrien permanent Fuß fassen", hat ein mehrfaches Dilemma. Erstens müssten die USA in Bürgerkriege, also in innere Angelegenheiten souveräner Staaten eingreifen und auch zwangsläufig Partei ergreifen. In Bürgerkriegen gibt es aber keine „Guten“ und keine „Bösen“ im klassischen Sinne, sondern es gibt auf beiden Seiten schwer definierbare „Gute“ und „Böse“. Zweitens müssten die USA in Religionskriege unversöhnlicher islamischer Volksgruppen eingreifen, ohne grundlegenden Einfluss nehmen zu können, weil verachtet als „Ungläubige“ und „dekadente Besatzer”. Drittens müssten die USA sehr schwierig zu händelnde Allianzen eingehen. Der schiitische Gottesstaat Iran hat Assad bisher unterstützt und dem schiitisch regierten Irak schon Unterstützung signalisiert, eine massive Unterstützung des Irak durch die USA hätte zwangsläufig – zum großen Missvergnügen des innenpolitisch zerrissenen Israel - eine enge militärische Zusammenarbeit mit dem Iran zur Folge und das würde nicht nur  die Bemühungen um die Verhinderung einer „Atommacht Iran“ stark beeinträchtigen. Die USA müssten stärker mit Saudi-Arabien und Katar zusammenarbeiten, die nachweislich islamistische Gruppierungen zumindest finanziell stark unterstützt haben. Die Interessen des schwierigen NATO-Partners Türkei und des instabilen Libanon wären stark zu berücksichtigen. Und weil es sich um eine Problematik des Nahen Ostens handelt, müssen die Lageentwicklungen im chaotischen Libyen, im instabilen Jemen und im quasi-diktatorisch regierten Ägypten mit ins Kalkül gezogen werden, und damit ist das schwer beherrschbare „Pulverfass“ nur unvollständig beschrieben. 

Wenn also konkret – zum Beispiel durch Luftschläge oder massiven Drohneneinsatz – verhindert werden soll, „dass die Dschihadisten im Irak und in Syrien permanent Fuß fassen", und sich abzeichnender sunnitischer Terror destabilisierend auswirkt, dann müssten die USA den Alawiten Assad und die mit ihm verbündeten Schiiten gegen "Islamischer Staat in Irak und in Syrien" (ISIS) und zahlreiche andere Dschihadisten-Gruppen unterstützen. Im Irak müssten die USA dem Hauptverursacher des Bürgerkrieges Maliki nicht nur gegen ISIS, sondern auch gegen die von den USA ausgebildeten und ausgerüsteten Sunniten-Milizen sowie möglicherweise gegen die irakischen Kurden militärisch stark unter die Arme greifen. Die USA müssten die Terror-Finanziers in Saudi-Arabien und Katar mit Sanktionen belegen und jegliche Waffenlieferungen an die Konfliktparteien unterbinden. Das stellt die ggf. erforderlichen Maßnahmen seitens der USA nur sehr vereinfacht und exemplarisch dar. 

Und trotzdem werden die USA nicht umhinkommen, immensen politischen und erforderlichenfalls militärischen Druck auf die Konfliktparteien - zunächst im Irak -  auszuüben, um Fehler der Vergangenheit möglichst zu kompensieren und zu verhindern, dass der Irak als „failed state“ zur Basis von Al Qaida auch für Terroroperationen in den USA und in Europa wird. Luftschläge würden da nicht reichen.

Der syrische Bürgerkrieg hat sich zunehmend zu einem Religionskrieg verfeindeter islamischer religiöser Gruppen unter massiver Einflussnahme von nicht-syrischen islamistischen Terrorgruppierungen entwickelt. Der sich abzeichnende irakische Bürgerkrieg ist schon seit längerer Zeit ein Religionskrieg, hauptsächlich zwischen Schiiten und Sunniten. Das sind zutiefst islamische und sehr arabische Probleme, die grundlegend nur durch eine möglichst gemeinsame Kraftanstrengung der islamischen und arabischen Welt - humanitär und logistisch unterstützt durch die UN, die USA und die EU - gelöst werden können.

Aus Bürgerkriegen in der arabischen und aus Religionskriegen der muslimischen Welt sollte sich der „ungläubige“ Westen militärisch möglichst heraushalten. Wir werden in der nächsten Zeit mit der Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden aus diesem völlig anderen Kulturkreis hinreichend ausgelastet sein.

(14.06.2014)

 

 

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