Hans-Heinrich Dieter

Putins hybrider Krieg   (03.02.2016)

 

Der Kalte Krieg ging für Russland verloren und endete mit dem Zerfall der Sowjetunion sowie des Warschauer Paktes. Die Welt atmete auf und arbeitete an der Gestaltung des „ewigen Friedens“. Daraus folgten vielfältige Bemühungen um partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Russland und Politik unter dem Motto „Wandel durch Annäherung“. Die westliche Welt glaubte sich ausschließlich von Freunden umgeben und somit eine „Friedensdividende“ nutzen zu können. Die Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung wurden zusammen mit anderen Sicherheitsstrukturen drastisch - und wie wir heute wissen unverantwortlich - reduziert. Die westliche Welt hat an Fähigkeiten zur Verteidigung ihrer Werte stark verloren und ist gegenüber politischer und militärischer Aggression nur eingeschränkt handlungsfähig.

Russland hat den selbstverschuldeten Verlust des Weltmachtstatus` psychologisch und geistig nie überwunden. Unter Putin sind eine Restalinisierung und das Streben nach neuer Größe durch eine neoimperialistische Geopolitik in Konkurrenz oder auch Gegnerschaft zur westlichen Welt deutlich erkennbar. Ein Mittel dieser Politik ist hybride Kriegsführung.

Hybride Kriegsführung ist kein neues Phänomen und keine Erfindung Putins. Diese Art der Kriegsführung ist schon sehr lange bekannt als asymmetrische Kriegsführung, verdeckte Kriegsführung, unkonventionelle Kriegsführung oder auch nicht-lineare Kriegsführung. Hybride Kriege sind also keine traditionellen, erklärten Kriege zwischen Staaten mit klaren Frontlinien. Bei hybrider Kriegsführung werden politische Prozesse in Gegnerstaaten von außen beeinflusst, kritische Bevölkerungsteile unterstützt und aktiviert sowie Milizenbildung politisch und finanziell gefördert. Wenn der Gegnerstaat dann politisch allmählich instabil wird und sich regionale Rebellionen sowie Unabhängigkeitsströmungen abzeichnen, werden „Rebellen“ politisch unterstützt und militärisch ausgerüstet und ausgebildet. Wenn es dann zu bürgerkriegsähnlichen militärischen Auseinandersetzungen kommt, werden schwer zu identifizierende Spezialkräfte unterstützend eingesetzt, über soziale Netzwerke freiwillige irreguläre Kämpfer rekrutiert oder eigene „freiwillige Soldaten im Urlaub“ genutzt. Das Ganze wird begleitet durch Cyberangriffe sowie massive Desinformations- und Propagandakampagnen und durch Aufbau einer Drohkulisse mit massiver Aufrüstung, Modernisierung der Streitkräfte und intensiver Manövertätigkeit an den Grenzen der Nachbarstaaten. Entscheidend ist, dass der eigentliche Kriegstreiber verdeckt, also im Hintergrund bleibt und keine politischen oder militärischen „Fingerabdrücke“ hinterlässt und so politisch nur schwer anzugreifen ist.

Neu ist also nicht die Art der Kriegsführung, sondern neu und erschreckend ist die Tatsache, dass Putin mitten im 21. Jahrhundert in Europa einen hybriden Krieg führt. Wer den Bürgerkrieg in der Ukraine aufmerksam verfolgt, der wird Bausteine der Strategie hybrider Kriegsführung leicht erkennen. Und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland ist ein weiteres Beispiel für Putins aggressive kriegerische Hybrid-Aktionen. Hier hat er nur gegen die Grundsätze des verdeckten/hybriden Krieges verstoßen, als er nach langem Leugnen und Lügen aus eitlen und innenpolitischen Gründen zugegeben hat, dass die grünen Uniformierten, die die heroische „Heimholung“ der Krim militärisch möglich gemacht haben, russische Soldaten waren.

Ukraine und Krim sind aber nur besonders bekannte und auch nachweisbare Beispiele aus dem breiten Spektrum hybrider Kriegsführung, das Putin derzeit inszeniert. Die baltischen Staaten mit großen russischen Bevölkerungsteilen fühlen sich durch die aggressive russische Politik bedroht sowie durch Manöver und bewusste Luftraumverletzungen provoziert. Wenn die NATO nicht so konsequent, unter Bekenntnis zu unseren Bündnisverpflichtungen Abschreckungs- und Schutzmaßnahmen ergriffen hätte, wären die baltischen Staaten möglicherweise heute schon durch massivere russische Maßnahmen hybrider Kriegsführung beeinträchtigt. Das permanente russische Veto-Verhalten im UN-Sicherheitsrat und das unabgesprochene militärische Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg auf Seiten Assads gegen jedwede syrische Opposition verlängert den Bürgerkrieg und vergrößert die riesigen Flüchtlingsbewegungen nach Europa. Dadurch trägt Putin zur Destabilisierung der politischen Lage in Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei und hat Erfolge bei seinen Versuchen, die Spaltung Europas zu betreiben. Deutschland scheint im Augenblick besonders im Visier Putins zu sein, denn Deutschland ist nicht mehr so liebedienerisch wie unter Schröder und will mit Europa an den Sanktionen gegen Russland in strikter Abhängigkeit von der Erfüllung des Minsker Abkommens festhalten. Inzwischen wissen wir, dass russische Geheimdienste für den Hackerangriff gegen die Informationstechnologie des Bundestages verantwortlich sind. Auch Deutschland wird massiv durch Desinformations- und Propagandakampagnen russischer Staatsmedien und von Sonderagenturen überzogen, russische Minderheiten werden mobilisiert und für russische Ziele benutzt und ob rechtsradikale deutsche Parteien von Moskau ebenso finanziell unterstützt werden wie Frau Le Pen mit dem französischen Front National wird herausgefunden werden. Das sind nur einige Beispiele solcher hybrider russischer Aktionen. Wer diesen Putin und dieses Russland, das Putins Politik mehrheitlich unterstützt, als Partner betrachtet ist naiv oder politisch dumm. Putin sieht sich als Gegner der westlichen Welt und agiert entsprechend, indem er unsere Schwächen und jede Chance zur Destabilisierung unserer Systeme nutzt.

Die westliche Welt reagiert unterschiedlich auf den hybriden „Gegner Putin“ und die neue Sicherheitslage in Europa. Die USA haben gerade beschlossen, 2017 die Militäranstrengungen zur möglichen Stabilisierung der Sicherheitslage in Europa zu vervierfachen. Die NATO macht erfreulich konsequente Politik und ergreift wirksame Abschreckungs- und Schutzmaßnahmen. Die Europäische Union hält an den Sanktionen gegen Russland erstaunlich konsequent fest. Und Deutschland agiert richtlinienlos kakophonisch. Die Verteidigungsministerin verkündet starke Investitionen in die Streitkräfte, aber hauptsächlich nicht wegen der neuen Bedrohungslage sondern weil die Politik über Jahre die Bundeswehr in einen desolaten Zustand hineingespart hat. Die Kanzlerin hält an den Sanktionen gegenüber Russland fest. SPD-Chef Gabriel reist zu Putin nach Moskau und verkündet dort seine „private Meinung“, dass die Sanktionen auch unabhängig von der Realisierung des Minsker Abkommens gelockert werden sollten. Jetzt reist der bayerische Provinzfürst Seehofer zu Putin und hat schon im Vorfeld deutlich gemacht, dass auch er die Lockerung der Sanktionen für richtig hält und wird jetzt schon - wie damals Gabriel auch - von der russischen Propaganda zum Schaden wirksamer deutscher Politik im europäischen Rahmen benutzt. Und unserer geschwächten Kanzlerin gelingt es erneut nicht, klare Richtlinien der Außen- und Sicherheitspolitik vorzugeben und dafür zu sorgen, dass Deutschland mit einer Stimme mit dem neuen Gegner Putin im erforderlichen Gespräch bleibt und deutsche sowie europäische Interessen vertritt.

(03.02.2016)

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte