Hans-Heinrich Dieter

Zukunftsfähige parlamentarische Demokratie   (27.09.2020)

 

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble will die parlamentarische Demokratie zukunftsfähig machen. Schäuble hat erkannt: „Die Bindung zwischen Wählern und Gewählten ist schwächer geworden – und die Kraft der Parteien, die für eine stabile repräsentative Demokratie wichtig sind, ist auch kleiner geworden.“ Mit „Bürgerräten“ will Schäuble den demokratischen Zusammenhalt und das gegenseitige Verständnis stärken. Es geht allerdings weniger um „Bindung zwischen Wählern und Gewählten“ als um einen Vertrauensverlust der Bürger in das Parlament. Es geht um Politikerverdrossenheit!

Deutschland ist als parlamentarische und repräsentative Demokratie verfasst. Damit leben wir als Staatsbürger und mündige Demokraten schon lange ziemlich gut und hinreichend erfolgreich. In unserer „aus den Fugen geratenen“ und global organisierten und funktionierenden Welt werden aber in den letzten Jahren Defizite, Fehler, Versäumnisse und auch Versagen im politischen Alltag offenkundig, die zu massivem Vertrauensverlust der verantwortlichen Politiker geführt haben. Dieses Vertrauen muss unbedingt zurückgewonnen werden!

Nach Grundgesetz Art. 20 geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. In unserer parlamentarischen Demokratie hat das Parlament die Regierung im Auftrag des Volkes zu kontrollieren. Das Parlament wird gebildet durch die gewählten Volksvertreter. Die Regierung darf das Parlament nicht beeinflussen. Die Abgeordneten werden für parlamentarische Arbeit zum Wohle des deutschen Volkes bezahlt. In ihrer Parlamentsarbeit sind sie nach dem Grundgesetz ihrem Gewissen verantwortlich und nicht der jeweiligen Partei. Verfahren direkter Demokratie sind auf Bundesebene – aus guten Gründen – auf Ausnahmen beschränkt. Die Praxis unserer parlamentarischen und repräsentativen Demokratie hat sich aber vom Grundgesetz entfernt - mit negativer Auswirkung.

Denn man kann sagen, dass Deutschland als parlamentarische Demokratie durchaus in gewissem Maße zur Parteiendemokratie „verkommen“ ist, weil es die Parteien sind, die den politischen Prozess weitgehend beherrschen und nicht das Parlament. Das hängt auch mit der langjährigen Verantwortlichkeit der „Volksparteien“, teilweise in großen Koalitionen, zusammen. Die Regierungsparteien haben über ihre - einer strengen Parteidisziplin und rigidem Fraktionszwang unterworfenen – Abgeordneten-Parteifreunde oder -genossen die Gewissheit, dass ihre jeweilige Regierungsabsicht im Parlament bestätigt wird. Das verhindert tatsächliche Diskussion und ein „dem Wohl des deutschen Volkes“ verpflichtetes Ringen um die jeweils beste Sachentscheidung, denn es geht vorwiegend nicht um das Wohl des deutschen Volkes, sondern eher um das Parteiwohl und das Verteidigen der jeweiligen Partei- oder Koalitionsmehrheit. Die „verkommene Debattenkultur“ im Deutschen Bundestag, als Ergebnis dieser Missstände, und die unzureichende Kontrolle der Exekutive durch das Parlament werden mit Recht beklagt! Dieser Vertrauensverlust und die wohl begründete Politikerverdrossenheit werden wohl kaum mit einem neuen „Arbeitskreis“ zu beheben sein!

Wir werden heute schon überhäuft mit Studien der unterschiedlichsten Stiftungen, es gibt vielfältigen Expertenrat, es gibt zahlreiche Diskussionsforen mit Minderheiten und es gab im September 2019 einen „Bürgerrat Demokratie“, der in Leipzig mit 160 gelosten Bürgern Empfehlungen zur Weiterentwicklung des demokratischen Systems machte. Die Öffentlichkeit hat aber diesen Bürgerrat kaum zur Kenntnis genommen und dessen Arbeitsergebnisse sind wohl weitgehend unbekannt geblieben. Zur Restaurierung des Vertrauens der Bürger in das Parlament haben solche Aktivitäten nicht wirklich beigetragen!

Unsere Parlamentarische Demokratie ist im Grundgesetz hervorragend verfasst, sie muss deswegen nicht weiterentwickelt werden, sondern sie muss von befähigten, vertrauenswürdigen Volksvertretern und Politikern „gelebt“ werden durch wirkungsvolle Politik, die den Bürgern auch glaubhaft vermittelt wird.

Das Vertrauen der Bürger kann zurückgewonnen werden durch eine erkennbar wirkungsvolle Kontrolle des teilweise unzureichenden Regierungshandelns durch den Bundestag. Die Bürger erwarten, dass der demographischen Entwicklung durch gezielte Einwanderung von Fachkräften entgegengewirkt wird. Die zukünftige Asylpolitik muss mit der EU abgestimmt sein und eine Ãœberfremdung verhindern – wir wollen helfen, aber wir können nicht allen helfen! Integration von Migranten und Asylanten muss besser gefördert, sie muss aber auch gefordert werden. Die Bürger erwarten, dass Recht und Ordnung durchgesetzt werden und so die innere Sicherheit gewährleistet wird. Die Bürger erwarten, dass gegen Clan-Kriminalität konsequenter vorgegangen und der Bildung von Parallelgesellschaften entgegengewirkt wird. Die Bevölkerung erwartet aber auch, dass der erkennbar verbreiteten Wirtschafts- und Finanzkriminalität entgegengearbeitet wird. Die deutschen Steuerzahler mit der höchsten Energiekostenbelastung der Welt erwarten auch, dass die Energiewende hin zu erneuerbaren Energien endlich erfolgreich vorangetrieben wird. Und die Bürger erwarten auch, dass Deutschland die bisher peinlich vernachlässigte Digitalisierung nachhaltig fördert. Und die Eltern und Großeltern erwarten, dass ihre Kinder und Enkel besser ausgebildet und gefördert werden. Ein erster wirkungsvoller Einstieg in die Rückeroberung des Bürgervertrauens wäre eine Wahlrechtsreform, die den Bundestag auf seine Regelgröße von 598 Abgeordneten zurückführt!

(27.09.2020)

 

Bei Interesse lesen Sie auch:

http://www.hansheinrichdieter.de/html/vertrauensverlustdesbt.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/parlamentarischesversagen.html

 

 

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