Hans-Heinrich Dieter

NATO-Bericht zu Afghanistan   (11.01.2016)

 

Der jüngsten NATO-Bilanz 2015 zufolge ist die Sicherheitslage in Afghanistan schlecht und es ist 2016 mit einer weiteren, signifikanten Verschlechterung der Lebensbedingungen am Hindukusch zu rechnen.

In einem Interview mit dem Bundeswehrverband sagte General Hans-Lothar Domröse, NATO-Oberbefehlshaber Allied Joint Forces Command, im September 2015 noch: „Die Sicherheitslage in Afghanistan ist und bleibt eine Herausforderung! Nach wie vor steht die afghanische Regierung im Ãœbergang - sie kann es schaffen mit unserer Hilfe.“ Dabei dachte er an die Fortführung der NATO-Beratungsmission „Resolute Support“, an die Ãœberführung dieser Militär-Mission in eine zivil geführte Beratungsmission „Enhanced Enduring Partnership“ und an die Weiterführung einer umfassenden Unterstützung Afghanistans im Zeitraum 2015-2025 mit zunehmend zivilem Schwerpunkt im Sinne von „Winning the Peace“.

Im Herbst 2015 ist der Terror nach Afghanistan verstärkt zurückgekehrt. Die NATO beurteilt die zunehmend erkennbare Ãœberforderung der afghanischen Sicherheitskräfte inzwischen nüchterner sowie realistischer und deswegen fordert General Domröse jetzt in einem Interview im Rahmen der NATO-Ãœbung „Trident Junkture“, zukünftig einen robusteren militärischen NATO-Einsatz in Afghanistan.

Die Botschaften von deutschen Generalen in NATO-Funktionen werden aber offensichtlich in Berlin und in anderen Partnerstaaten nicht so ernst genommen, denn im Dezember beschloss der Bundestag lediglich, die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-Einsatz "Resolute Support" zunächst bis Ende 2016 fortzusetzen und die Zahl der Soldaten von derzeit 850 auf bis zu 980 zu erhöhen. Ein neues schlüssiges verantwortbares Gesamtkonzept der militärischen Unterstützung für Afghanistan durch die internationale Gemeinschaft gibt es bisher nicht. Und auch die NATO hat bei ihrer Tagung im Dezember nicht über eine mögliche neue „robuste“ Strategie für Afghanistan entschieden.

Dabei sind die Erkenntnisse des neuesten NATO-Berichtes nicht neu, die jetzt öffentlich gewordenen Zahlen sind nur noch erschreckender. Die Todesrate afghanischer Sicherheitskräfte lag im Schnitt 2015 bei 22 Gefallenen am Tag, eine Steigerung um 42 Prozent zu 2014. Durch die Toten und die sehr hohe Zahl von Deserteuren sowie Ãœberläufern zu den Taliban verliert die afghanische Armee jährlich 30 Prozent ihrer Soldaten. Zehn Bataillone sind überhaupt nicht einsatzfähig. Nur eine von etwa 100 Infanterieeinheiten ist als „kampffähig“ zertifiziert. Die großen personellen Bemühungen der westlichen Welt um den Aufbau und die Ausbildung einsatzfähiger afghanischer Sicherheitskräfte, die eigenverantwortlich die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung, der zivilen Aufbauhelfer und der zahlreichen NGO´s gewährleisten können, waren nicht erfolgreich. Die Investitionen mehrerer Milliarden US-Dollar sind relativ wirkungslos.

Die Taliban hingegen dehnen ihren Machtbereich aus und kontrollieren große Teile Afghanistans. Im Süden beherrschen sie weite Teile der Provinzen Helmand und Kandahar und im Norden bewegen sich die islamistischen Terroristen ungehindert in Rückzugsräumen, aus denen heraus sie jederzeit zuschlagen können, wie im September in Kunduz. Dazu baut der Islamische Staat seine Basis aus und wird zunehmend zu einer zusätzlichen terroristischen Gefahr.

Fortgesetzte Ausbildungsunterstützung mit der schlichten (symbolischen) „strategischen Botschaft“: Wir bleiben! wird Afghanistan und der geschundenen afghanischen Bevölkerung nicht helfen. Wenn wir wirklich helfen und außerdem auch Fluchtursachen bekämpfen wollen, dann kommen wir - auf der Grundlage einer vernetzten Gesamtstrategie - um die schwere Entscheidung für einen erneuten robusten militärischen NATO-Einsatz mit Schwerpunkt Terrorbekämpfung in Afghanistan nicht herum. Sonst droht Afghanistan in die Hände der Taliban zurückzufallen und das käme einer Totalniederlage der internationalen Staatengemeinschaft gleich.

(11.01.2016)

 

 

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