Hans-Heinrich Dieter

Muslimische Revolution   (02.08.2013)

 

In Ägypten ist ein Bürgerkrieg nicht mehr unwahrscheinlich. Die Fronten zwischen Islamisten und säkular denkenden Bürgern sind verhärtet. Die Übergangsregierung wird von vielen Ägyptern nicht als legitim angesehen und das Militär hat nach dem Putsch mit den Sicherheitskräften die Lage weitgehend im Griff, kann aber das Volk nicht wirklich beruhigen.

Catherine Ashton, die Außenbeauftragte der EU, hat zu Beginn der Woche in Kairo mit der Führung der Übergangsregierung und Vertretern der Muslimbruderschaft gesprochen und Ex-Präsident Mursi besucht. Ashton will vermitteln und Hilfe anbieten. Erfolge hat sie nicht zu verzeichnen, aber Mursi geht es gut, sagt sie.

Guido Westerwelle folgt Ashton als erster westlicher Außenminister auf dem Fuße, um in den Konflikt zwischen Übergangsregierung und Muslimbrüdern vermittelnd einzugreifen. Westerwelle hat zwar in der Zeit der Regentschaft Mursis gute Beziehungen zu den Muslimbrüdern aufgebaut, aber mit seiner frühen Forderung, den gefangenen Mursi unverzüglich freizusetzen, Unverständnis bei der Übergangsregierung und auch bei säkular denkenden Teilen der Bevölkerung erzeugt und somit Vertrauen eingebüßt. Auch Westerwelle hat erkennbar keinen positiven Einfluss auf den Konflikt. Die Muslimbrüder lehnen weiterhin jedes Gespräch mit der Übergangsregierung ab und haben nach den Freitagsgebeten zu Massenprotesten aufgerufen. Sinn und Zweck dieser Reise bleiben nebulös, insbesondere weil Frau Ashton für die EU unmittelbar vorher schon Flagge gezeigt hat.

Präsident Obama schickt Republikaner, wie den abgeflogenen Vietnam-Veteranen McCain, nach Ägypten und Außenminister Kerry zeigt ein etwas merkwürdiges Demokratieverständnis, wenn er feststellt, dass die Übergangsregierung durch massenhaft demonstrierende Ägypter legitimiert sei. Hier zeigt sich die ganze Hilflosigkeit der westlichen Welt im Umgang mit den Teilen einer muslimischen Revolution.

Zwei Jahre ist es nun her, dass die westliche Welt den "Arabischen Frühling" bejubelt hat. Mit unseren westlichen Augen sah man in der muslimischen Welt schon Demokratien erblühen mit gleichberechtigten Frauen und rechtsstaatlichen Ordnungen. Die Illusionen sind inzwischen realistischeren Einschätzungen gewichen, denn zu wenig ist frühlingshaft erblüht und heftige Wintereinbrüche stören die Frühlingsgefühle empfindlich.

Tunesien, das "Mutterland" der muslimischen Revolution wird inzwischen wieder von Massenprotesten erschüttert. Muslimische Welten stehen sich unversöhnlich gegenüber. Die einen wollen einen islamistischen Gottesstaat auf der Grundlage der Scharia, die anderen wollen eine Trennung zwischen Staat und Religion und unter freiheitlichen Rahmenbedingungen besser leben. Da in solchen Ländern demokratische Verhaltensweisen nicht eingeübt sind, gibt es offenbar auch keinen gepflegten Dialog, keinen spannenden Diskurs und keine weiterführende Diskussion, also auch keine von allen akzeptierten Kompromisse, es gibt Aggression und Gewalt, die wiederum mit Gewalt eingedämmt werden.

Der syrische Bürgerkrieg ist inzwischen zunehmend ein Bürgerkrieg verfeindeter arabischer, ethnischer und religiöser Gruppen, unter massiver Einflussnahme von nicht-syrischen islamistischen Terrorgruppierungen. Opposition schießt auf Opposition und der von vorschnellen Medien und illusionsbeladenen Politikern seit nahezu zwei Jahren zum baldigen "Verlierer" erklärte Machthaber Assad sitzt zunehmend fester im Sattel. Die Ursache dafür ist nicht etwa eine verspätete westliche Waffenlieferung an die "Rebellen", sondern der heftige Kampf um die "wahre" muslimische Identität innerhalb der Opposition. Und sollte wider Erwarten Assad die Macht verlieren, werden die Islamisten versuchen, alle „Nichtgläubigen“, z.B. Alawiten, Schiiten und Christen, auszuschalten und auf der Grundlage der Scharia einen „Gottesstaat“ zu errichten. Das wird dann mit „arabischem Frühling“ und „1001 Nacht“ herzlich wenig zu tun haben.

Der Iran ist seit 1979 eine islamische Republik mit religiös begründeter Staatsgewalt und der Scharia als Gesetzesgrundlage. Mit 89% Schiiten ist die Frage des "wahren Islam" geklärt. In absehbarer Zeit ist nicht zu erwarten, dass säkulare Bewegungen Erfolg haben werden. Der Iran macht aber seinen Einfluss in der muslimischen Welt geltend und unterstützt schiitische Bevölkerungsteile in Syrien und damit auch Assad.

Im Irak herrschen nach Abschluss der US-Intervention weiterhin bürgerkriegsähnliche Zustände und heftige Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten, Ausgang offen. Wie sich das Staatswesen entwickeln wird ist nicht wirklich vorherzusehen.

Libyen kommt nicht zur Ruhe. Islamistische Milizen haben sich im Bürgerkrieg aus den Arsenalen Gaddafis massiv bedient. Das hat die islamistischen Terrorgruppierungen in der Sahelzone umso gefährlicher gemacht. Und für die islamistischen Milizen und die Stammesführer in Libyen sind die Waffen eine gute Einnahmequelle. Die schwache libysche Regierung, ihre desolate Verwaltung und die ungenügend einsatzbereiten libyschen Sicherheitskräfte haben weder die Autorität noch die Kraft, solche Waffengeschäfte der Milizen-Gruppen aus Islamisten, Terroristen, Gaddafi-Gegnern und Rebellen zu unterbinden. Die Sicherheitslage in Libyen ist dementsprechend desolat. Ein muslimischer Identitätskonflikt ist derzeit nicht zu beobachten, von Libyen geht aber eine destabilisierende Wirkung auf die Region aus.

Und die geschundenen und bedauernswerten Afghanen wollen zwar eine Verbesserung ihrer Lebenssituation, aber nicht nach westlichem Vorbild leben. Nach 2014 wird es auch am Hindukusch wieder heftigere Konflikte um die muslimische Identität geben, dabei werden die gewalterfahrenen islamistischen Taliban erhebliche Vorteile haben.

Pakistan bleibt ein muslimisches Pulverfass mit starken Einflussmöglichkeiten auf Afghanistan. Schwer bewaffnete Taliban-Kämpfer haben jüngst im Nordwesten des Landes ein Gefängnis angegriffen und mehr als 250 Häftlinge befreit. Unter ihnen sollen auch rund 30 islamistische Aufständische sein. Pakistan ist eine Atommacht, die im Inneren durch muslimische Identitätskonflikte instabil gehalten wird.

Saudi Arabien und Katar beobachten die Entwicklung in der arabischen Welt sehr genau und unterstützen mit viel Geld fundamentalistische Muslimgruppierungen und versuchen so, die Entwicklung einer zukünftig "wahren muslimische Identität" in der arabischen Welt zu fördern.

Nicht nur in Tunesien und Ägypten, in der ganzen arabischen Welt schwelt also der Konflikt zwischen den Säkularen und den Islamisten. Ãœber die Identitätskonflikte hinaus geht es aber auch um Deutungshoheiten im Islam. Sunniten, Schiiten, Alawiten und radikale Islamisten werden sich unter demokratischen Rahmenbedingungen wohl nicht darauf einigen können, wer den „wahren Islam“ vertritt. Die Lage ist deswegen gefährlich, weil es in diesen grundsätzlichen politischen und religiösen Fragen in der muslimischen Welt offenbar keine Kompromisse gibt. Gewalt ist vorprogrammiert. Auf beiden Seiten der Barrikaden stehen Muslime, deren Vorstellungen vom jeweiligen zukünftigen Staatswesen nicht vereinbar sind. Deswegen muss dieser Konflikt zwischen Anhängern eines islamistischen Staates, säkularen Kräften, Verfechtern einer moderneren Welt, aber auch zwischen unterschiedlichen islamischen Glaubensrichtungen von den Muslimen selbst und alleine ausgetragen werden.

Und auch säkulare Muslime wollen nicht nach westlichem Vorbild leben. Die muslimische Welt ist an unserem Geld interessiert, will aber erkennbar nicht nach unserer Fasson selig werden. Deswegen verbietet sich jede Einmischung in diese Konflikte und jegliche Parteinahme in Bürgerkriegen. Mehr als Appelle und humanitäre Unterstützung bleiben den westlichen Diplomaten und Staaten nicht.

Die Türken wurden vor Wien gestoppt und mittelalterliches muslimisches Gedankengut hat Gott sei Dank keinerlei Einfluss auf die Französische Revolution gehabt. Revolutionen ziehen auch katastrophale Begleiterscheinungen nach sich. Außenpolitischer Druck wird aber eine Revolution nicht stoppen und katastrophale Entwicklungen höchstens lindern können. Die muslimische Welt muss sich aus dem Mittelalter selbst befreien.

(02.08.2013)

 

 

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