Hans-Heinrich Dieter

Mehr Politikercourage!   (23.07.2014)

 

Bundespräsident Gauck fordert angesichts der Ausnutzung des legitimen Protestes deutscher Bürger gegen die israelische Politik und den ausufernden Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung im Gaza-Streifen für antisemitische Hetze durch Muslime, Islamisten und Rechts- wie Linksradikale zur Zivilcourage auf: „Aus diesem Grund möchte ich alle Deutschen auffordern und alle Menschen, die hier leben, auffordern, immer dann ihre Stimme zu erheben, wenn es einen Antisemitismus gibt, der sich auf den Straßen brüstet.“... „Wir wollen das nicht hinnehmen.“ ... „Wir wollen dieses Land als ein Land der Toleranz und der Offenheit und als ein Land, das allen Menschen, die hier wohnen, Sicherheit garantiert.“ Richtig! Wichtig ist, dass der Bundespräsident seine Stimme erhebt gegen Fremdenhass, Intoleranz und antisemitische Hassparolen. Sein richtiger Appell müsste sich allerdings weniger an die Bürger als an die Politik richten.

Der Protest von muslimischen und nichtmuslimischen deutschen Staatsbürgern sowie von muslimischen Migranten und Gästen richtet sich vornehmlich nicht gegen Juden, sondern gegen die Politik und die Gewaltanwendung Israels. Die Menschen protestieren gegen rechtswidrige Bombardierung von zivilen Zielen im Gaza-Streifen und den unzureichenden Schutz der Zivilbevölkerung bei den kriegerischen Auseinandersetzungen. Und die Bürger wissen sehr wohl einzuschätzen, warum die Friedensbemühungen des US-Außenministers gescheitert sind - an der rechtswidrigen Siedlungspolitik und an der Unwilligkeit Israels, auf der Grundlage einer Zwei-Staaten-Lösung einen schmerzlichen Kompromiss für Frieden zu schließen. Diese Kritik ist berechtigt, ja angebracht und hat mit Antisemitismus grundsätzlich nichts zu tun. Dass Kritik an Israels Politik vom Zentralrat der Juden, vom israelischen Botschafter in Deutschland von israelischen Bürgern als neuer und sich verstärkender Antisemitismus verunglimpft und für Stimmungsmache genutzt wird, verstärkt eher die Ressentiments.

Wenn solche berechtigten Meinungsäußerungen in Deutschland lebender Bürger ausgenutzt werden für antisemitische Hetze, dann ist weniger die Courage der Bürger, die sich nur unzureichend gegen solche von Gewaltbereitschaft begleiteten Auswüchse wehren können, gefragt, sondern der Mut der Politik, solche Volksverhetzung unter Anwendung von Recht und Gesetz zu unterbinden, Gesetzesbrecher einer Bestrafung zuzuführen und Migranten und Gäste, die das Gastrecht missbrauchen oder aufgrund ihres politischen oder religiösen Fanatismus unerwünscht sind, auszuweisen. Da müssen Politiker möglicherweise ihre Multikultiträume überwinden und sich dem Vorwurf des "Femdenhasses" durch solche Fanatiker, Islamisten und Extremisten aussetzen. Der Schutz unserer Meinungsfreiheit, der Toleranz unseres demokratischen Gemeinwesens und unserer Würde ist das allemal wert. Und deswegen müssen wir von Migranten auch stärkere Integrationsanstrengungen fordern, denn ohne eine bessere Integration werden sich solche Probleme verstärken.

Und der Mut der gewählten Volksvertreter ist auch gegenüber Israels Politik gefordert. Unsere Politiker scheuen aus historischer Rücksicht in der Regel die offene und ehrliche Einschätzung israelischer Politik. Und wenn Kanzlerin Merkel das Existenzrecht Israels zum Teil deutscher Staatsräson erklärt, dann verpflichtet uns das, für die Existenz Israels einzutreten. Aber damit ist keine Verpflichtung verbunden, die rechtswidrige Siedlungspolitik Israels zum Nachteil der Palästinenser und der gesamten Region Nahost klaglos hinzunehmen. Und wenn wir Israels Recht auf Selbstverteidigung gegen Terrorakte der Hamas anerkennen, dann bedeutet das nicht, dass ausufernde Gewalt gegen palästinensische Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen nicht als Unrecht gebrandmarkt wird. Die Politik muss unmissverständlich deutlich machen, dass deutsche Kritik an Israel nicht Kritik an Juden bedeutet. Wir brauchen mehr Politikercourage gegenüber Israel!

Das Entsetzen des israelischen Botschafters Yakov Hadas-Handelsman dürfen wir nicht so ernst nehmen, denn er ist politischer Lakai des rechtsradikalen Scharfmachers und israelischen Außenministers Lieberman. Die sehr kritischen Anmerkungen des Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, Graumann, im Zusammenhang mit antisemitischer Hetze bei antiisraelischen Demontrationen müssen wir ernst nehmen, weil er auch für die jüdischen Gemeinden spricht. Wir müssen aber stimmungsmachende Übertreibungen hinsichtlich eines neuen und explodierenden Antisemitismus in Deutschland nicht einfach hinnehmen, sondern Ursachen suchen und gegebenenfalls Abhilfe schaffen. Zur Abhilfe würde beitragen, wenn der Zentralrat der Juden in Deutschland sich von der völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik Israels und von ausufernder Gewalt gegen Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen distanzieren würde. Und wenn der Zentralrat sich öffentlich gegen den nationalreligiösen Hass der israelischen Siedler und dessen Auswüchse, wie die barbarische und unmenschliche Verbrennung eines jugendlichen Palästinensers bei lebendigem Leibe, wenden würde, dann würde auch deutlich werden, dass solche israelischen Auswüchse mit jüdischer Tradition nichts zu tun haben. Der Zentralrat der Juden wäre dann glaubwürdiger. Unsere Politiker hingegen sind schnell mit Herrn Graumann im Entsetzen vereint, anstatt auch von den jüdischen Gemeinden in Deutschland einen positiven Beitrag einzufordern, der über sehr einfache und falsche Botschaften wie, wer gegen Israels Maßnahmen ist, der ist gegen Juden, deutlich hinausgeht. Das erfordert allerdings Politikercourage!

Unsere Politiker müssen sich auch an die Repräsentanten des Islam in Deutschland wenden. Es ist sehr erfreulich, dass der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Aiman Mazyek, antisemitische Parolen bei Demonstrationen gegen die Politik Israels verurteilt hat: "Wer Judenhass predigt oder meint, im Zuge des Gaza-Krieges Antisemitismus verbreiten zu müssen, bewegt sich außerhalb unserer Gemeinden." Das ist erfreulich aber nicht genug, denn der ZMD müsste sich öffentlich in Richtung der deutschen Gesellschaft aber auch in Richtung der türkischen Gemeinden in Deutschland gegen den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan stellen, der mit Sätzen wie: „Israel tut den Palästinensern viel Schlimmeres an, als Hitler ihren Vorfahren angetan hat... Natürlich sind wir gegen die Grausamkeiten Hitlers. Wir sind gegen den Antisemitismus. Nur muss jeder wissen, dass wir auch gegen den Terror Israels sind, der in die Fußstapfen Hitlers tritt.” die türkischen Menschen fanatisiert. Diese Stimmung schwappt auf die Türken in Europa über und bringt den Hass auf die deutschen Straßen. Und der ZMD müsste sich öffentlichkeitswirksam von Hasspredigern der Salafisten und von antisemitischer Hetze verbreitenden Imamen distanzieren. Es ist bisher nicht bekannt, dass deutsche Politiker mit solchen Forderungen couragiert an die Repräsentanten des Islam in Deutschland herangetreten wären.

Und wenn das Existenzrecht Israels Teil der deutschen Staatsräson ist, dann doch wohl das Existenzrecht eines demokratischen Staates Israel, der das Völkerrecht und die Menschenwürde seiner palästinensischen Nachbarn, aber auch seiner kritischen Bürger, achtet. Der Haaretz-Journalist Levy hat sich als einer der ganz Wenigen in Israel kritisch zum Vorgehen der israelischen Streitkräfte im Gaza-Streifen geäußert und wird seitdem massiv angefeindet - er sei fast gelyncht worden, schreibt er in einem späteren Artikel. Ein solches Israel kann als Teil deutscher Staatsräson nicht gemeint sein.

Wenn die Stimmung gegenüber Israel als Staat in Europa und auch in Deutschland immer schlechter wird, dann ist das durch die Politik der rechtsgerichteten israelischen Regierung und auch durch die wenig couragierte und als unehrlich empfundene deutsche Politik begründet. Das wird durch Interessierte in voller Absicht zu einem neu auflodernden und sich verstärkenden Antisemitismus hochstilisiert.

(23.07.2014)

 

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