Hans-Heinrich Dieter

Libysche Freiheitskämpfer

 

Die libyschen Freiheitskämpfer wurden nach dem Sturz Gaddafis gefeiert, sie haben sich selbst gefeiert und "feiern" sich offenbar immer noch. Dabei gab und gibt es leider nicht nur Grund zur Freude.

Libyen ist, dort wo gekämpft wurde, ziemlich zerstört, es sind nach Angaben des Übergangsrates ca. 30.000 Tote zu beklagen, darunter viele Zivilisten. Während der Kämpfe ist nicht erkennbar gewesen, dass die Freiheitskämpfer bewusst Rücksicht auf Zivilbevölkerung in umkämpften Stadtteilen genommen hätten. Auf dem Vormarsch haben die Aufständischen teilweise wahllos Jagd auf Schwarzafrikaner gemacht und Lynchjustiz geübt auf den bloßen Verdacht hin, es handele sich um von Gaddafi angeheuerte Söldner. Der Umgang mit dem gefangenen Gaddafi und die Ermordung des Despoten waren menschenverachtend sowie Menschenrecht verletzend und haben im Zusammenhang mit den bisher von Human Rights Watch und vom Roten Kreuz aufgedeckten Massakern der Rebellen gezeigt, dass es sich bei einem Teil der Rebellen nicht um hehre Freiheitskämpfer, sondern um undisziplinierten bewaffneten Mob handelt. Der Nationale Übergangsrat hat offenbar bisher wenig unternommen, um diese Verbrechen aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die NATO sollte in dem Zusammenhang nicht vergessen, dass sie bis 31.10.2011 Bürgerkriegspartei war und "mitverantwortlich" ist für die Lage Libyens. Und da vermisst man die unmissverständliche Forderung der NATO an den libyschen Übergangsrat, dieser Verantwortung gerecht zu werden und Menschenrechtsverletzungen jeweils zu unterbinden.

Die Lage in Libyen scheint sich eher zu verschlechtern als zu stabilisieren. Polizei und Justiz sind noch in den Anfangsstadien des Aufbaus. Milizen der Rebellen haben im Land weiterhin großen Einfluss, sie weigern sich, ihre Waffen abzugeben und setzen diese Waffen häufig unabhängig vom Nationalen Übergangsrat ein. Es kommt immer wieder zu blutiger Gewalt rivalisierender Milizen und aus Tripolis wird von Hetzjagden, Folter und Selbstjustiz gegen vermeintliche Anhänger des alten Regimes berichtet.

Am 16.02.2012 hat Amnesty International in einem Bericht davor gewarnt, dass Milizen zunehmend außer Kontrolle geraten und die während des Aufstandes gewonnene Macht nicht abgeben, sondern vielmehr versuchen, mit Waffengewalt die Macht zu sichern, die ihnen als Freiheitskämpfer ihrer Meinung nach zusteht. Dabei scheuen die Milizionäre unter dem Eindruck von fehlender Strafverfolgung vor massiven Menschenrechtsverletzungen nicht zurück. Der Bericht dokumentiert seit September 2011 zahlreiche Todesfälle durch Folter. Nach Schätzungen der UN befinden sich derzeit noch etwa 6.000 Unterstützer des gestürzten Gaddafi in Gefangenschaft von Milizen. Bisher ist es nur gelungen, acht Miliz-Gefangenenlager mit knapp 2.900 Häftlingen unter staatliche Kontrolle zu bringen.

Am 22.02.2012 hat Mustafa Dschalil, der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrates, nun offiziell bestätigt, dass die legitimierte politische Führung des Landes keine Kontrolle über die Milizen hat. Darüber hinaus kommt es auch zur Aufstellung von regionalen Parlamenten, die den Sicherheitsrat nicht anerkennen, und der Kampf der verfeindeten Milizen geht weiter. Libyen ist offenbar kurz vor einem neuerlichen Bürgerkrieg.

Der Erfolg der Milizen gegen Gaddafi war nur möglich durch die massive Luft-Unterstützung der Rebellen seitens der NATO, durch Ausbildungsunterstützung für die Rebellen z.B. von Frankreich, Italien und Großbritannien und durch umfangreiche Waffenlieferungen von Qatar und auch mehreren NATO-Mitgliedern an undefinierte Rebellengruppen ohne einheitliche legitimierte Führung - entgegen dem vom UN-Sicherheitsrat verhängten Waffenembargo. Wenn heute auch teilweise die „Falschen“ immer noch bewaffnet sind, dann ist das von den waffenliefernden Staaten mit zu verantworten.

Da mutet es schon skurril an, wenn der CDU-Außenpolitiker Andreas Schockenhoff und der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter nach einer Libyenreise im Januar 2012 für eine “breite Unterstützung” beim Wiederaufbau Libyens plädieren und sagen: “Dies gilt auch für die Entwaffnung von Kämpfern und Milizen sowie den Aufbau von staatlichen Sicherheitsstrukturen in Libyen.” Hilfe beim Wiederaufbau ja, aber warum sollte Deutschland den Milizen die Waffen abnehmen, die Qatar und einige NATO-Staaten teilweise undifferenziert an die unterschiedlichsten Milizen geliefert haben?

Die Frage der Waffenlieferungen an eine vielschichtige und vielgestaltige Opposition in Syrien wird derzeit wieder engagiert diskutiert. Die westliche Welt scheint aus Fehlern nicht lernen zu wollen. Denn die USA haben im Zusammenhang mit Waffenlieferungen eine schwierige Geschichte und schlechte Erfahrungen gemacht. Die USA haben damals in Afghanistan die Taliban massiv gegen sowjetische Truppen mit Waffen versorgt und werden heute, zusammen mit den Truppen der internationalen Staatengemeinschaft, von den Taliban mit diesen Waffen bekämpft. Die USA haben Widerstand gegen Hussein im IRAK intensiv mit Waffenlieferungen unterstützt und wurden bis vor kurzem mit solchen Waffen aus US-Produktion im IRAK bekämpft. Und die CIA hat in diesen Zusammenhängen meist eine Rolle abseits der politischen Moral gespielt. Die jüngsten Erfahrungen mit den Waffenlieferungen an die libyschen Milizen sind insgesamt negativ, denn man darf objektiv einfach auch nicht außer Acht lassen, dass man mit der Bewaffnung der Rebellen im Bürgerkrieg immer Aufständische auch gegen einen Teil der Zivilbevölkerung bewaffnet. Der Zweck heiligt da nicht die Mittel, schon überhaupt nicht solche Mittel, die nicht legitimiert sind.

Es wird hohe Zeit, dass sich die Arabische Liga mit Unterstützung der westlichen Welt in Libyen engagiert, um einen neuerlichen Bürgerkrieg zu verhindern. Und vor Waffenlieferungen an die „Opposition“ in Syrien sollte man, anders als im Falle Libyen, ganz sicher sein, dass man nicht die Falschen mit Waffen ausstattet.

(01.03.2012)

 

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