Hans-Heinrich Dieter

Konsequente FDP   (20.11.2017)

 

Die Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition haben intensive politische Diskussionen erforderlich gemacht. Das war gut so, denn die Demokratie lebt von dem Diskurs über zukunftsorientierte Themen, deren Lösung dem Wohl des deutschen Volkes dienen sollen.

Die Sondierungen zogen sich quälend lange hin und es wurde deutlich, dass die politischen und ideologischen Positionen der Grünen und der CSU sowie der Grünen und der FDP sehr weit auseinanderlagen und teilweise unvereinbar sind. Inhaltlich wurde wenig bekannt, außer bei ständigen, politisch gefärbten und persönlichen öffentlichen Profilneurosen der wesentlichen Sondierer. Schuldzuweisungen waren an der Tagesordnung, rote Linien wurden – teilweise taktisch begründet – sehr früh hauptsächlich von den Grünen und der CSU gezogen, um dann minimale Kompromiss-Angebote zu machen und sich marktschreierisch den natürlich sensationshungrigen Medien als die einzig Kompromissbereiten anzubieten. Inhaltlich wurde auch deswegen wenig bekannt, weil die langen Sondierungspapiere bis zum Ende der letzten Woche voller „eckiger Klammern“ – Dissenspunkte – waren. Davon wollte man der Öffentlichkeit natürlich nicht im Detail berichten, denn es galt, gute Stimmung, wachsendes Vertrauen, echten Kompromisswillen und Erfolgsaussichten vorzugaukeln – dem sollten wohl auch die schlecht gestellten, fürchterlich falschen und deswegen abschreckenden Balkonbilder dienen. Gleichzeitig wollten die Sondierer ihrer Basis natürlich als „harte Verhandler“ erscheinen. Das führte zu mehrschichtiger Heuchelei auf hohem Niveau. Nur die CDU hielt sich zurück, war nach allen Seiten offen und – wie immer - flexibel im Sinne ihrer Chefin, denn der geht es ja fast nur um den Machterhalt. Frau Merkel trat auch nicht mit Profilneurosen in Erscheinung und auch nicht erkennbar in den Vordergrund, denn sie hatte zwar die Leitung der Sondierungen aber nicht um die Inhalte der Wahlgewinnerin stark zu vertreten, sondern um den Jamaika-Kompromiss um sicherlich auch hohe Preise zu erreichen. Merkel würde dafür die sozialdemokratisierte CDU sicherlich auch noch hellgrün anstreichen, wenn es sein müsste. Es hat alles nichts genützt, Merkels Sondierungsleitung ist gescheitert. Diese Sondierungen haben die Politikerverdrossenheit gestärkt.

Gestern am Sonntag wurden die Jamaika-Sondierungen – weit nach dem vereinbarten Enddatum – dadurch beendet, dass die FDP ihre Teilnahme für beendet erklärt hat. FDP-Chef Lindner hat in einer schlüssigen Rede diesen nicht einfachen Schritt plausibel begründet. „…Wir haben als Freie Demokraten in den letzten Wochen zahlreiche Angebote zum Kompromiss unterbreitet, unter anderem zu Beginn in der Steuerpolitik, in der Europapolitik, in Fragen der Einwanderung, in der Bildungspolitik. Denn wir wissen, dass Politik vom Ausgleich lebt. Und mit knapp elf Prozent kann man nicht den Kurs einer ganzen Republik diktieren. …Nach Wochen liegt aber heute unverändert ein Papier mit zahllosen Widersprüchen, offenen Fragen und Zielkonflikten vor. Und dort, wo es Ãœbereinkünfte gibt, sind diese Ãœbereinkünfte erkauft mit viel Geld der Bürger oder mit Formelkompromissen. …Aber am heutigen Tag wurde keine Bewegung, keine neue Bewegung, keine weitere Bewegung, erreicht, sondern es wurden Rückschritte gemacht, weil auch erzielte Kompromisslinien noch einmal infrage gestellt worden sind. …Den Geist des Sondierungspapiers können und wollen wir nicht verantworten, viele der diskutierten Maßnahmen halten wir sogar für schädlich. Wir wären gezwungen, unsere Grundsätze aufzugeben und all das, wofür wir Jahre gearbeitet haben. Wir werden unsere Wählerinnen und Wähler nicht im Stich lassen, indem wir eine Politik mittragen, von der wir im Kern nicht überzeugt sind. Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“

Für diesen mutigen, konsequenten und nachvollziehbaren Schritt wird die FDP nun hart kritisiert. Die Medien packten sofort das alte FDP-Bashing-Instrumentarium von 2012/13 aus und versahen es mit neuen Namen. So konnten sie mit der heute gebotenen Geschwindigkeit, ganz offensichtlich ohne die Rede Lindners ganz zu lesen, die geballte Häme und Polemik zur Geltung bringen. Aber Medien sind ja immer mehr Instrumente der Politik, deswegen ist die Kritik der „anderen“ Sondierer noch ernster zu nehmen. Die bekannten grünen Trittins überschlugen sich in hämischer und auch beleidigender Kritik – wo man sich doch schon nähergekommen war. Und selbst Seehofer lastete der FDP die alleinige Schuld für das Scheitern an, wo man doch so kurz vor dem Durchbruch gestanden hätte – log er. Auch CDU-Generalsekretär Tauber reihte sich mit ähnlicher Diktion in die Phalanx der hämischen Kritiker ein. Und selbst die Verantwortungsverweigerer von der SPD, allen voran Stegner, sparen nicht mit hämischer Kritik.

Dabei sollen zum Zeitpunkt des Abbruchs der Sondierungen noch sage und schreibe 120 Diskussionspunkte strittig gewesen sein. Es wäre gut, wenn der letzte Stand der „Sondierungsliste“ mit der Vielzahl der „eckigen Klammern“ veröffentlicht würde. Dann könnte sich jeder interessierte Bürger und engagierte Demokrat selbst eine Meinung bilden und die Heuchler würden enttarnt und die politischen Lügner entlarvt.

Ich halte es leicht abgewandelt mit Lindner: Es ist besser, nicht mit zu regieren, als falsch mitregieren zu müssen! Im Falle einer eventuellen Minderheitsregierung wären Regierung und Parlament zu Kompromissen gezwungen, die Diskussion als Mittel der Demokratie würde in unserem verkrusteten Parlament deutlich an Bedeutung gewinnen und die Volksvertreter könnten sich viel stärker gestaltend einbringen. Das könnte sich wie ein demokratischer Jungbrunnen für unseren Bundestag auswirken – zum Wohle unserer parlamentarischen Demokratie. Ein Versuch ist das allemal wert!

(20.11.2017)

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Kommentare