Hans-Heinrich Dieter

Kerry am Ende seines Lateins   (04.04.2014)

 

Israel hat die vereinbarte 4. Tranche der 104 palästinensischen Gefangenen nicht zum abgesprochenen Termin Ende März 2014 freigelassen. Als Reaktion hat Palästinenserpräsident Abbas sich bei den UN um die Mitgliedschaft in 15 internationalen Verträgen und Konventionen bemüht. Damit haben beide Konfliktparteien Vereinbarungen verletzt, die im letzten Jahr Grundlage für die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen waren. US-Außenminister Kerry hat daraufhin eine Reise in den Nahen Osten abgesagt und will die Vermittler-Rolle der USA im Nahost-Friedensprozess überprüfen. Kerry sagte in diesem Zusammenhang, ein Scheitern der Verhandlungen wäre für beide Seiten eine Tragödie. Beide Seiten scheinen allerdings – wenn nicht Freude – so doch Interesse an diesem „traurigen Schauspiel“ zu haben.

Seit mehr als 22 Jahren verhandeln Israelis und Palästinenser nun schon über einen Frieden, immer wieder sind die Gespräche von Misstrauen, Borniertheit, mangelnder Fähigkeit zum Kompromiss, unzureichendem Willen zum friedlichen Ausgleich und Pessimismus geprägt. Es ist deutlich, dass zumindest Israel ohne Engagement doppelzüngig und verzögernd verhandelt, nur weil die USA es fordern. Israels Premierminister Netanjahu ist schwach, steht innenpolitisch unter Druck von rechtsextremen/-radikalen Gruppen und fürchtet um sein Amt. Palästinenserpräsident Abbas ist schwach, steht innenpolitisch unter Druck der Hamas und sieht auch keine Möglichkeiten für Kompromisse. Die Gesprächsatmosphäre ist durch Agieren beider Konfliktparteien inzwischen so vergiftet, dass derzeit offensichtlich keine Fortschritte erzielt werden können.

Außenminister Kerry, ein unverbesserlich erscheinender Optimist, scheint nun den Tatsachen ins Auge zu blicken. Initiativen Kerrys unterlief Israel wiederholt mit Ankündigungen des Baus neuer Siedlungen im Westjordanland. Kerry musste sich vom israelischen Verteidigungsminister beleidigen lassen, indem der zum Ausdruck brachte, dass der US-Außenminister von der Friedensidee besessen sei und mit verfehltem messianischem Eifer agiere. Und Jaalon fügte an: "In Wirklichkeit gibt es gar keine Verhandlungen zwischen uns und den Palästinensern, sondern die Amerikaner sprechen mit uns und parallel mit den Palästinensern. Das einzige, was uns noch retten kann, ist der Friedensnobelpreis für John Kerry, und dass er uns dann in Ruhe lässt."

Der ultrarechte israelische Außenminister Lieberman lässt seit Monaten keinen Zweifel aufkommen, dass er die Friedensverhandlungen für überflüssig hält und ist zudem heimtückisch. Er schlägt schon einmal vor, welche völlig heruntergekommenen Siedlungen israelischer Palästinenser gegen die neuen israelischen Siedlungen im Westjordanland eingetauscht werden könnten. Damit stößt er seine palästinensischen Landsleute vor den Kopf und macht außerhalb von Friedensverhandlungen schon einmal deutlich, was es heißt, den "jüdischen Staat" Israel anzuerkennen.

Der Lippenbekenner Netanjahu und andere israelische Politiker fordern in letzter Zeit immer häufiger und lautstärker die Anerkennung Israels als „jüdischer Staat“ durch die Palästinenser und bauen dadurch zusätzliche Hürden auf. Und es war ein Fehler Kerrys, diese Diktion aufgegriffen zu haben. Denn die Palästinenser haben ja Israel schon in den Oslo-Verträgen von 1993 als Staat anerkannt. Das war damals verbunden mit dem - inzwischen gebrochenen - israelischen Versprechen, innerhalb von fünf Jahren einen palästinensischen Staat gründen zu lassen. Die Anerkennung Israels als „jüdischer Staat“ lehnen die Palästinenser bisher ab, denn das ist dann ein Staat, in dem auch keine israelischen Palästinenser mehr leben oder höchstens als „Israelis zweiter Klasse“ leben können und in dem auch keine palästinensischen Flüchtlinge willkommen sind. Offener kann man seinen Unwillen zum Frieden auf der Basis einer Zweistaatenlösung nicht zeigen.

Die Weltöffentlichkeit verfolgt das Verhalten der Konfliktparteien sehr aufmerksam. Israel wird sich weiter politisch isolieren und zunehmend an Rückhalt in der Weltbevölkerung verlieren. Die USA scheinen es zunehmend leid zu sein, sich von Israel hinhalten zu lassen. Präsident Obama spricht nur sehr widerwillig mit Netanjahu. Wenn die USA die Friedensbemühungen aufkündigen, sind die Vereinten Nationen am Zuge und Amerika wird nicht länger, wider besseres Wissen, Veto gegen fast jede UN-Resolution gegen Israel einlegen. Die Europäische Union hat schon unzweifelhaft gezeigt, dass sie sich von Politikern wie Netanjahu und Lieberman nicht hinhalten und an der Nase herumführen lässt. Sie erkennt die israelischen Siedlungen im besetzten Westjordanland nicht als israelisches Staatsgebiet an und will künftig sicherstellen, dass Waren von dort regulär verzollt werden und keine für israelische Produkte gewährte Vergünstigungen erhalten. Das schmerzt Israel, denn es hat unmittelbare Auswirkungen auf die israelische Wirtschaft. Europa wird den Druck auf Israel sicher aufrechterhalten, um die Friedens-Bemühungen jeglicher Art zu unterstützen. Wenn der bekannte Plan A der USA nicht zum Erfolg führt, dann müssen die UN einen Plan B in die Wege leiten. Abbas hat das erkannt und mit seinen Anträgen schon Initialzündungen gelegt.

Israel sieht sich – wie eigentlich immer – allein im Recht. Als Reaktion auf neue Beitrittsgesuche der Palästinenser zu 15 internationalen Verträgen und Konventionen bereitet die israelische Regierung deshalb nun Strafmaßnahmen vor. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Mosche Jaalon lassen derzeit eine Liste von Vergeltungsschritten gegen die Palästinenser zusammenstellen. Man wird sehen, wie die internationale Staatengemeinschaft darauf reagiert. Denn Israel sollte auch verstehen lernen, dass es Konsequenzen haben muss, wenn es internationale Gesetze bricht, ein anderes Volk unterdrückt und eine faire Zwei-Staaten-Lösung hintertreibt.

Wenn die USA nun aus dem Prozess aussteigen und Israel die schützende Hand entziehen, sind die Vereinten Nationen am Zuge. Das ist nachteilig für Israel und möglicherweise gefährlich für den Nahen Osten. Netanjahu/Lieberman haben der israelischen Bevölkerung einmal mehr einen Bärendienst erwiesen.

(04.04.2014)

 

 

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