Hans-Heinrich Dieter

Kein Plan B   (09.08.2016)

 

Bundeskanzlerin Merkel hatte im September 2015 keinen Plan zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Dann entwickelte sie zusammen mit der EU den fragwürdigen Flüchtlings-Deal mit der Türkei, obwohl sie wusste, dass Erdogan ein unzuverlässiger und schwieriger Partner ist. Einen Alternativplan hat Merkel nicht entwickeln lassen.

Inzwischen entwickelt sich die Türkei zu einer Präsidialdiktatur mit eingeschränkter Meinungs- und Pressefreiheit sowie abhängiger Justiz. Die jetzige türkische Anti-Terror-Gesetzgebung wird derzeit missbraucht, um Journalisten, Akademiker und Erdogan-kritische Bürger ins Gefängnis zu stecken. Die Türkei entwickelt sich damit weg von den Beitrittskriterien der EU, sie erwägt die Todesstrafe einzuführen und provoziert damit selbst das Aussetzen oder den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen. Rechtsstaatliche Prinzipien werden momentan in der Türkei nicht mehr eingehalten und deswegen ist die Türkei in ihrem derzeitigen Zustand auch kein sicherer Drittstaat, in den Flüchtlinge zurückgeschickt werden können.

EU-Kommissionspräsident Juncker fasst das so zusammen: „Die Türkei - in dem Zustand, in dem sie jetzt ist - kann nicht Mitglied der Europäischen Union werden; vor allem nicht, wenn sie das täte, was einige anmahnen - nämlich die Todesstrafe wieder einzuführen. Dies hätte den sofortigen Abbruch der Verhandlungen zur Folge.“ Und trotzdem hat Juncker erneut keinen Plan B und will die Beitrittsverhandlungen fortführen sowie am Flüchtlings-Deal festhalten: „Ich sehe nicht, dass es jetzt von Hilfe wäre, wenn wir einseitig der Türkei bedeuten würden, dass die Verhandlungen zu Ende sind.“ Und keiner in der EU denkt offenbar überhaupt daran, die Fördergelder in Milliardenhöhe an die „Beitrittskandidatin“ Türkei einzufrieren. Das ist unverantwortliche Verschwendung von Steuergeldern für die Weiterführung einer Farce.

Kanzleramtsminister Altmaier hat keinen Plan B und lehnt ihn sogar ab. Dabei wäre es seines Amtes, Alternativpläne für die, an sich qua Amt „richtlinienkompetente“, Kanzlerin zu entwerfen. Altmeier ignoriert aber die Erpressungsversuche, die Drohungen, die Propaganda sowie die Beleidigungen Erdogans und äußert die Ãœberzeugung, dass der EU-Flüchtlings-Deal mit der Türkei Bestand haben wird: „Es gibt keinen Grund für einen Plan B.“ Das kommt einer unverantwortlichen Realitätsverweigerung gleich.

Dass sich SPD-Außenminister Steinmeier im Zusammenhang mit der Ostpolitik aber auch mit der Türkei der politischen Realität permanent verweigert und sich in nichtssagenden Phrasen und Floskeln gefällt, um die „Gesprächsfäden nicht abreißen zu lassen“, ist sattsam bekannt. Dass aber Realitätsverlust und wertevergessenes Verhalten, Unterwürfigkeit und Willfährigkeit - umschrieben mit der Vokabel „Diplomatie“ zum deutschen politischen Markenzeichen werden, ist neu.

Wenn „Diplomatie“ zur reinen Wortakrobatik verkommt wie bei unserem deutschen Außen-Illusionisten Steinmeier, dann wird sie unsinnig bis wirkungslos. Außenminister Steinmeier sollte versuchen, den Realitätsbezug hinter den Forderungen des österreichischen Bundeskanzlers Kern und dessen Außenministers Kurz, die Beitrittsgespräche mit der Türkei auszusetzen, zu verstehen. Es ist aber wahrscheinlich, dass Steinmeier in seiner ideologischen Verblendung diesen politischen Ansatz nicht begreift und deswegen gilt es zu hoffen, dass Österreich ein Veto gegen die Eröffnung weiterer Kapitel in den Beitrittsverhandlungen und damit gegen die Fortführung einer solchen politischen Farce einlegt. Die EU und die Türkei verhandeln seit 2005 über einen Beitritt. Seitdem hat sich die Türkei im Hinblick auf die Erfüllung der Kriterien für einen Beitritt trotz der EU-Milliarden an „Heranführungshilfen“ gemäß der letzten Fortschrittsberichte zurückentwickelt.

Der Realitätsverweigerer Steinmeier ist allerdings politisch nicht allein. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, meint: „Ich fände es verantwortungslos, wenn wir in dieser akuten Situation die bisherigen Beziehungen zur Türkei komplett aufgeben würden, ohne zu wissen, wohin wir wollen.“ Da hat sie recht, denn keinen Plan zu haben, ist politisch verantwortungslos. Wenn sie aber fordert, dass Europa die aufgeklärten, demokratieorientierten Türken, die sich auf die EU verlassen hätten, nicht im Stich lassen dürfe, dann schaut sie an der Realität vorbei, denn die demokratie- orientierten Türken werden demnächst - wenn sie nicht als „Terroristen“ verhaftet wurden - aus der Präsidialdiktatur des Möchtegern-Sultans Erdogan fliehen und in Deutschland Asyl beantragen. Und der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, Elmar Brok (CDU) warnt: „Ein sofortiges Aussetzen der Verhandlungen wäre heute diplomatischer Unsinn.“ Wenn aber reine Wortakrobatik-Diplomatie gegenüber dem machtversessenen, chauvinistischen und autokratischen Erdogan unsinnig ist, dann warnt Brok vor unsinnigem Unsinn - das macht keinen Sinn!

 Die deutsche Politik sollte sich der Tatsache stellen, dass weder Putin noch Erdogan Partner der westlichen Welt und der EU sind oder sein wollen, denn sie verhalten sich eher wie Gegner. Auch mit Gegnern müssen unter den Bedingungen der Globalisierung und geopolitischen Herausforderungen Gespräche und Verhandlungen geführt sowie Kompromisse geschlossen werden. Das darf aber nicht dazu führen, dass eigene Werte, Prinzipien und Grundsätze des vermeintlichen „lieben Friedens willen“ hintangestellt werden.

Skrupellose Machtmenschen wie Putin und Erdogan missverstehen unterwürfiges Entgegenkommen als Schwäche, die es auszunutzen gilt. Nicht anders sind die Erpressungsversuche Erdogans zu werten. Putin und Erdogan wissen, dass nur konsequentes politisches Handeln, einschließlich der Bereitschaft Sanktionen zu verhängen, zum Erfolg führt. Deswegen hat Putin nach dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeuges durch die Türkei Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei verhängt und Pauschalreisen russischer Touristen in die Türkei unterbunden. Es dauerte nicht lange, bis Erdogan zu Kreuze gekrochen ist.

Deswegen ist es gut, dass die EU-Sanktionen gegen Russland - unabhängig von der realitätsfremden Meinung Steinmeiers und der SPD - an die vollständige Umsetzung des Minsker Friedensabkommens gekoppelt sind. Steinmeier hingegen hat den Schwerpunkt des deutschen OSZE-Vorsitzes mit der verbalen Bewältigung des Ukraine-Konflikts verbunden. Seine diesbezüglichen „Gesprächsfäden“ waren bisher wirkungslos.

Es ist bedauerlich, dass wir derzeit politisch so fragwürdig und wenig erfolgreich vertreten werden.

(09.08.2016)

 

 

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