Hans-Heinrich Dieter

Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan (05.12.2011)

 

Hamid Karsai ist eine schillernde Persönlichkeit. Immerhin gibt er auch eigenes Versagen zu, wenn er in einem SPIEGEL-Interview vor der Afghanistan-Konferenz in Bonn sagt: "Wir sind leider daran gescheitert, Sicherheit und Stabilität für alle Afghanen zu schaffen". Nicht nur in dieser Hinsicht bleiben die afghanische Eigenverantwortung und Eigenleistung weit hinter den Erwartungen und Anforderungen zurück. Das Eingeständnis eigenen Versagens wird natürlich verknüpft mit weitreichenden und umfangreichen Unterstützungsforderungen. Nach Einschätzung von Präsident Karsai wird Afghanistan nicht nur bis mindestens 2024 auf massive finanzielle Unterstützung der internationalen Gemeinschaft angewiesen sein, sondern das Land werde nach dem „Abzug der internationalen Truppen mehr denn je an der Frontlinie im Kampf gegen den Terrorismus stehen.“

Diese Aussage Karsais überrascht etwas, denn bisher hat er die Bekämpfung der Taliban durch die US-Truppen dadurch erschwert, dass er wiederholt gefordert hat, dass die US-Spezialkräfte keine nächtlichen Razzien mehr durchführen und in keine Privathäuser mehr eindringen sollen. Vielmehr sollten die Spezialkräfte in ländlichen Gebieten operieren, die die Regierung Karsai zugewiesen habe oder im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan. Andererseits hat Afghanistan Pakistan wiederholt vorgeworfen, Terrorgruppen zu beherbergen, die in Afghanistan Anschläge verüben und zu wenig gegen die Taliban im Grenzgebiet vorzugehen oder gar mit ihnen zusammen zu arbeiten. Dann sagte Karsai in einem Interview mit dem Fernsehsender GEO: "Sollte Pakistan angegriffen werden und das pakistanische Volk die Hilfe Afghanistans benötigen, wird Afghanistan bei euch sein." Und nun vor der internationalen Konferenz zur Zukunft Afghanistans hat Karsai im SPIEGEL-Interview Pakistan mangelnde Unterstützung bei den Verhandlungen mit den Taliban vorgeworfen. Islamabad habe "leider jede Hilfe beim Zustandekommen von Verhandlungen mit der Taliban-Führung verweigert".

Es sieht so aus, als wüsste Karsai nicht, was er will und sagt, aber das ist wohl nicht der Fall. Als Opportunist und unter dem Schutz der internationalen Staatengemeinschaft prangert er US-Operationen gegen die Taliban für die Ohren der Bevölkerung an und verbreitet das Bild von Pakistan und Afghanistan als Siamesische Zwillinge. Er weiß aber sehr genau, dass Afghanistan nach 2014 souverän handeln muss und sich sehr weitgehend selbst überlassen sein wird. Karsai weiß, dass Pakistan alles versuchen wird, um möglichst großen Einfluss auf Afghanistan auszuüben, möglicherweise auch mit Unterstützung der Taliban. Und Karsai, der wahrscheinlich 2014 nicht mehr Präsident sein sondern es sich im sicheren Ausland gut gehen lassen wird, weiß, dass die radikal-islamistischen Taliban auch nach 2014 die Gesellschaft und Bevölkerung Afghanistans ständig bedrohen und einschüchtern werden, mit dem Ziel, wieder einen islamistischen Gottesstaat unter ihrer Führung zu schaffen.

Präsident Karsai weiß, dass Krieg, Armut, Drogenhandel, Kriminalität und Korruption den Alltag der Menschen in Afghanistan beherrschen und die Taliban zwar nicht an der Macht aber in vielen Regionen und Distrikten Afghanistans stärker denn je sind. Ernst zu nehmenden Schätzungen von Hilfsorganisationen zur Folge leben heute schon mehr als 50 Prozent der afghanischen Bevölkerung in Regionen, die von den Taliban beherrscht werden. Karsai ist Paschtune und kennt die Taliban genau, er kennt das Drogengeschäft aus nächster familiärer Entfernung, er kann die Leistungsfähigkeit seiner teils korrupten Regierung und der afghanischen Sicherheitskräfte richtig einschätzen und macht sich deswegen, anders als viele westliche Politiker, keine Illusionen. Karsai weiß, dass Sicherheit der Bevölkerung und Stabilität der öffentlichen Ordnung zwingende Voraussetzungen für die weitere Entwicklung und den Aufbau einer funktionierenden Wirtschaft und wettbewerbsfähigen Industrie sind. Die Taliban und ihr Terror sind real der größte Feind einer friedlichen Entwicklung.

Da sich die Taliban Verhandlungen über die friedliche Zukunft Afghanistans verweigern, eine „Aussöhnung“ ablehnen und nur zu warten brauchen, bis die internationalen Kampftruppen bis 2014 abgezogen sind, beurteilt Karsai die Lage sicher richtig, wenn er sagt, dass Afghanistan dann „mehr denn je an der Frontlinie im Kampf gegen den Terrorismus stehen“ wird. Das passt dann nicht ganz zur Aussage des Oberkommandierenden General Allen hinsichtlich der schnellen und umfangreichen Truppenreduzierung: "Der Abzug der Truppen ist unsere Friedensstrategie.“ Im Zweifel sollte man eine nüchterne, an der Realität orientierte Lagebeurteilung zugrunde legen und die gibt eher Karsai Recht. Und da keiner will, dass sich Afghanistan nach 2014 erneut zu einem Hort und Trainingsraum des internationalen Terrorismus entwickelt, sollten frühzeitig Konsequenzen gezogen werden und das heißt, dass die Taliban bis 2014 verstärkt bekämpft werden müssen, um sie zu Verhandlungen zu zwingen, dass afghanische Spezialkräfte unverzüglich ausgebildet werden müssen, um bis 2014 hinreichend einsatzbereit zu sein und dass die westlichen Staaten sich darauf einstellen müssen, auch nach 2014 Afghanistan beim Kampf gegen die Terroristen zu unterstützen und so gleichzeitig westlichen Aufbauhelfern, militärisch und zivil, Minimalschutz gewährleisten zu können.

Politische und militärische Erfolge beim Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan erfordern aber ein ganzes Bündel von Maßnahmen:

1. Karsai und seine Regierung müssen sich öffentlich und ehrlich zur Notwendigkeit der aktiven Bekämpfung der Taliban bekennen. Dazu gehört, dass die afghanischen Behörden Spezialeinsätze unterstützen und nicht behindern, hintertreiben oder öffentlich verurteilen. Wenn im deutschen Verantwortungsbereich in Nordafghanistan innerhalb von drei Monaten bei 1410 Operationen der US-Spezialkräfte gegen die Taliban 2169 Personen festgenommen wurden, dann ist das keine schlechte sondern eine gute Nachricht, auch wenn bei den Einsätzen 485 schuldige, aber leider auch unschuldige Menschen starben. Das erfolgreiche Zurückdrängen der Taliban zum Beispiel im Raum Kunduz erfordert nun einmal den massiven Einsatz militärischer Mittel dort, wo sich Taliban verstecken, in Dörfern und hinter der Zivilbevölkerung.

2. Die Ausbildung afghanischer Spezialkräfte zur Terrorbekämpfung sollte verstärkt in Angriff genommen werden, um bis 2014 solche Truppen in hinreichender Zahl und mit ausreichendem Ausbildungsstand verfügbar zu haben.

3. Die Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Kampf gegen die Terroristen müssen verbessert werden. Da die Taliban aus der Mitte der Bevölkerung operieren, müssen alle Maßnahmen der Bekämpfung der radikalen Islamisten begleitet werden durch vertrauensbildende Unterstützungsleistungen für die Bevölkerung. Außerdem müssen Korruption, Drogenhandel und Verbrecherbanden, die weiterhin das alltägliche Leben in vielen Regionen bestimmen und die Operationen der Taliban begünstigen sowie finanzieren, nachhaltig bekämpft werden.

4. Die Spezialkräfte der internationalen Staatengemeinschaft sollten bis 2014 mit allen zulässigen Mitteln und nach allen Regeln der militärischen Kunst Talibanstrukturen zerschlagen und so einen Beitrag zur Verbesserung der Verhandlungsbereitschaft der Taliban leisten. Die Soldaten des KSK, die in der Task Group 47 zur Terrorbekämpfung in Nordafghanistan beitragen, sollten für eine erfolgreiche Auftragserfüllung angemessen ausgerüstet werden und keinen Einsatzbeschränkungen unterliegen. Wenn deutsche Soldaten an einem „nichtinternationalen bewaffneten Konflikt“ – allerdings mit internationaler Beteiligung - beteiligt sind, dann sollten sie unter solchen kriegsähnlichen Zuständen militärische Mittel im Rahmen der jeweiligen Befehlslage nach Maßgabe des Rechts des bewaffneten Konflikts anwenden dürfen. Dazu gehört auch das gezielte Töten von Taliban.

5. ISAF sollte ein Konzept für die Terroristenbekämpfung für ganz Afghanistan bis 2014 sowie danach erarbeiten und dann gemeinsam nach diesem Konzept handeln. Erst wenn alle gemeinsam wissen, was in der Terrorbekämpfung landesweit in Afghanistan zu leisten ist, und dementsprechend Spezialkräfte eingesetzt werden, können die "Frontlinien im Kampf gegen den Terrorismus" nach 2014 für die afghanischen Sicherheitskräfte kurz gehalten werden.

Der ISAF-Oberbefehlshaber John Allen hat angekündigt, dass angesichts der Truppenreduzierung „Antiterror-Operationen, insbesondere diese Art der Spezialeinsätze, eine prominente Rolle spielen werden“. Wenn Antiterror-Operationen nicht nur prominent sondern auch wirksam und erfolgreich sein sollen, dann kann man nicht früh genug anfangen, die für verstärkte Operationen erforderlichen Kräfte verfügbar zu machen und effektiv einzusetzen.

(05.12.2011)

 

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