Hans-Heinrich Dieter

Islamisierung in Syrien   (12.10.2013)

 

Es war schon immer schwierig, die „Opposition“ im syrischen Bürgerkrieg zu definieren und zu bewerten. Für den Westen ist es schwer, in dieser Gemengelage von unzähligen, teilweise zerstrittenen Gruppen von Freiheitskämpfern, Rebellen, Dschihadisten, Terroristen, Al-Kaida-Kämpfern verlässliche Ansprechpartner für Unterstützungsmaßnahmen zu finden. Nun wird es geradezu unmöglich die „Opposition“ zu unterstützen, ohne Gefahr zu laufen, sich der Kollaboration mit Terroristen und Islamisten schuldig zu machen.

Wie in anderen Bürgerkriegen gibt es auch in Syrien zwei Lager von Bürgern. Die einen unterstützen das Regime aus politischer Ãœberzeugung, oder um ihren Besitz bzw. ihre gesellschaftliche Stellung zu erhalten, andere wie Schiiten, Christen und Alawiten wollen von Assad und seinen Sicherheitskräften vor Sunniten, Islamisten und Terroristen geschützt werden, weil sie um ihr Leben und das ihrer Kinder fürchten. Das andere „Lager“ will Assad stürzen und die politischen Machtverhältnisse und religiösen Verantwortlichkeiten verändern.

Das „Lager“ der „Opposition“ ist aber kein Lager, sondern ein Sammelsurium unterschiedlicher Gruppen, Gruppierungen und paramilitärischer Verbände, die sich derzeit neu strukturieren. Zu Beginn des Aufstandes gegen das Regime Bashar-al-Assads im Frühjahr 2011 wurde die Rebellion noch von Teilen der Zivilbevölkerung getragen und auch geprägt. Heute ist der syrische Bürgerkrieg zunehmend ein Bürgerkrieg verfeindeter arabischer ethnischer und religiöser Gruppen unter massiver Einflussnahme von oft nicht-syrischen islamistischen Organisationen und Terrorgruppierungen. Vor einigen Monaten kämpfte die Al Kaida nahestehende Nusra-Brigade noch ziemlich isoliert und es gab noch relativ wenige als radikal-islamistisch einzustufende Rebellengruppen. Heute dominieren in einigen Regionen islamistische Rebellenverbände das Kampfgeschehen in der Bevölkerung und aus der Bevölkerung heraus.

Ein vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung ist der Zusammenschluss von 43 Einheiten radikalislamischer syrischer Rebellen im Großraum Damaskus zur „Armee des Islam“ unter der Führung von Kommandeur Sahran Allusch. Darüber hinaus haben sich 13 nordsyrische Rebellen-Verbände zu einer neuen islamistischen „Nordallianz“ zusammengeschlossen. Diese Rebellen agieren in einem „islamischen Rahmen“ und streben die Einführung der Scharia als einzige Rechtsgrundlage eines zukünftigen Syriens an. Und sehr selbstbewusst kündigten diese 13 nordsyrischen Verbände - darunter auch die Nusra-Brigade - der „Syrischen Nationalen Koalition“, die ja die politischen Belange der syrischen Opposition gegenüber dem Ausland vertreten soll, ihre Loyalität auf. Die „Freie Syrische Armee“, deren als gemäßigt eingestufte Kämpfer der Westen mehr oder weniger unterstützt, verliert ständig an Bedeutung. Eine politische Lösung des Syrien-Konfliktes wird angesichts dieser zunehmenden Islamisierung aktiver Kampfverbände leider immer weniger wahrscheinlich - trotz der begonnenen Vernichtung des Chemiewaffen-Arsenals und der avisierten Konferenz in Genf.

Nach Angaben von Human Rights Watch haben bereits im August dieses Jahres Aufständische und Dschihadisten in mehreren alawitischen Dörfern in der Provinz Latakia 190 Menschen getötet, 67 davon regelrecht hingerichtet. 18 Rebellengruppen sollen an der Aktion beteiligt gewesen sein, die „Federführung“(?) habe bei fünf islamistischen Gruppierungen gelegen. Wenn die von den Golfstaaten, allen voran Katar und Saudi-Arabien, mit viel Geld und Waffen geförderte Islamisierung der Gegner Assads Raum greift und sich die religiös motivierten Verbände und Gruppen noch weitergehend organisieren und strukturieren, dann könnten die Islamisten die Herrschaft in Syrien schließlich an sich reißen und einen Gottesstaat auf der Grundlage der Scharia errichten. Dann ist eine humanitäre Katastrophe für die „nichtgläubigen“ Alawiten, Christen und Sunniten zu befürchten.

Die starke Islamisierung des syrischen Bürgerkrieges macht erneut deutlich, dass dieser Konflikt ein sehr arabisches/muslimisches Problem ist, das nur durch eine Kraftanstrengung der arabischen/muslimischen Welt - humanitär und logistisch unterstützt durch die UN und die EU - gelöst werden kann.

(12.10.2013)

 

 

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