Hans-Heinrich Dieter

Interventionstruppe? (02.07.2012)

 

Verteidigungsminister de Maizière hat sich in einem Interview mit dem MDR-Hörfunk am 01.07.2012 dafür stark gemacht, dass Deutschland angesichts der sicherheitspolitischen Weltlage seine internationale Verantwortung als Führungsmacht in Europa weltweit wahrnimmt. Er will mit diesem Appell auch die gesellschaftliche Debatte über eine Ausweitung der Bundeswehreinsätze anregen und Tabus für Auslandseinsätze der Bundeswehr abbauen. Das ist im Hinblick auf das deutsche gesellschaftliche Desinteresse bezüglich sicherheitspolitischer Problemstellungen sicher ein richtiger und wichtiger Anstoß.

Der Minister hält Auslandseinsätze der Bundeswehr grundsätzlich überall für möglich und macht das von Entscheidungskriterien sowie Einzelfallentscheidungen abhängig. Bei Entscheidungen über Auslandseinsätze müsste auch die Frage beantwortet werden: "Richtet ein militärischer Einsatz mehr Schaden als Nutzen an?" Und dann meinte de Maizière gegenüber dem MDR in diesem Zusammenhang, prinzipiell gebe es keinerlei Regionen, in denen Deutschland nichts zu suchen habe. Das ist allerdings in hohem Maße diskussionswürdig.

Deutschland ist Mitglied der NATO als militärisches Verteidigungsbündnis und Wertegemeinschaft westlicher Demokratien. Wenn Deutschland mit der Bundeswehr auf der Grundlage eines Mandates der UNO im Rahmen der NATO einen Beitrag zur Lösung sicherheitspolitischer Probleme leisten soll, dann sollte das Engagement den Zielen und Werten unserer Gemeinschaft aus Demokratien entsprechen. In Bürgerkriegen wie in Libyen oder Syrien, die nicht zur Erreichung unserer Ziele und Werte geführt wurden/werden, hat die Bundeswehr m. E. nichts zu suchen, denn deutsche Streitkräfte dürfen nicht „Bürgerkriegspartei“ werden. In regionalen Konflikten, die in starkem Maße religiös oder kulturell geprägt und von archaischen Clan- oder Stammesinteressen beeinflusst sind, sollten Soldaten der Bundeswehr nicht eingesetzt werden, denn die betroffenen Menschen wollen in der Regel nach ihrer eigenen Vorstellung die Zukunft gestalten und brauchen dazu keine - wie sie es empfinden mögen - aufklärerischen „Kreuzritter“ oder „Besatzer“. Nach diesen Kriterien hat die Bundeswehr in keinem Konflikt eines muslimischen Landes etwas zu suchen. In solchen Ländern sollte sich Deutschland prinzipiell mit diplomatischen Mitteln, Hilfsmaßnahmen und Entwicklungshilfe, aber nicht militärisch engagieren. Warum sollten wir auch militärisch einer möglichen Islamisierung oder der Verbreitung der Scharia als Rechtsordnung Vorschub leisten?

In Konflikten der arabischen und muslimischen Welt muss vielmehr die Arabische Liga oder auch die Afrikanische Union Verantwortung übernehmen und dieser Verantwortung dann auch real gerecht werden. Die Lage in Syrien ist da ein gutes Beispiel. Große Teile der arabischen Welt sind verständlicherweise mit den Bemühungen der Weltgemeinschaft und den Ergebnissen der Genfer Syrien-Konferenz vom Wochenende unzufrieden. Heute beraten Vertreter syrischer Oppositionsgruppen in der ägyptischen Hauptstadt Kairo unter Vermittlung der Arabischen Liga über die Zukunft Syriens. Die teilweise zerstrittenen und von der Zielsetzung her sehr heterogenen Gruppen der Opposition wollen nun den militärischen Kampf verstärken und die Deserteure unterstützen – also den Bürgerkrieg anheizen. Die Arabische Liga kennt die unterschiedlichen Gruppierungen der Opposition und ihre Ziele besser als die westliche Welt und sie wird wissen, was für die Region langfristig am besten ist. Wenn die westliche Welt die Opposition militärisch und durch Waffenlieferungen unterstützt, dann unterstützt sie auch, möglicherweise unwissentlich, verbrecherische Gruppierungen – denn nicht nur Assad und sein Militär verüben Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen an der eigenen Bevölkerung – und sie leistet gleichzeitig einen Beitrag zur Verschlechterung der Lage der christlichen Minderheit und der für die Zukunft des Landes wichtigen syrischen Mittelschicht. In einer solchen politischen Gemengelage hat die Bundeswehr nichts zu suchen.

Und so richtig es ist, dass der Verteidigungsminister die deutsche Bevölkerung darauf vorbereitet, dass Deutschland auch mit dem Mittel der Interventionstruppe Bundeswehr seiner weltweiten Verantwortung als Führungsmacht in Europa in Zukunft gerecht werden muss und es an Solidarität bei Mandaten der UN im Rahmen der NATO nicht fehlen lassen darf, so wichtig ist es auch, die Voraussetzung für die Wahrnehmung weltweiter militärischer Verantwortung zu schaffen. Solange der Bundeswehr adäquat leistungsfähige Aufklärungs- und Führungsmittel, Rettungshubschrauber, Kampfhubschrauber, geschützte Fahrzeuge und Lufttransportkapazität für eigenverantwortliche Einsätze fehlen, muss das Ergebnis der nüchternen Lagebeurteilung lauten: Der Interventionstruppe Bundeswehr fehlen derzeit noch wichtige Fähigkeiten zur Wahrnehmung der angestrebten weltweiten militärischen Verantwortung. Und solange die Voraussetzungen nicht gegeben sind, "Richtet ein militärischer Einsatz mehr Schaden als Nutzen an", hauptsächlich für die eigenen Soldaten.

(02.07.2012)

 

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