Hans-Heinrich Dieter

 

Hydra Al-Kaida (19.05.2012)

 

SPD-Fraktionschef Steinmeier glaubte nach der Erschießung des Al-Kaida-Chefs im Mai 2011, dass “nachdem die Terrororganisation ihren führenden Kopf verloren hat, … die geplante Beendigung des Einsatzes realistischer" wird. Der ehemalige Außenminister meinte darüber hinaus, dass der Tod Bin Ladens die Integration jener Afghanen erleichtert, die sich vom Terrorismus lösen und in die Gesellschaft zurückkehren wollen. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sah das ähnlich und hat die Hoffnung, „dass jetzt auch eine politische Lösung des Afghanistankonflikts leichter wird.“ Im Mai 2012 wissen wir, dass die erfolgreiche Beendigung des Afghanistan-Einsatzes nicht realistischer geworden ist, die Eingliederung von kriegsmüden Taliban nicht richtig gelingen will und sich keinerlei Erleichterung im Hinblick auf eine politische Lösung des Afghanistan-Konfliktes abzeichnet. Die vielfachen, afghanistanweiten Operationen der Taliban, darunter auch der Anschlag in Taloqan, haben sehr deutlich gezeigt, dass die radikalen Islamisten wegen des Todes der Symbolfigur der Al- Kaida wohl kaum die weiße Flagge hissen wollten und wollen. 2011 war ein blutiges Jahr in Afghanistan mit spektakulären Anschlägen. Und Al-Kaida hat eine neue Führung, ist weiterhin weltweit aktiv und baut gerade sein Netzwerk in Nordafrika erfolgreich aus.

Mit Illusionen hat Rot-Grün den deutschen Afghanistan-Einsatz begonnen, mit Illusionen hinsichtlich der realen Bedeutung der Tötung Bin Ladens für die Zukunft Al-Kaidas und in Bezug auf eine baldige erfolgreiche Aussöhnung mit den Taliban wird er fortgesetzt. Mit dem Hang zur Vermarktung von Illusionen sind deutsche Politiker aber beileibe nicht alleine.

Am 02.Mai 2012, ein Jahr nach der Tötung von Terrorchef  Bin Laden meinte US-Präsident Barack Obama bei einem Afghanistan-Besuch feststellen zu sollen, nach verlustreichen Jahren sei das Ziel, das Terrornetzwerk Al-Kaida zu besiegen, nun in greifbare Nähe gerückt und sagte „Unser Ziel ist es, die Al-Kaida zu zerstören, und wir sind auf dem Weg, genau das zu tun.“ Obama ist im Wahlkampf und der Al-Kaida Führer Bin Laden war im manchmal diffusen Anti-Terror-Krieg der USA nach 9/11 das Feindbild Nr.1. Da möchte sich der US-Präsident natürlich im Wahlkampf mit der Tötung des Top-Terroristen brüsten und die „Zerstörung Al-Kaidas“ als seinen Erfolg vermarkten. Und die Amerikaner lassen sich offenbar nur allzu gerne von solchen Illusionen einlullen und von Zweckoptimismus verführen. Obama will die USA und die Welt einfach glauben machen, die Tötung Bin Ladens sei ein entscheidender Schlag gegen Al-Kaida gewesen und die Welt seitdem sicherer geworden. Terrorismus und Al-Kaida taugen aber nicht als Wahlkampfthema.

Einen entscheidenden Schlag kann man nur gegen eine straffe Terror-Organisation führen. Al-Kaida war aber schon immer ein Terror-Netzwerk, zu dem sich regionale oder ethnisch orientierte Terror-Gruppen der arabischen und muslimischen Welt bekannten, ohne von Bin Laden oder jetzt Al Zawahiri direkt geführt zu werden.

Terror-Gruppierungen, die sich zu Al-Kaida bekannten oder noch bekennen, waren und sind im Irak aktiv, beeinflussen direkt oder indirekt den israelisch-palästinensischen Konflikt, rekrutieren im Jemen und im Maghreb, beeinflussen den „Arabischen Frühling“ und es spricht alles dafür, dass Al-Kaida-Bekenner in der westlichen Welt als „Schläfer“ leben und in islamistischen Vereinigungen der Salafisten und Dschihadisten  um Nachwuchs werben. In dem idealen Rückzugs- und Trainingsgebiet Somalia hat sich die  radikalislamische Miliz al-Schabab inzwischen als afrikanischer Ableger des Terrornetzwerkes Al-Kaida etabliert und gilt inzwischen als wichtige Trainingsstätte für Dschihad-Kämpfer aus Europa. Al-Kaida beeinflusst auch weiterhin die Taliban in Pakistan und Afghanistan. Und auch wenn immer wieder einmal auch höhere Al-Kaida-Führer durch US-Kampfdrohnen getötet werden, hat sich die Lage in Afghanistan und in den Grenzgebieten Pakistans hinsichtlich der Wirksamkeit der Taliban nicht gebessert. Das Netzwerk Al-Kaida lebt und auch wir im Westen leben in der konkreten Gefahr, heute oder morgen Opfer von Anschlägen zu werden.

In Syrien herrscht seit Monaten mehr oder weniger offener Bürgerkrieg. Al-Kaida hat sich inzwischen mit der immer noch zerstrittenen Opposition solidarisch erklärt und will unterstützen und auch die Hamas, die noch bis vor kurzem von Damaskus aus operieren durfte, kündigte nun Unterstützung für die Regime-Gegner an. Hamas-Ministerpräsident Hanija lobte kürzlich „das mutige syrische Volk, das sich auf Demokratie und Reform zubewegt“. Und nach Einschätzung von UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon spielt Al-Kaida in diesem Bürgerkrieg eine zunehmend einflussreiche Rolle. Man geht seitens der UN inzwischen sogar davon aus, dass Al Kaida für den verheerenden Doppelanschlag in Damaskus vor zwei Wochen verantwortlich ist.

Und nun ruft Al-Kaida-Chef Sawahiri gar die islamischen Brüder in Saudi-Arabien zum Aufstand gegen das saudische Herrscherhaus auf. Und wenn sich Präsident Obama wiederum im Wahlkampf damit brüstet, dass die CIA durch einen Doppelagenten einen Bombenanschlag Al-Kaidas gegen ein US-Flugzeug verhindert hat, dann heißt das aber auf der anderen Seite, dass Al-Kaida lebt, aktiv bleibt und weiterhin weltweit sehr gefährlich ist oder werden kann. Anders als der Wahlkämpfer glauben machen will, ist die westliche Welt noch sehr weit davon entfernt, Al-Kaida zerstört zu haben. Das Ziel, Al-Kaida weitergehend unschädlich zu machen, muss uns also auch in Zukunft jede Anstrengung wert sein.

Und da kritisiert Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière die amerikanischen Operationen, mit Kampf-Drohnen Terroristen und Taliban-Kämpfer gezielt zu töten als "strategischen Fehler". Im Rahmen einer Veranstaltung des deutschen Reservistenverbandes hält er es für unklug, dass US-Piloten von den USA aus solche Einsätze durchführen. Solche Kritik eines deutschen Ministers ist etwas vermessen, denn Deutschland hat solche Mittel und Möglichkeiten der gezielten Waffenwirkung auf der Grundlage von validen Aufklärungsergebnissen nicht, und das Mandat deutscher Soldaten schließt solche „gezielte Tötungen“ aus. Wir lassen, wie schon häufiger in der Vergangenheit, die durchaus erforderliche „Schmutzarbeit“ andere machen. Die USA stehen wenigstens zu ihren Zielen und sind konsequent. Deswegen sagt der US-Sicherheitsberater Anfang Mai deutlich:  "Ja, die US-Regierung führt gezielte Angriffe gegen spezifische Al-Kaida-Terroristen durch, in voller Ãœbereinstimmung mit dem Gesetz - und um Terroranschläge gegen die USA zu verhindern und amerikanische Menschenleben zu retten".

Richtig an der Kritik ist, dass solche Drohnenangriffe natürlich nur ein Teil eines ganzen Maßnahmenpaketes sein dürfen. Nachhaltige Erfolge beim Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan erfordern politische und militärische Maßnahmen:

1. Karsai und seine Regierung müssen sich öffentlich und ehrlich zur Notwendigkeit der aktiven Bekämpfung von Al-Kaida und der Taliban bekennen. Dazu gehört, dass die afghanischen Behörden Spezialeinsätze unterstützen und nicht behindern, hintertreiben oder öffentlich verurteilen. Wenn 2011 im deutschen Verantwortungsbereich in Nordafghanistan innerhalb von drei Monaten bei 1410 Operationen der US-Spezialkräfte gegen die Taliban 2169 Personen festgenommen wurden, dann ist das keine schlechte sondern eine gute Nachricht, auch wenn bei den Einsätzen 485 schuldige, aber leider auch unschuldige Menschen starben. Das erfolgreiche Zurückdrängen der Taliban zum Beispiel im Raum Kunduz erfordert nun einmal den massiven Einsatz militärischer Mittel dort, wo sich Taliban verstecken, in Dörfern und hinter der Zivilbevölkerung.

2. Die Ausbildung afghanischer Spezialkräfte zur Terrorbekämpfung sollte verstärkt in Angriff genommen werden, um bis 2014 solche Truppen in hinreichender Zahl und mit ausreichendem Ausbildungsstand verfügbar zu haben. Afghanische Spezialkräfte dürfen sich dann aber auch dem Kampf bei Nacht und in Dörfern gegen Terroristen nicht verweigern.

3. Die Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Kampf gegen die Terroristen müssen verbessert werden. Da die Taliban aus der Mitte der Bevölkerung operieren, müssen alle Maßnahmen der Bekämpfung der radikalen Islamisten begleitet werden durch vertrauensbildende Unterstützungsleistungen für die Bevölkerung. Außerdem müssen Korruption, Drogenhandel und Verbrecherbanden, die weiterhin das alltägliche Leben in vielen Regionen bestimmen und die Operationen der Taliban begünstigen sowie finanzieren, nachhaltig bekämpft werden.

4. Die Spezialkräfte der internationalen Staatengemeinschaft sollten bis 2014 mit allen zulässigen Mitteln und nach allen Regeln der militärischen Kunst Al-Kaida-Gruppierungen und Talibanstrukturen zerschlagen und so einen Beitrag zur Verbesserung der Verhandlungsbereitschaft der Taliban leisten. Die Soldaten des KSK, die in der Task Group 47 zur Terrorbekämpfung in Nordafghanistan beitragen, sollten für eine erfolgreiche Auftragserfüllung angemessen ausgerüstet werden und keinen Einsatzbeschränkungen unterliegen. Wenn deutsche Soldaten an einem „nichtinternationalen bewaffneten Konflikt“ – allerdings mit internationaler Beteiligung - beteiligt sind, dann sollten sie unter solchen kriegsähnlichen Zuständen militärische Mittel im Rahmen der jeweiligen Befehlslage nach Maßgabe des Rechts des bewaffneten Konflikts anwenden dürfen. Dazu gehört auch das gezielte Töten von Taliban.

5. ISAF sollte ein Konzept für die Terroristenbekämpfung für ganz Afghanistan und im engen Zusammenwirken mit Pakistan bis 2014 sowie danach erarbeiten und dann gemeinsam nach diesem Konzept handeln. Erst wenn alle gemeinsam wissen, was in der Terrorbekämpfung landesweit in Afghanistan und in den Grenzgebieten Pakistans zu leisten ist, und dementsprechend Spezialkräfte und -mittel eingesetzt werden, können die "Frontlinien im Kampf gegen den Terrorismus" nach 2014 für die afghanischen Sicherheitskräfte verkürzt werden.

Und wenn in Afghanistan und in den Grenzgebieten Pakistans der Hydra aus Al-Kaida-Terroristen und Taliban einige Köpfe erfolgreich abgeschlagen sind, dann wachsen sie im Maghreb oder in Syrien oder in den islamistischen Gruppierungen der westlichen Welt nach. Deswegen dürfen wir uns keinen Illusionen hingeben und keinen Zweckoptimismus pflegen, sondern müssen an realen Gefahren orientiert alle rechtlich zulässigen Mittel wehrhafter Demokratien einsetzen, um die Sicherheit unserer Bevölkerung zu gewährleisten.

(19.05.2012)

 

 

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