Hans-Heinrich Dieter

Hirntod der NATO?   (08.11.2019)

 

PrĂ€sident Macron hat bisher innen-, sozial- und wirtschaftspolitisch mehr oder weniger versagt. Davon – und vom schlechten strukturellen und wirtschaftlichen Zustand Frankreichs - will er ablenken, wenn er zu stark ĂŒberspitzt sagt: „Was wir gerade erleben, ist fĂŒr mich der Hirntod der NATO.“

Macron hat Recht, wenn er die TĂŒrkei fĂŒr ihr „unkoordiniertes, aggressives Vorgehen“ gegen die Kurden in Nordsyrien scharf kritisiert. Besser wĂ€re es gewesen, wenn er auch die tĂŒrkische Völkerrechtsverletzung durch den Angriff auf Syrien beim Namen genannt hĂ€tte.

Macron hat Recht, wenn er feststellt, dass der politisch sehr unerfahrene und intellektuell ziemlich ĂŒberforderte amerikanische PrĂ€sident „unsere Idee des politischen Projekts“ NATO nicht teilt, wenn er seine politischen GefĂŒhlsausbrĂŒche – wie zuletzt in Syrien – unabgesprochen und zum Nachteil Europas in abruptes, erratisches politisches Handeln umsetzt und dabei den europĂ€ischen Teil der NATO eher als Gegner denn als Partner begreift.

Dieses destruktive Verhalten des PrĂ€sidenten der USA und der TĂŒrkei macht die NATO allerdings nicht „hirntot“. Die TĂŒrkei erweist sich allerdings als unwĂŒrdiges und untaugliches NATO-Mitglied von geostrategischer Bedeutung. Und die USA unter Trump machen Außenpolitik ohne erkennbaren Plan und ohne hinreichende Absprachen mit Partnern und VerbĂŒndeten sondern mit WutausbrĂŒchen, Drohungen und Erpressungen. Trump bringt durch Protektionismus die Weltwirtschaftsordnung in Unordnung, bricht Wirtschaftskriege vom Zaun und isoliert die USA zunehmend durch sein „America-first-GebrĂŒll“. Dabei agiert der 45. PrĂ€sident der USA als FĂŒhrer der westlichen Welt und einzigen globalen Supermacht politisch so ungeschickt, dass er Amerika nicht „great again“ macht, sondern Tag fĂŒr Tag ein wenig kleiner! Trump unterminiert Tag fĂŒr Tag die herausragende FĂŒhrungsrolle der USA in der Welt und reduziert die Vereinigten Staaten von Amerika Zug um Zug zu einer unsolidarischen und eigensĂŒchtigen Regionalmacht. Auf die westliche FĂŒhrungsmacht – auch der NATO – ist so kein Verlass mehr. Das schwĂ€cht die NATO erheblich, macht sie aber nicht handlungsunfĂ€hig.

Um dieser SchwĂ€che zu begegnen, forderte Macron die EuropĂ€er auf, sich gemeinsam militĂ€risch unabhĂ€ngig von anderen Partnern zu machen. Das klingt ganz gut, ist aber illusionĂ€r. Denn die EuropĂ€ische Union – die EU-Kommission und der EuropĂ€ische Rat - sind strukturell nicht entscheidungs- und handlungsfĂ€hig, haben keine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und auch keinen Zukunftsplan. Und die EU-Mitgliedstaaten haben sehr unterschiedliche Vorstellungen von der zukĂŒnftigen EU, verhalten sich zunehmend unsolidarisch und einige sogar nationalistisch. Von einer EuropĂ€ischen Verteidigungsgemeinschaft ist die EU sehr weit entfernt.

Deswegen muss die EU zunĂ€chst eine wirksame und starke gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik entwickeln. Dann muss die EU-Kommission, mit UnterstĂŒtzung von Deutschland und Frankreich und in enger Zusammenarbeit mit der NATO, endlich eine solche Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik definieren, formulieren und verabschieden. Und dann sollten nicht Frankreich und gegebenenfalls auch Deutschland zukĂŒnftig einen stĂ€ndigen Sitz im Weltsicherheitsrat haben, sondern die EU sollte die EuropĂ€ische Union auch dort stĂ€ndig vertreten. Insbesondere nach einem Brexit ist außerdem keine vertiefte sicherheitspolitische Zusammenarbeit Frankreichs und Deutschlands in der EU gefragt, sondern deren vertiefte Zusammenarbeit in der NATO, auch bei der Vertretung europĂ€ischer Interessen. Trump ist – Gott sei Dank – nicht die USA. Deswegen funktioniert ja die Zusammenarbeit in der NATO auf „Arbeitsebene“ mit den USA gut. Die USA verstĂ€rken sogar derzeit ihr Engagement hauptsĂ€chlich in Osteuropa. Das ist gut so, denn die USA sind noch auf nicht absehbare Zeit fĂŒr die Sicherheit Europas unverzichtbar, schon aufgrund ihrer einzigartigen Interventions- und NuklearkapazitĂ€ten. Die französische „Force de frappe“ hat nicht einmal im Ansatz vergleichbare FĂ€higkeiten.

Die AbhĂ€ngigkeit von den USA bleibt Tatsache und deswegen ist die Sicherheit Europas nur durch eine handlungsfĂ€hige Union in engem Zusammenwirken mit einer gestĂ€rkten NATO zu gewĂ€hrleisten. Das heißt aber auch, dass alle NATO-Partner ihre Verpflichtungen im Hinblick auf die BĂŒndnisverteidigung gemĂ€ĂŸ NATO-Vertrag erfĂŒllen – auch im Hinblick auf die vereinbarten Verteidigungsinvestitionen!

(08.11.2019)

 

Bei Interesse lesen Sie auch:

http://www.hansheinrichdieter.de/html/erpressungersetztpolitik.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/machtloseeu.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/ohnmaechtigeeu.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/richtigeeuropaeischearmee.html

 

 

nach oben

 

zurĂŒck zur Seite Klare Worte