Hans-Heinrich Dieter

Guerilla-Taktik (17.06.2011)

 

Der Druck auf die Taliban im Norden Afghanistans ist offenbar leider nicht so groß, dass die islamistischen Terroristen "zunehmend in ein subversives Vorgehen ausweichen" müssten. Die Taliban wenden schlicht und einfach Guerilla-Taktiken an. Versteckte Sprengsätze und vergrabene Sprengfallen sind "normaler" Teil solcher Taktiken. Wirklich komplexe Gefechte sind auch in der Vergangenheit nicht bekannt geworden und es ist eher naiv zu glauben, dass sich islamistische Terroristen - quasi ritterlich - der offenen militärischen Konfrontation stellen. Das wäre auch aus militärischer Sicht ziemlich dumm von den Taliban. Deswegen findet in Afghanistan auch kein Strategiewechsel statt, sondern gut kalkuliertes - und leider von den Taliban bestimmtes - business as usual: Angst und Schrecken verbreiten, das Vertrauen in staatliche Strukturen und afghanische Sicherheitskräfte untergraben und den "Besatzern" möglichst spektakuläre Verluste zufügen.

Die Taliban haben in diesem kleinen Krieg einen großen taktischen Vorteil, sie haben Zeit. Sie können ihre Kräfte einteilen, im Zusammenhang mit dem Zeitplan der Ausdünnung und dann des Rückzuges der NATO-Truppen Schwerpunkte bilden und eine Region nach der anderen wieder unter ihre Kontrolle bringen, staatliche Strukturen bedrohen und unterwandern, sowie die Bevölkerung einschüchtern und auf ihre Seite zwingen.

Die westliche Staatengemeinschaft hingegen hat sehr wenig Zeit. Die in Afghanistan engagierten Nationen haben sich zum großen Teil auf Termine für die Übergabe von Verantwortung an afghanische Institutionen und Sicherheitskräfte festgelegt und den Abzug ihrer Kampftruppen terminiert. Die heimischen Bevölkerungen der NATO-Staaten sind gegen diesen Krieg oder kriegsmüde und außerdem wird der Krieg zu einer immer größeren finanziellen Belastung in teilweise krisenhaften Finanzsituationen. Gleichwohl beteuern die teilnehmenden Staaten, dass sie ihrer Verantwortung für die afghanische Bevölkerung gerecht werden wollen. Hier entsteht ein immer größer werdendes Dilemma.

Es gibt keinen Königsweg für eine verantwortbare "Übergabe der Verantwortung" in 2014. Eher passives Warten auf Sprengattacken der Taliban oder den Sprengfallen lediglich ausweichen führt nicht zum Ziel, insbesondere wenn mit einem Anstieg der Zahl der Bombenanschläge zu rechnen ist. Die Terroristen müssen mit offensiver Counter-Guerilla und Counter-Insurgency aktiv nach allen Regeln und mit allen Mitteln der Kriegskunst bekämpft werden. Dazu müssen aber auch die erforderlichen Kräfte und überlegene Mittel für erfolgreiche Kriegskunst bereitgestellt werden.

Da ein Anti-Guerillakampf mit militärischen Mitteln allein nur schwer - wenn überhaupt - zu gewinnen ist, müssen parallel politische, wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Maßnahmen greifen. Die Zivilgesellschaft muss gegen die Einflussnahme der Taliban widerstandsfähiger gemacht werden, das bedeutet soziale und medizinische Unterstützung, erfolgreiche Aufbaumaßnahmen, Verbesserung der Ausbildungsmöglichkeiten besonders für Mädchen, etc. aber vor allem auch Vermeidung von Verlusten der Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen gegen die Taliban. Die Sicherheitsstrukturen müssen besser gegen Unterwanderung geschützt werden. Die Korruption muss allgemein massiv bekämpft und die Anfälligkeit des Sicherheitspersonals dafür durch bessere Besoldung reduziert werden. Das Drogengeschäft muss drastisch zurückgefahren werden, um so gleichzeitig eine wesentliche Geldquelle der Terroristen auszutrocknen. Es muss auf jeden Fall, und möglicherweise offensiv, verhindert werden, dass Regionen, die in die Verantwortung der afghanischen Sicherheitsbehörden gegeben wurden, in die Hände der Taliban zurückfallen. Dazu braucht man leistungsfähige Aufklärungsmittel und hochmobile Reserven.

Eine nachhaltig positive Lösung des Konfliktes ist letztendlich nur politisch zu erreichen. Und vor der politischen Stabilität Afghanistans stehen Verhandlungen mit den Clans, Volksstämmen, Warlords und natürlich auch mit den Taliban. Solche Verhandlungen werden aber nicht zu befriedigenden Kompromissen führen, wenn die Taliban aus einer Position der Stärke Forderungen stellen können. Deswegen ist eine offensive militärische Bekämpfung der islamistischen Taliban eine Voraussetzung für die Befriedung Afghanistans.

(17.06.2011)

 

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