Hans-Heinrich Dieter

 

Frühjahrsoffensive der Taliban (15.04.2012)

 

Den Auftakt machten die radikalislamistischen Taliban im Nordwesten Pakistans. Am Wochenende haben schwer bewaffnete und gut ausgerüstete Kämpfer einen offenbar langfristig geplanten Angriff auf ein Gefängnis geführt und mehr als 380 Häftlinge befreit. Die Taliban konnten ungehindert Straßensperren um das Gefängnis errichten und sind, ohne dass die Polizei eingegriffen hat, dann durch den Haupteingang eingedrungen. Taliban-Sprecher Ihsanullah Ihsan zur Folge ist auch ein wichtiger Führer der Terroristen frei gekommen. Pakistan bekommt die Taliban nicht in den Griff, dazu haben die Islamisten offensichtlich immer noch zu viele Unterstützer in Armee und Geheimdienst.

Am Sonntag kam es zu einer koordinierten Serie von Anschlägen in der afghanischen Hauptstadt Kabul und in mehreren Städten der Provinzen. Ziele waren unter anderem die deutsche, die russische und die britische Botschaft, der Präsidentenpalast, das Parlament und ein US-Militärlager. Die radikalislamistischen Taliban haben inzwischen die Verantwortung für die landesweit abgestimmte Anschlagsserie übernommen. Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid sprach vom Beginn der Frühjahrsoffensive der Taliban gegen die ausländischen Truppen und die afghanischen Sicherheitskräfte.

Der Schaden, der angerichtet wurde, hält sich den Berichten zur Folge in Grenzen. Die Höhe der Schäden ist allerdings weniger wichtig als die Botschaft der Taliban an die Regierung Karsai und ihre Sicherheitskräfte, an die NATO und vor allem an die afghanische Bevölkerung: Wir sind landesweit zu koordinierten Angriffen fähig, wir haben die Initiative und weitgehende Freiheit des Handelns. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben die Anschlagsserie offenbar nicht verhindern können und vom Eingreifen der ISAF-Truppen wird nichts berichtet.

Dabei sprachen die NATO und auch das deutsche Verteidigungsministerium noch vor kurzem davon, dass die Taliban in der Defensive seien und sie verweisen auf Fortschritte in der Gewährleistung der Sicherheit der Bevölkerung, die den schrittweisen Abzug und die „Übergabe in Verantwortung bis 2014“ rechtfertigen sollen. Und die westliche Welt baut offenbar eher auf die vermeintliche Verhandlungsbereitschaft der für den Krieg wenig relevanten sogenannten moderaten Taliban, als die kriegsentscheidenden radikalislamistischen Taliban wirksam und nachhaltig bekämpfen zu wollen.

Dabei ist die Lage instabil, Afghanistan ein Pulverfass und die zukünftige Entwicklung ist nur schwer zu prognostizieren. Trotzdem sind die Weichen, meist innenpolitisch begründet und deswegen schwer veränderbar, auf zeitlich zementierte Abzugs-Termine und -Fahrpläne gestellt.

Dabei müssten das Pulverfass Afghanistan unter Kontrolle gehalten und die Lunten ausgetreten werden. Deswegen ist es interessant zu beobachten, wie der Auftakt der Frühjahrsoffensive durch die westliche Welt kommentiert wird und vor allem, welche Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Wenn die ISAF zu sehr mit der Organisation des Rückzuges beschäftigt ist und sich in den Lagern verbarrikadiert, wird es schwer werden, bis 2014 die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass eine „Übergabe in Verantwortung“ zu gewährleisten ist.

(15.04.2012)

 

 

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