Hans-Heinrich Dieter

FrĂĽhjahrsoffensive islamistischer Taliban   (22.04.2015)

 

Die afghanische Bevölkerung hat lange unter den Sowjets, den Taliban und unter der korrupten Regierung Karsai gelitten. Heute halten nicht geringe Teile der afghanischen Bevölkerung die westlichen Truppen fĂĽr Besatzer und die Taliban können sich relativ frei in der Bevölkerung bewegen. Das zeigt, dass die Zukunft Afghanistans eher in einem neuen islamistischen Kalifat zu liegen scheint, als in einer sich entwickelnden Demokratie. Die fundamentalistischen Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS) kennen die instabile Lage am Hindukusch und werden sie fĂĽr ihre islamistischen Ziele nutzen und Afghanistan in ein Kalifat verwandeln wollen. Dann wird es auch fĂĽr die Taliban „ungemĂĽtlich", wenn sie sich nicht mit dem IS verbĂĽnden.

Wie in jedem Jahr wollen die Taliban nun ihre Frühjahrsoffensive im Kampf gegen die afghanische Regierung starten. In einer Presse-Mitteilung erklären die Terroristen, "ihr Islamisches Emirat Afghanistan sei entschlossen, den andauernden Dschihad zu verlängern".Hauptziele dieses Dschihads seien die "ausländischen Besatzer", insbesondere ihre Militärstützpunkte, Vertreter der afghanischen Regierung sowie die einheimischen Sicherheitskräfte und Geheimdienste. Die Aktivitäten sollen am Freitag beginnen.

Die Diktion ist vielsagend, weil bisher in Verlautbarungen vom "Islamischen Emirat Afghanistan" und von "Dschihad" keine Rede war. Der IS wirkt sich offenbar schon aus. Mit der Frühjahrsoffensive werden die durch ausländische Extremisten verstärkten Taliban die Sicherheitskräfte testen und sind sich ihres Erfolges wohl ziemlich sicher.

Denn die afghanische Armee und Polizei sind seit geraumer Zeit allein für Sicherheit am Hindukusch verantwortlich. Doch weder die Hilfsorganisationen, die an Entwicklungs- und Wiederaufbauprojekten in der Region arbeiten, noch die eigene Bevölkerung vertrauen den afghanischen Sicherheitskräften. Afghanistan ist in dem Dilemma, dass es souverän und eigenverantwortlich ist, ohne allerdings dieser Verantwortung in absehbarer Zeit gerecht werden zu können. Denn die Qualität der Sicherheitskräfte lässt noch sehr zu wünschen übrig. Die Truppe zeigt sich bisher vielfach unzureichend diszipliniert und auch wenig zuverlässig, weil sie teilweise durch Taliban unterwandert ist. Die Beratung und Ausbildungsunterstützung durch "Resolute Support" kann da die gravierenden Mängel nur allmählich beheben.

2009 kämpften etwa 29.000 Taliban-Islamisten in Afghanistan. Und obwohl US-Spezialkräfte und Kampfdrohnen seit 2010 Hunderte von Taliban ausgeschaltet haben, kämpfen heute am Hindukusch geschätzte 37.000 Taliban gegen die Sicherheitskräfte und terrorisieren die afghanische Bevölkerung. Die Terroristen sind nun meist jünger aber fanatischer. Leistungsfähiger Nachwuchs ist offensichtlich verfügbar. So können die Taliban ihre landesweiten Terroraktivitäten verstärken. Die Taliban haben die Initiative und die afghanischen Sicherheitskräfte infiltriert. Sie sind außerdem für die schlechtbezahlten Sicherheitskräfte als Arbeitgeber attraktiv und gewinnen auch über Desertionen Nachwuchs. Die aktuelle Sicherheitslage ist sehr unbefriedigend mit negativer Tendenz. Afghanistan ist instabil und unsicher.

Der ehemalige und gefährlichste Einsatzort der Bundeswehr, Kunduz, steht beispielhaft für die negative Entwicklung in Afghanistan. Der Vizegouverneur Daneschi stellt heute fest, dass sich die Lage seit dem Abzug der Bundeswehr im Oktober 2013 kontinuierlich verschlechtert hat und warnt vor einer Eroberung der nordafghanischen Provinz durch die Taliban. "Das ist die schlimmste Situation in Kundus seit 2002" fügt er hinzu. Er übertreibt sicher nicht, denn die durch ausländische Extremisten verstärkten einheimischen Taliban kontrollieren offensichtlich inzwischen vier der sechs Distrikte in der Provinz und betreiben sogar Checkpoints vor den Toren der Stadt Kunduz. Das ist das Gegenteil einer Erfolgsgeschichte nach einem langen und in jeder Hinsicht kostspieligen militärischen Kampfeinsatz der internationalen Staatengemeinschaft.

Einer solchen gefährlichen Entwicklung mĂĽsste die westliche Welt eigentlich frĂĽhzeitig entgegenarbeiten, denn islamistischer Terror in gesteigerter Intensität und Qualität in Afghanistan beträfe auch uns in Europa. Aber Afghanistan ist ein souveränes Land und muss sein Schiksal selbst in die Hand nehmen und weitgehend eigenverantwortlich handeln. Die internationale Staatengemeinschaft wollte am Hindukusch demokratische Strukturen schaffen und die Lebensbedingungen der Afghanen verbessern. Die Afghanen hingegen wollen sich – hauptsächlich finanziell und wirtschaftlich - helfen lassen, aber nicht nach westlichen Vorstellungen leben. Der Westen kann also nur eingeschränkt helfen.

Und deswegen sollte Deutschland nach dem langen und wenig erfolgreichen Engagement seit 2001 die Bundeswehr Ende 2016 wie geplant aus Afghanistan abziehen und dann weitere Hilfszahlungen wirklich von konkreten rechtsstaatlichen und wirtschaftlichen Fortschritten abhängig machen und deutsche NGO´s nur noch dann einsetzen, wenn afghanische Sicherheitskräfte tatsächlich eine „ausreichende Sicherheitslage“ garantieren können. Bis Ende 2016 mĂĽssen gegebenfalls die militärischen Fähigkeiten fĂĽr den Eigenschutz der deutschen StaatsbĂĽrger in und ohne Uniform in Afghanistan lageabhängig verstärkt werden.

(22.04.2015)

 

 

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