Hans-Heinrich Dieter

Finanzmoral (15.10.2011)

 

An diesem Wochenende ist G-20-Gipfel. Themen sind natürlich die Euro-/Schulden-/Banken- und Finanz-Krise. Gleichzeitig sind weltweite Demonstrationen für ein gerechteres Finanzsystem geplant, auch in vielen Städten Deutschlands. Die interessierten Menschen werden zudem von der Zeitungs-Ãœberschrift überrascht: „China taumelt dem großen Finanzcrash entgegen“, denn  ein illegales Schattenbankensystem, das Chinas Fabriken am Laufen hält, scheint nun zusammenzubrechen. Gleichzeitig steckt auch das offizielle Bankenwesen Chinas in heftigen Turbulenzen, deren Auswirkungen auf die europäischen Märkte noch nicht absehbar sind. Das passt! Und ich beobachte das Geschehen als engagierter Bürger, Nichtfachmann und Kleinanleger, der mit Aktien auch schon Erfolg hatte aber nun mit vielen anderen zusammen Verluste an der Börse verzeichnet.

Den Finanzmärkten wird unter anderem vorgeworfen, mit ihrem Verhalten Millionen von Menschen in die Armut zu treiben. Die Banken wiederum sehen sich als unschuldige Opfer, die nur für die Versäumnisse der Regierungen bestraft würden, die sie mit ihren Darlehen finanzierten. Die Politiker sehen in den Finanzmanagern vorwiegend Haie oder Heuschrecken und haben zusammen mit vielen Medien Spekulanten als das perfekte Feindbild gemalt, das vom Versagen und Unvermögen der gewählten Politiker ablenken soll. Und die Bürger sind aufgebracht, weil sie nicht zu Unrecht vermuten, dass diese Krise wohl dauerhaft an unserem Wohlstand zehren und zerren wird. Die Menschen zeigen auch in dieser Finanzkrise mit den Fingern aufeinander, dabei hätten wohl alle über die eigene Finanzmoral zu klagen und dabei vor der eigenen Tür mit dem Kehren zu beginnen.

Jeder weiß, dass Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt ist. Wer seine Einkünfte vor dem Staat verbirgt, macht sich strafbar. 250 Milliarden Euro Schwarzgeld sollen deutsche Anleger neuesten Berichten zur Folge in der Schweiz, in Luxemburg und Liechtenstein versteckt haben. Durch säumige Steuerzahler sind dem griechischen Staat nach Angaben von Finanzminister Evangelos Venizelos bisher rund 37 Milliarden Euro an Einnahmen entgangen. Da ist es verständlich, wenn Venizelos Steuerhinterziehung als nationales Verbrechen, ja eine nationale Plage geißelt. 15.000 Griechen will der Fiskus nun zur Kasse bitten. Und in anderen Staaten wird es um die Finanzmoral der Bürger nicht besser aussehen.

Die Banken verdienen kräftig mit hochriskanten Spekulationen, dort wo es erlaubt ist, auch an geradezu als kriminell zu bezeichnenden Leerverkäufen  und natürlich auch an Staatsanleihen, ohne die riskanten Geschäfte mit ausreichend Eigenkapital abgesichert zu haben. Wenn zunehmend in unserer vom Computer beeinflussten Welt nicht nach Marktanalyse, sondern durch mit Algorithmen programmierte Computer in Sekundenschnelle gekauft und verkauft wird, dann bleibt die Finanzmoral leicht auf der Strecke, denn der Algorithmus kennt keine Moral sondern nur Profitmargen. Dabei ist nicht zu verstehen, dass für Finanztransaktionen keine Steuern bezahlt werden müssen, wo doch jede Cola eines Hartz IV-Empfängers zu versteuern ist.

Politiker versäumen es offenbar, verantwortungsbewusste Finanz-Politik zum Wohle des Staates und der Steuerzahler zu machen. Es sind Politiker, die zulassen, dass die Finanzindustrie mit hochspekulativen Finanzprodukten wie Derivaten handelt. Die quasi entfesselten Finanzmärkte brauchen aber offensichtlich genau definierte Fesseln, scharfe Kontrollen und, wenn nötig, auch harte Sanktionen. Es darf nicht sein, dass geldgierige Zocker mangels Gesetzen global unmoralisch agieren und die Politik auf die Finanzmärkte schielend und sich an Börsenstimmungen orientierend nur unzureichend reagiert. Die Politik lässt es doch zu, dass Kreditrisiken zu 100% weitergegeben werden und Spekulanten an den Verlusten nicht hinreichend beteiligt werden. Insgesamt hat es die Politik versäumt, eine wirksame Aufsichtsstruktur zu etablieren. Da wundert es nicht, dass bei so viel offensichtlichem Zusammenspiel zwischen Politik, Bankern und Wirtschaftsführern der Begriff „Finanzmafia“ fällt. Und die derzeitige Krise lässt leider nicht erkennen, dass die „Spieler“ am Finanzmarkt aus der Krise 2008 gelernt haben.

Die europäische Politik hinkt mit ihren langwierigen demokratischen, diplomatischen und bürokratischen Abstimmungsprozessen den atemlosen Entwicklungen an den Finanzmärkten hinterher und trägt zusammen mit den nur unzureichend abgestimmten nationalen politischen Anstrengungen nicht zur Beruhigung der Märkte bei, im Gegenteil. Herr Trichet verspielt die Unabhängigkeit und macht die Europäische Zentralbank zu einer gewaltigen Bad Bank. Nur zwei Wochen nach den Reformbeschlüssen zum Rettungsschirm ESFS über insgesamt 440 Milliarden Euro bezweifelt EU-Kommissionspräsident Barroso öffentlich, dass dieser Schirm ausreicht. Kaum haben Merkel und Sarkozy ihre Absicht verkündet, eine verbindliche europäische Wirtschafts- und Finanzaufsicht zu etablieren, schon spricht sich die CSU dagegen aus. In Österreich, Finnland und in den Niederlanden polemisieren rechtsgerichtete Parteien gegen mehr Gemeinsamkeit in Europa, um nur einige Beispiele zu nennen. Das alles schafft kein Vertrauen in die Politik und keine Ruhe an den Finanzmärkten.

Die jetzige Krise ist nachhaltig. Die sehr weitgehende und unkontrollierte Eigenständigkeit der Banken hat sich als volkswirtschaftlich nachteilig erwiesen. Systemrelevanten Banken darf es daher heute nicht mehr überlassen bleiben, ob sie zum Beispiel mit Staatsgeld das Eigenkapital erhöhen und somit natürlich erheblich an Eigenständigkeit verlieren. Die Bank, die droht, andere mit in den Abgrund zu reißen, darf über Schutzmaßnahmen zukünftig nicht selbst entscheiden dürfen. Wir brauchen leistungsfähige, möglichst unabhängige Banken, aber wir brauchen sie verantwortlicher und vor allem solider, als sie sich bisher verhalten haben. Deswegen brauchen die Banken ggf. strikte staatliche Kontrolle und die vielen Schlupflöcher für findige Finanz-Akrobaten müssen dicht gemacht werden.

Diese Krise ist keine Naturkatastrophe, sie ist menschengemacht. Nicht die Marktwirtschaft ist schlecht, sondern die unmoralische und unsoziale Verhaltensweise von Bürgern, Politikern und Bankern, die unsere Marktwirtschaft zu miesem Kapitalismus verkommen lassen.

Wir müssen aber auch möglicherweise unseren Lebensstil verändern. Das selbstverständliche Leben auf Pump, das Leben auch privater Haushalte mit immensen Schuldenlasten darf so nicht weitergehen. Es gilt, unsere demokratische Gesellschaft zu verteidigen. Aber auch in einer demokratischen Gesellschaft hat die Freiheit dort ihre Grenzen, wo die Freiheit und die Lebensqualität der Mitmenschen beeinträchtigt werden. Wenn Freiheit auf den Finanzmärkten ohne Moral und Verantwortungsbewusstsein für die Gesellschaft gelebt wird, dann muss sie zum Wohl der Bürger eingeschränkt werden.

(15.10.2011)

 

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