Hans-Heinrich Dieter

EU und Corona   (19.04.2020)

 

Auch die Corona-Pandemie legt die Schwächen der Europäischen Union schonungslos offen. Die Kritik am Handeln der EU ist deswegen ziemlich heftig und so hat EU-Kommissionschefin von der Leyen selbstkritisch – und das ist selten – am 16.04.2020 eingeräumt, zu spät reagiert, zu wenig getan und vor allem Italien zu wenig unterstützt zu haben. Gegenüber Italien hat sie sich für ganz Europa entschuldigt – auch das wird nicht jeder in der EU mittragen.

Und so beschäftigt sich auch das EU-Parlament in einer Sondersitzung mit der Corona-Pandemie und deren langfristige wirtschaftliche Auswirkungen. Zum Auftakt versuchte von der Leyen zu beruhigen, indem sie feststellte, die EU habe aus der Krise gelernt, mittlerweile unterstützten sich die Mitgliedstaaten gegenseitig und so sei Europa „zum stark pochenden Herz der Solidarität geworden.“ Das ist etwas zu starker Tobak angesichts der aktuellen Lage der EU

Natürlich haben die EU-Mitgliedstaaten schon einiges erreicht, indem sie Wirtschaftshilfen mit einem Volumen von drei Billionen Euro zur Verfügung und weitere Hilfen in Aussicht stellen. Aber bei von der Leyen muss es verbal immer eine Nummer großartiger sein und so hat sie für ein europäisches Investitionsprogramm in Billionenhöhe geworben, den sogenannten „EU-Marshall-Plan“. Dazu müsste die EU-Kommission selbst - mithilfe von Bürgschaften der EU-Staaten - Anleihen ausgeben und so Schulden am Kapitalmarkt aufnehmen. Das werden einige Mitgliedstaaten wohl nicht mittragen.

Es war für die EU-Staaten schon schwer genug, sich nach langwierigen Verhandlungen auf ein erstes Hilfspaket über 500 Milliarden Euro zu einigen.  Dieses Paket ermöglicht Kredite für die EU-Länder über den Eurorettungsschirm ESM (ohne Troika-Kontrollen), für Unternehmen Kredite der Europäischen Investitionsbank EIB und europäischen Arbeitnehmern soll das von der EU-Kommission vorgeschlagene Kurzarbeiter-Programm namens „Sure“ im Umfang von 100 Milliarden Euro helfen. Doch dieses Paket lehnt Italien, das daraus mit 39 Milliarden Euro gestützt werden sollte, inzwischen unsolidarisch ab, weil es verärgert ist über die strikte Ablehnung der Vergemeinschaftung von Schulden über Corona-Bonds durch Deutschland und andere EU-Mitglieder und weil Italien Kontrollen seines unsolidarischen und EU-Regeln brechenden Finanzgebarens – aus gut nachvollziehbaren Gründen – fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Und es ist durchaus bemerkenswert, dass unsolidarisch und regelwidrig überschuldete Mitgliedstaaten wie Frankreich und Italien aggressiv Solidarität zur Lösung von Problemen einfordern, die sie vor der Corona-Pandemie selbst verursacht haben. Und für die Verweigerung von Corona-Bonds müssen sich EU-Mitgliedstaaten schon deswegen nicht entschuldigen, weil sie im Hinblick auf Schuldentilgung dem Wohl ihrer jeweiligen Gesellschaften verfassungsrechtlich verpflichtet sind und nicht einem „Mezzogiorno-EU-Mitglied“. Solidarität ist nie eine Einbahnstraße, sondern wirkt nur gemeinsam!

Für gemeinsames Handeln in der Corona-Krise gibt es allerdings kein Konzept und keinen Plan. Und trotzdem schwebt von der Leyen vor, dass die Schritte der EU-Partner aus der Corona-Krise „auf lange Sicht“ und „koordiniert ablaufen“ sollen. Mit etwas Realitätssinn meint die Kommissionspräsidentin aber auch: „Man darf nicht alle Mitgliedstaaten über einen Kamm scheren…jeder braucht seinen eigenen Ansatz.“ Und während diese Vorstellungen bei der Sondersitzung des EU-Parlamentes präsentiert werden, ergreifen die Mitgliedstaaten unkoordiniert und unabgesprochen die Maßnahmen, die sie national zur Bewältigung der Pandemie für angebracht und richtig halten. Handeln in einer Wertegemeinschaft mit „stark pochendem Herz der Solidarität“ sieht anders aus!

Man kann Frau von der Leyen nicht vorwerfen, dass sie keine Visionen entwickelt und nicht den Versuch unternimmt, die EU voran zu bringen. Da war ja auch der „Man on the moon moment“ im Zusammenhang mit dem „Green Deal“ und in Folge das Klimaschutzgesetz der EU – allerdings ohne an der Praxis orientierte Vorstellung über die Finanzierung dieses Mega-Projektes zu haben. Und da war auch die Beruhigung der Situation an der griechisch-türkischen Grenze – allerdings ohne in der EU-Migrationspolitik Fortschritte zu erzielen. Von der Leyens Visionen entpuppen sich häufig als Illusionen und trotz harter, von großem Ehrgeiz getriebener Arbeit hat sie bisher noch nicht viel erreicht. Der FDP-Europa-Abgeordnete Moritz Körner drückt das so aus: Sie sei „bislang eine Ankündigungsmeisterin, die schöne Ãœberschriften für politische Projekte“ geliefert habe, aber eben nicht mehr.

Dabei ist die Kommissionspräsidentin nicht die Hauptursache für die Probleme der EU. Die Ursachen für die eingeschränkte Handlungsfähigkeit und mehrfache Erfolglosigkeit liegen bei der Europäischen Union selbst. Die EU ist eine strukturschwache Gemeinschaft von noch 27 mehr oder weniger egoistischen Nationalstaaten. Das Konsensprinzip führt dazu, dass Entscheidungen nur auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners getroffen werden. Solche Entscheidungen entwickeln naturgemäß nur eingeschränkte politische Schlagkraft. Wenn die Staaten Europas sich in unserer globalisierten Welt auf der Grundlage unserer gemeinsamen Werte in Krisen stabilisierend einbringen wollen, dann geht das mit Aussicht auf Erfolg nur gemeinsam. Diese gemeinsame EU-Politik gibt es aber derzeit nicht, weil der Wille zu gemeinsamer Politik stark zu wünschen übriglässt und die EU-Struktur effektive Machtausübung der Gemeinschaft verhindert. Die EU-Kommission kann also nur Vorschläge machen, diese aber nicht durchsetzen. Jeder Mitgliedstaat kann ein Vorhaben ausbremsen, wie an der bis heute gescheiterten Migrationsplanung und an dem nicht zustande kommenden – „Solidarinstrument par excellence“ - der mittelfristigen Finanzplanung für die EU-Haushalte 2021 bis 2027 zu erkennen ist.

Eine strukturell weiterhin entscheidungs- und handlungsschwache, aber kostspielige EU ist in unserer aus den Fugen geratenen Welt von stark eingeschränkter Bedeutung. Wenn die EU im Rahmen der Bewältigung der schwerwiegenden und langfristigen Folgen der Corona-Pandemie nicht scheitern will, muss die EU strukturell reformiert und weiterentwickelt werden, von einer friedensstiftenden Nachkriegs-Wirtschaftsunion zu einem international handlungsfähigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur mit leistungsfähigen politischen Instrumenten, die sie auf der Grundlage einer Gesamtstrategie machtvoll zur Wirkung bringen kann.

Und ein international handlungsfähiger außen- und sicherheitspolitischer Akteur kann die EU nur werden mit einem Neuanfang werteorientierter und solidarischer Mitgliedstaaten, die bereit sind, auch nationale Kompetenzen an die EU zu übertragen. Wer da nicht mitziehen will, muss sich mit einer privilegierten Mitgliedschaft und deutlich weniger EU-Mitteln zufriedengeben! Denn wer die grundlegenden Werte der Europäischen Union, insbesondere in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit, nicht teilt, sollte das Recht auf Mitgliedschaft verlieren. Und es muss eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik definiert und zur Grundlage gemeinsamer Politik werden. Außerdem sollte das EU-Parlament das Initiativrecht für Gesetzesvorhaben erhalten und in der Außen- und Sicherheitspolitik wie auch in der Klimaschutz- und Flüchtlingspolitik sollten Blockaden einzelner Mitgliedstaaten durch Mehrheitsentscheidungen anstelle von Einstimmigkeit vermieden werden.

Die Wertegemeinschaft EU ist für die Rolle Europas in der globalisierten Welt und für das Wohl der Bürger ihrer solidarischen Mitgliedsstaaten zu wichtig, um durch nationalistisch und egozentrisch orientierte Mitglieder zerstört zu werden!

(19.04.2020)

 

 

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