Hans-Heinrich Dieter

Die EU in der Krise   (22.10.2021)

 

Die EU befindet sich dauerhaft im Krisenmodus. Gründe für diesen traurigen Zustand sind die strukturelle Entscheidungs- und Handlungsunfähigkeit aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips in grundlegenden Fragen, die zunehmende Zahl autokratisch und nationalistisch agierender Mitgliedstaaten – wie hauptsächlich Ungarn und Polen - , die sich unsolidarisch verhalten und gezielt versuchen, die EU zu destabilisieren sowie die ständig verkündeten EU-Illusionen, die der geopolitische Lage nicht entsprechen und die EU-Möglichkeiten überfordern. So wird die EU immer unglaubwürdiger und geopolitisch immer weniger ernst genommen.

Und nun hat Deutschland gemeinsam mit den Niederlanden, Portugal, Finnland und Slowenien eine Initiative gestartet, um eine schnelle militärische Eingreiftruppe der Europäischen Union zu bilden. Dazu sollen die schon sehr lange existierenden – und nie eingesetzten - „EU-Battlegroups“ zu kurzfristig einsetzbaren Krisenreaktionskräften weiterentwickelt werden, um die EU in die Lage zu versetzen, militärisch robust und zügig handeln zu können. Konkret schlagen die fünf Länder vor, über den noch nie genutzten Artikel 44 des EU-Vertrags Einsätze von „Koalitionen von Willigen“ zu ermöglichen. Anlass für diese Initiative der „fünf EU-Militär-Winzlinge“ war offensichtlich das abrupte und unzureichend abgesprochene und schlecht organisierte Ende des Afghanistaneinsatzes.

Da stellt sich die Frage, was die EU zum Beispiel in Afghanistan, auf dem Balkan oder im Baltikum besser machen will als die NATO, wenn es aktuell noch nicht einmal eine wirkliche gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gibt. Außerdem erlaubt die Lage der EU keinen Optimismus im Hinblick auf erfolgreiche außen- und sicherheitspolitische Aktionen. Denn diese EU ist mehrfach gespalten in den wirtschaftsstärkeren Norden und den weniger leistungsstarken Süden mit gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit. Die EU hat eine Euro-Zone und eine Reihe Länder mit eigener Währung. Die Flüchtlings- und Migrations-Krise hat die Mitgliedsländer nachhaltig auseinanderdividiert und den Schengen-Raum brüchig werden lassen. Und die effektive Sicherung der EU-Außengrenzen ist längst nicht gewährleistet. Die EU ist mehrfach erpressbar!

Und diese in vielerlei Hinsicht heterogene und heillos zerstrittene Europäische Union redet sogar von einer ”richtigen europäischen Armee”, die die Mitgliedstaaten auch gegen Russland verteidigen können soll! Eine pure Illusion - ein europäisches Wolkenkuckucksheim!

Denn die EU ist einfach noch nicht in der Lage mehr Verantwortung zu übernehmen. Die EU muss sich reformieren und weiterentwickeln von einer friedensstiftenden Nachkriegs-Wirtschaftsunion zu einem international handlungsfähigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur mit leistungsfähigen politischen Instrumenten, die sie auf der Grundlage einer Gesamtstrategie machtvoll zur Wirkung bringen kann. Dazu muss das Einstimmigkeitsprinzip in außenpolitischen Angelegenheiten durch ein Mehrheitsrecht ersetzt werden. Das alles wird nur durch die allmähliche, schrittweise Gestaltung einer glaubhaften und wirkungsvollen globalen außenpolitischen Rolle gelingen. Weil es mittelfristig keine strategische EU-Autonomie geben wird, muss die EU in sehr engem Zusammenwirken mit der NATO – ohne sicherheitspolitische Doppelstrukturen - mittelfristig auch in Kooperation mit der NATO über hinreichende Handlungsfähigkeit bei militärischer Machtausübung verfügen. Die EU muss sich von einem sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer zu einem engagierten, vertrauenswürdigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur entwickeln! EU und NATO können gemeinsam erfolgreich Einfluss auf China und Russland ausüben, die USA unterstützend oder auch ergänzend.

Wir brauchen eine überlebensfähige und handlungsstarke EU. Das erfordert aber weniger euphorische Reden zur Weiterentwicklung auf der Basis der derzeitigen Struktur, sondern echte Struktur-Reformen, um die EU wirklich handlungsfähig zu machen und deswegen wollen die Bürger überzeugt werden, dass die EU über die dringend notwendigen Reformen wirklich bereit und in der Lage ist, die Probleme anzupacken, nachhaltig zu lösen und das Leben der EU-Bürger zu verbessern.

Nur mit werteorientierter, konsequenter, multilateral ausgerichteter und gemeinsamer Politik wird eine EU-NATO-Kooperation - zusammen mit den USA – Erfolg haben und international wieder ernst genommen werden! Und Deutschland muss kraftvoll versuchen, zur außen- und sicherheitspolitischen Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit, sowohl der EU als auch der NATO, beizutragen. Krisenreaktionskräfte „der fünf EU-Militär-Winzlinge“ sind der falsche Ansatz und führen nur zu unzureichenden und teuren Doppelstrukturen!

(22.10.2021)

 

 

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