Hans-Heinrich Dieter

EU-untaugliche Türkei   (13.07.2020)

 

Der türkische Präsident Erdogan zeigt zunehmende Verachtung für die europäischen Werte und führt die Türkei mit dem fortschreitenden Abbau demokratischer Rechte immer weiter von der EU weg. Man kann die Türkei inzwischen nicht mehr als demokratischen Rechtsstaat bezeichnen.

Außerdem droht Erdogan der EU tatsächlich mit der Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens von 2016 und hat die EU und Griechenland mit einer von der Türkei unterstützten Schleuserkriminalität in Richtung Europa „zugunsten“ von 3,6 Millionen Flüchtlingen erheblich unter Druck gesetzt. Anschaulicher kann man sich als politischer Erpresser nicht präsentieren.

Auch vor der libyschen Küste hat die Türkei kürzlich gegen die EU-Marinemission „Irini“ agiert, indem drei türkische Kriegsschiffe verhinderten, dass ein unter der Flagge Tansanias fahrender Frachter von einer griechischen Fregatte kontrolliert werden konnte und so die Durchsetzung des UN-Waffenembargos unterlaufen. Die EU hat die Vereinten Nationen mit dem Fall befasst. Nach höchst aggressivem Verhalten türkischer Marine-Einheiten gegenüber einer französischen Fregatte, die das Waffenembargo im Rahmen von „Irini“ durchsetzen wollte, hat sich Frankreich aus der EU-Marine-Mission zurückgezogen, um eine Eskalation zu vermeiden.

Wegen illegaler Erdgasbohrungen hat die EU bereits Sanktionen gegen die Türkei verhängt. Erdogan zeigt der EU den „politischen Mittelfinger“ und sich selbst als unbeeindruckt.

Darüber hinaus befindet sich die Türkei in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen kurdische Syrer in Nordsyrien und hat die Souveränität des Irak mehrfach durch Militäraktionen gegen Kurden im Nordirak verletzt.

Und auch in der NATO haben wir es heute mit einem eher nationalistisch bis chauvinistisch eingestellten unangenehmen Partner Türkei zu tun, der Solidarität fordert aber vielfach unsolidarisch handelt. Die Türkei kauft von Russland das Raketenabwehrsystem S-400. Das russische Raketen-Abwehrsystem S-400 ist mit anderen NATO-Systemen nicht kompatibel und seine Nutzung durch die Türkei wird den NATO-Raketenabwehrschild sehr stark beeinträchtigen, weil so nicht nur russische Technologie, sondern auch russisches Militärpersonal für Ausbildung und Wartung zwangsläufig in NATO-Streitkräfte einbezogen wird – das ist ein erhebliches Sicherheitsproblem!

Das Beispiel zeigt, dass sich Erdogan für keinen Affront und keine Provokation zu schade ist! Deswegen ist es hohe Zeit, dass nicht nur Deutschland allmählich zum aufrechten Gang gegenüber der Türkei zurückfindet, sondern dass auch die NATO der Türkei unmissverständlich klarmacht, was sie von einem NATO-Partner im Hinblick auf Wertebewusstsein und Solidarität erwartet. Das gebietet schon die Selbstachtung! Natürlich ist die Türkei militärisch und geostrategisch für die NATO ein sehr wichtiger Partner. Aber die innenpolitische Krise in der Türkei verursacht große Unsicherheit bei den NATO-Mitgliedern, die massiven Einschränkungen der Rechtstaatlichkeit passen nicht zu den Wertvorstellungen der NATO und machen die Türkei zu einem noch schwierigeren Partner als zuvor. Deswegen muss die NATO Klartext reden und von der Türkei das eindeutige Bekenntnis fordern, dass das Land solidarisches Mitglied in der Allianz bleiben will – allerdings zu den Bedingungen der westlichen Wertegemeinschaft! Die EU muss auch diesbezüglich mit der NATO enger zusammenarbeiten und die NATO in ihren Bemühungen unterstützen.

Und nun hat Erdogan mit der Umwidmung der Hagia Sophia von einem Museum in eine Moschee eine weitere rote Linie überschritten. Die Kathedrale aus dem 6. Jahrhundert ist ein Meisterwerk aus byzantinischer Zeit und UNESCO-Weltkulturerbe – die Hagia Sophia ist damit keine rein innertürkische Angelegenheit mehr. Dass Erdogan sie jetzt wieder in eine Moschee umwidmet, provoziert seine säkularen Landsleute und religiöse Minderheiten im Land, aber vor allem orthodoxe Kirchenvertreter in der ganzen Welt. Damit wirft er auch dem russischen Präsidenten Putin einen Fehdehandschuh vor die Füße. Aber das stört Erdogan – der die Türkei vornehmlich zu einer islamischen Republik machen will - offensichtlich wenig, genau so wenig wie die Tatsache, dass sich die Beziehungen zu Europa, zur EU und den USA dadurch verschlechtern werden. Das ohnehin schlechte Verhältnis zu Griechenland wird dadurch endgültig zerrüttet. In der EU werden die Stimmen, die Sanktionen gegen den aggressiven Kurs ErdoÄŸans fordern, nun noch lauter. Da kann man nur hoffen, dass beim heutigen Treffen der EU-Außenminister eine von allen EU-Mitgliedern getragene Haltung erreicht wird!

Die EU muss die Bewältigung der Corona-Krise nutzen, um Defizite und Schwachstellen zu analysieren und Konsequenzen daraus zu ziehen. Dazu muss sich die EU strukturell reformieren und weiterentwickeln von einer friedensstiftenden Nachkriegs-Wirtschaftsunion zu einem international handlungsfähigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur mit leistungsfähigen politischen Instrumenten, die sie auf der Grundlage einer Gesamtstrategie machtvoll zur Wirkung bringen kann. Und ein international handlungsfähiger außen- und sicherheitspolitischer Akteur kann die EU nur werden mit einem Neuanfang werteorientierter und solidarischer Mitgliedstaaten, die bereit sind, auch nationale Kompetenzen an die EU zu übertragen. Wer da nicht mitziehen will, muss sich mit einer privilegierten Mitgliedschaft und deutlich weniger EU-Mitteln zufriedengeben! Denn wer die grundlegenden Werte der Europäischen Union, insbesondere in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit, nicht teilt, sollte das Recht auf Mitgliedschaft verlieren. Der Weg durch eine Strukturreform ist für die EU steinig und nur mit solidarischen Mitgliedern zu bewältigen

Die Wertegemeinschaft EU ist für die Rolle Europas in der globalisierten Welt und für das Wohl der Bürger ihrer solidarischen Mitgliedsstaaten zu wichtig, um durch zunehmend nationalistisch und egozentrisch orientierte Mitglieder zerstört zu werden. Eventuell neue Mitglieder wie eine unsolidarische und teilweise aggressive Türkei, die eigensüchtig nationale und islamische Ziele verfolgt und dabei auch vor politischer Erpressung nicht zurückscheut werden nicht nur nicht gebraucht, sondern würden den Reformprozess behindern und die EU-Werte-Gemeinschaft massiv schädigen. Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollten endgültig beendet werden!

(13.07.2020)

 

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